7. Januar: Präsentation der Depot-Türme

Nicht nur im Januar, auch schon ab dem Oktober wärmt man sich gerne im Wipkingerpark, spaziert oder setzt sich auf die Stufen zur Limmat und geniesst den offenen Horizont in Richtung Sonnenuntergang.  Nichts davon, weil, wie die Leserschaft von «zuerivitruv» schon lange weiss, die Stadt Zürich eine Hochhauswand auf der Südseite des Flusses in die begehrten Sonnenstrahlen gestellt hat. Ein teurer Irrläufer: Wohnhochhäuser auf einem Tramdepôt. Drei Viertel der Wohnungen sind für Familien vorgesehen. Von 200 Kinder wird erwartet, hier «hors sol» aufzuwachsen. Der bekannte Kinderarzt Remo Largo meinte zu dieser Wohnform: «Sagen Sie mir einmal, wie man im 24. Stock ein Kind aufziehen soll?». Die «Wohnwand» muss auf der sonnigen Südseite den Autobahnzubringer ertragen. Auf der Nordseite tut sie der Stadt ihr Beschattungswerk an. Die «Riviera des Westens» – der Wipkingerpark – ist auf alle Zeiten geschädigt. Im letzten Jahr hörte «zuerivitruv» aus der Stadtverwaltung: «das würden wir heute nicht mehr so machen». 

Alles in allem: Ein harter Schlag für Zürich, begründet in im Jahr 2001 falsch platzierten Hochhauszonen auf der Sonnenseite der Limmat. Zehn Jahre später erfolgte eine Aufdatierung der Hochhausrichtlinien, jedoch keine Korrektur der Fehlzonierungen. Die 2022 präsentierte Revision dieser Richtlinien befinden sich in Beratung. Es ist zu hoffen, dass die Fehlzonierungen aufgehoben werden. Sonst wird es dann endgültig ungemütlich an der Limmat.

Denkt man weiter nach, wird jetzt endgültig klar, dass Zürich in der Wachstumsphase über keine städtebauliche Lenkung verfügt – «no urban governance» wie Prof. Alain Thierstein im letzten Jahr gesagt hat.

Jeder Stadt ihr Bild

Die Behauptung, Städtebau sei spannend wie ein Krimi ist seit dem letzten Posting unwidersprochen geblieben. Für die Stadt Zürich stellt sich die Frage: 2025 weiter (praktisch) ohne Städtebau? Neben der Topographie macht «Städtebau» die Form der Stadt: von kurzfristigen Folgen bis zur Langzeitwirkung der Eingriffe. Hier werden die Weichenstellungen für die Stadtstruktur und das Stadtbild vorgenommen. Hier wird entschieden, ob im Zusammenhang mit der Landschaft eine schöne Stadt entsteht. Nehmen wir ein Beispiel aus der Zeit des gewissenhaften und vorausschauenden Bauvorstands Emil Klöti vor etwa 100 Jahren. Die Bebauung begann sich aus dem Pavé der Stadt auf drei Seiten in die Hanglagen hinauf auszudehnen: Zürichberg, Hönggerberg und Friesenberg. Schädlicher Wildwuchs stand zu befürchten. Ein schon gebautes Beispiel an der Ecke Gloriastrasse / Häldeliweg zeigte, was zusammengebaute innerstädtische Baublöcke aus mehreren Häusern in Hanglage anstellen. Klöti ordnete in zwei verschieden dichten Zonen offene Bebauung an. Vom Hafen Enge sehen wir heute am Gegenhang des Zürichbergs den Übergang von Blockrandbebauung am See bis hinauf zu den «Kuben im Grün» gegen den Waldrand zu – ein sehr schönes Stadtbild zusammen mit dem See (Bild: Wikipedia / Roland zh). 

Solche Zonenpläne im Verbund mit Bauregeln bleiben Jahrhunderte sichtbar. Sie sind eines der Mittel der Stadtgestaltung. So kann es auch einmal geschehen, dass sich Regeln und Erlasse nicht bewähren. Zum Beispiel die viel zu gross geratenen Hochhauszonen von Zürich, die sich im missratenen «Stoppelfeld» äussern. Hier ist Korrektur angesagt, wenn Zürich mit seinem Stadtbild etwas auf sich hält. 

2025: Glück & Geist für Zürich

«zuerivitruv» begrüsst seine Leserschaft im neuen Jahr und hofft auf viele Gelegenheiten, Gutes berichten zu können. Die neuen Kriterien Klima/Energie/CO2 bieten schöne Chancen – helfen Sie mit, ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. Wir konnten einigen Postings des letzten Jahres entnehmen, wie der Einfluss dieser zeitgemässen Kriterien der Stadt guttun könnte. Die Frage des Jahres 2025 lautet: Was machen die Führungskräfte daraus? «Städtebau» kann so spannend sein, wie ein Krimi. Dass es dazu kommt, erwarten wir mit Neugier eine der Zeit entsprechende und vorausschauende Baupolitik. Wird die Aufgabe ernst genommen, könnte sie an Stelle des heutigen Haders einigende Kraft entwickeln. Die Klima/Energie/CO2-Medizin könnte Zürich aus dem städtebaulichen Schlaf erwecken und die einengende und etwas kleingeistige Hochhausfixierung lockern um den Blick auf die Stadt als Ganzes zu öffnen. 

Mehr Gewicht auf lebenswertere Nachbarschaften, feinere Verteilung der Versorgung für den täglichen Bedarf und dadurch mehr «fussläufige Stadt». Einerseits resultiert daraus höhere Lebensqualität und anderseits reduziert sich der Platzanspruch des flächenintensiven Autoverkehrs. Das ist die unausweichliche Bedingung für Verdichtung innerhalb der Städte und für genügend tiefwurzelndes Baum-Grün. In Paris, London und auf Manhattan reisen die Berufsleute schon seit 100 Jahren per ÖV zur Arbeit, denn Dichte und alleinige Autoerschliessung haben sich schon immer ausgeschossen. Mit den Flexity-Trams hat unsere Stadt ein fast lautloses Transportmittel eingekauft. Die Zeiten, als ÖV Lärm bedeutete, sind vorbei. Hiermit hat «zuerivitruv» nur einige von vielen Aspekten beleuchtet. Wichtig ist die daraus hervorgehende Logik: Die Syntehse der Aspekte ist gefragt. Mit dem Bild von Johannes Peter Staub hofft «zuerivitruv» in der schönen Zahl «2025» auf gute und schöpferische Zusammenarbeit.

Bilanz 2024

Das Jahresende ruft nach Bilanz. «zuerivitruv» sieht sich in Zürich als ein Monitor des Städtebaus. Hier ein Überblick, was sich in unserem offenen Gletschertal abgespielt hat. Tatsächlich stossen wir auf Schicksalshaftes im grossen Massstab: Mit der Versenkung der Uferschutzinitiative ist der seit 30 Jahren planlos herumliegende Limmatraum weiterhin ohne städtebauliches Konzept – eine echte Tragödie. Amt, Presse und die Mehrheit der politischen Parteien haben kräftig dazu beigetragen. Dass dem UBS-Hochhaus eine doppelte Ausnützung zugeschanzt wurde, liess die Presse nicht zur Geltung kommen – der Koloss passierte die Abstimmung. Das könnte genügen um zu sagen, dass Städtebau zuerst auf einer anderen Ebene abgehandelt werden muss: In den Bauämtern, wo das Wissen vorhanden sein sollte, offenbar aber nicht ist, denn es fehlt ein Stadtbaumeister als Gewissen der Stadt.

Besser steht es um die sich in Beratung befindenden neuen Hochhausrichtlinien. Im Tagblatt und in den Blättern der Lokalinfo AG kamen ernsthafte Zweifel auf – vor allem gegenüber der Vergrösserung der bereits viel zu grossen Hochhauzonen um mehrere Quadratkilometer! Hier besteht Hoffnung. Für einen Durchbruch müsste in Zürich endlich ein Städtebau starten, der als Massstab die neuerdings weltweit geltenden Kriterien von Energie, Klima und CO2 zur Grundlage hat.

Über das ganze Jahr hinweg ist klar geworden, dass im Stadtbauwesen nur Persönlichkeiten etwas bewegen können. Anne Hidalgo legte in Paris die Quais der Seine frei und half, die Olympiade – erstmals in dieser Welt – in eine Stadt zu integrieren. In Barcelona hat Janet Sanz damit begonnen, jeweils neun Strassenblocks zu «Superilles» zusammenzufassen und damit vier interne Plätze der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen und in München sind erstmalige Hochhausattacken auf organisierten Widerstand der Bevölkerung gestossen.

Emil Klöti und die Stadt Zürich

«zuerivitruv» liest gegenwärtig die Biographie des Sozialdemokraten Emil Klöti, der ab 1910 dem Bauamt (Hochbau) vorstand und von 1928 bis 1942 als Stadtpräsident diente. Wer liest, stellt mit Erstaunen fest, dass sich dieser Mann gleichzeitig auf unterschiedlichsten Feldern des Bau- und Planungswesens einsetzte. In der damaligen Expansionsphase brachte das der Stadt enorme und bleibende Vorteile. Sein umsichtiges Konzipieren und geschicktes Verhandeln versetzt in Erstaunen. Ebenso die parallele Behandlung von gleichzeitig mehreren Fragen der Stadtentwicklung:  Vor grösseren Details bis zum internationalen Städtebauwettbewerb für Zürich. 

Es war ihm ein Anliegen, an einer schönen Stadt mit gesunden Wohnverhältnissen zu arbeiten. Zum Beispiel gelang es ihm in letzter Minute, den Waldrand am Zürichberg mit einem Streifen von Schrebergärten für die Aussicht auf Alpen, See und Stadt freizuhalten. Damit zelebriert er die einmalige Lage Zürichs im offenen Gletschertal. 

Urban Governance: Das Wachstum formen

Die gegenwärtig offenbar fehlende «urban Governance» in der Stadt Zürich und die Quaianlagen 1887 nehmen wir aus dem letzten Posting mit und machen letztere zum Gegenstand des ersteren. Vom ursprünglich sumpfigen Ufer bis zu den promenierenden Damen in den prächtigen Anlagen am See ist es ein grosser Schritt, der sich der «urban Governance» verdankt. Die Hoch- und Tiefgauvorstände aus dem Zürcher Stadtrat packte die Idee, der wachsenden Stadt den See zugänglich zu machen und ihn zu umarmen. Die führenden Persönlichkeiten mussten sich ergänzt und gegenseitig gesteigert haben. Im Vordergrund standen Stadtingenieur Arnold Bürkli und Stadtbaumeister Caspar Conrad Ulrich. Ihnen stellten sich – aus der Stadt! – Personen entgegen, die den «eiserenen Ring» der Bahnen um die Zürcher Bucht befürworteten. Die neue rechtsufrige Bahn sollte von Riesbach über die Limmat vor den Augen des Engequartiers im Bahnhof Enge auf die Gotthardbahn treffen. Mit grossem Engagement von Stadtrat und Bürgern setzte sich die Idee der Quaianlagen durch: «Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist» (Victor Hugo). Ohne den rechtzeitigen Einwurf der Idee würde Zürich hinter einer kesselnden Bahnlinie vegetieren.

Die neu generierte Küste schaffte Bauplätze: Vorzügliche Lagen für Wohnen, Hotels und die Tonhalle. Alles im Kontext von See und Alpenblick. Diese Aufwertung Zürichs während einer Wachstumsphase ist kaum zu überschätzen. Sie kann uns zur Frage verleiten, was wir heute – ebenfalls in einer Wachstumsphase – zur Lebensqualität der Stadt beitragen. Ob wir fähig sind, dem Wachstum gedanklich vorauszueilen um es zu formen und zur Blüte zu bringen. 

Auch einmal an die ganze Stadt denken

Gegen Ende Jahr darf der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, dass es bessert. Die gegenwärtige Behandlung der Revision der Hochhausrichtlinien bietet die Gelegenheit, nicht nur (seit 20 Jahren!) ans Hochhaus zu denken, sondern fortan auch an die Stadt als Ganzes. Das könnte die Antwort auf den Kommentar aus der Leserschaft sein «Wann kommt endlich Einsicht nach dem vertikalen Wursteln?»

Smarte Städte wie München oder Dresden haben Leitbilder. Da sich Städte meist entwickeln und wachsen, nicht schrumpfen, sind Leitbilder nötig, wenn Wachstum und Entwicklung Qualität zum Nutzen aller haben soll. «Alle» umfasst die ganze Bauzivilisation, Bevölkerung und Akteure. Dass sich heute vorwiegend «Reklamationen» breitmachen, zeugt von Defizit in der «urban Governance», wie es Prof. Alain Thierstein anlässlich der Präsentation des Konzepts zur Aufwertung der Pfingstweidstrasse äusserte.

Die Bilder aus der gloriosen Vergangenheit zeigen, wie Konzepte für die Stadt aussehen können. Das sind die Quaianlagen 1887, die Bahnhofstrasse und 1948 der Plan für die Gartenstadt Schwamendingen.

Vertikal oder horizontal?

Ein Kommentar zum letzten Posting: «Wann kommt endlich Einsicht nach dem vertikalen Wursteln?» Dieses kann nachgezeichnet werden. Anfänglich war es das nicht: Die ersten Hochhäuser der Stadt waren noch deren Stolz. Die Skeptischen spürten unbewusst europäische Werte in Gefahr. Nach dem Bau von mehreren Hochhäusern wurde die Unordnung für alle manifest. Deshalb kam es 1984 zu einer erfolgreichen Volksabstimmung über ein Hochhaus-Ausschlussgebiet in der Innenstadt. 2001 warfen die Stadtbehörden ausserhalb dieses Gebiets zu grosse Hochhausgebiete aus. Nach zwanzig Jahren herrscht wieder Chaos im Stadtbild.

Im Unterschied zu vielen europäischen Städten wurde nie gefragt, wo Hochhäuser zu gruppieren seien und ob die Fortsetzung der chaotischen Hochhaus-Streubauweise überhaupt noch sinnvoll sei. Auch jetzt nicht, wo hohe Bauten aus Gründen von Energie/Klima/CO2 ausser Betracht fallen müssten. 

Zur Besinnung im Advent: Paris setzt sich mit der Schönheit der Quartiere auseinander. «Die schönsten Quartiere von Paris» steht im Text des abgebildeten Postings, währenddem die Hochhäuser ausserhalb der Stadtgrenzen wachsen; vornehmlich in der Défense. Doch die Grundstruktur mit der Beherrschung des ganzen Ensembles durch die Arche de la Défense wird intakt bleiben. Paris befasst sich auf seinem Stadtgebiet gegenwärtig mit einer Aufwertung Quartier um Quartier.

In Zürich muss der Anstoss offenbar wie 1984 wieder von aussen kommen. In den letzten Dezembertagen stellen wir die Hoffnung auf die Beine, im neuen Jahr bessere Wege diskutieren zu können.