Parzellenstädtebau oder Banlieue

Zur Banlieue gehört das lieblose Platzieren von durch ihre Grösse anonymen Wohnbauten. Der Mensch spürt es in der Seele, wenn die Behausungen nicht passen. Er spürt es, wenn er in Masse «bewältigt» wird. «Cité des Quatremille» in Paris, “Pruitt Igoe” in St. Louis, “Gropiusstadt” und das Quartier Marzahn in Berlin sind Container, die zu gross waren und die Bewohner zu Ameisen machten. Sie «waren», weil viele inzwischen abgebrochen werden mussten. Statt wenige und dadurch bekannte Mitbewohner am gemeinsamen Hauseingang sind es Hunderte, die man nicht mehr kennen kann. Portionierung macht Individualität, Masse macht Verzweiflung. Wo die Grenze ist lässt sich wissenschaftlich nicht genau festlegen.

Es wird immer und immer wieder von neuem vergessen, dass der ursprüngliche Parzellenstädtebau «von selbst» für die Portionierung der Bewohnerzahl sorgte. Das kann auch der Grund sein, warum Städte Gebiete zusammen mit dem Bau der Strassen parzellierten. «zuerivitruv» las in Paris auf einer der bekannten Informationstafeln an der Place Saint Georges am Hang von Montmartre «le quartier fu loti en 1851». Das heisst nichts anderes als «in Parzellen aufgeteilt» oder eben «parzelliert». Private konnten die Parzellen erwerben und ihre Häuser bauen – hier, wie wir sehen, mit Stolz. Auch die Bauherrschaften waren durch Kleinheit nicht anonym. Hier wird der menschliche Massstab spürbar. Ungeachtet der Schlüsse der Wissenschaft: «Es ist, wie es ist».

Gelingt das Fest auf Erden eher im kleinteilig parzellierten Quartier oder im

Grosscontainer? Das gibt «zuerivitruv» der Kommission des Gemeinderats zu bedenken, die jetzt gerade über den neuen Hochhausrichtlinien brütet, die Quadratkilometer von neuen Hochhausgebieten vorsehen. Besorgniserregend? 

In Zürich-Nord wächst eine Banlieue

Das Bild zeigt mehrere Phänomene. Da ist einmal der verschwindende Horizont – die Klötze verdecken ihn. Die Weite ist verloren; es gibt nur noch die Nahsicht. Unser Lebensraum wird eng. Wir leben plötzlich woanders, nicht mehr in Zürich, sondern als Ameisen im Dickicht irgendwelcher Hochhäuser wo auch immer auf dieser Erde. Das ist ein anderes Leben, das sich hier (ungefragt?) einnistet.

Im Vordergrund, wird mit der städtischen Wohnsiedlung Leutschenbach die humanere Version soeben fertiggestellt: eine Blockrandbebauung von hoher Dichte. Neu daran ist – und das hat im Architekturwettbewerb zum 1. Preis geführt – die Anordnung von Pavillons im geräumigen Innenhof. Diese mildern die (zu) grosse Geschosszahl und beherbergen Kindergärten und Gemeinschaftsräume. Hof und Pavillons bieten Raum in schöner Geborgenheit.

Das Bündel der solitären Türme im Hintergrund stapelt Bewohner in die Höhe und entreisst sie dem Zusammenhang ihrer Umgebung. Der nächste Turm – Bauherrschaft Swiss Re – wird sich bald dem SRF-Studio Leutschenbach und der vorbildlichen Siedlung «Mehr als Wohnen» aufdrängen. Die wertvollen Siedlungen ertrinken in anonymen Türmen. Man fragt sich: ist das die Zukunft, die wir wollten?

Kasernenareal wird endlich öffentlich

Man kann die Jahrzehnte gar nicht zählen, seit denen das Militär sich ins Reppischtal verabschiedet hat (1987). Es kamen völlig verschiedene Vorschläge für das frei werdende Kasernenareal, darunter einer für ein «prominentes Gefängnis», das über der Wiese auskragte! Bereits 1970 diente das Areal als Diplomthema für Architekten an der ETH. Der Streit zwischen Stadt und Kanton hatte diesen wertvollen Lebensraum für die Bevölkerung für weit mehr als eine Generation blockiert!

Was nach Durchführung eines Wettbewerbs resultiert, ist erfreulich bescheidene und reine Vernunft: Biodiversität, Hitzeminderung, Regenwassermanagement. Dazu kommt ein Bildungszentrum im martialischen Kasernengebäude und gemischte Nutzungen im wunderschönen Zeughaus mit seinem wohlproportionierten Innenhof. Dazwischen mehr Bäume auf der grossen Wiese. Man kann sich freuen, denn nach der Bäckeranlage und der Josefswiese werden weitere «Parkflocken» ins Stadtgewebe gestreut. Der Kompass dreht nach Jahrzehnten in Richtung «lebenswert». 

Weniger Glück hatte im letzten Jahr die Zukunft des Limmatraums. Eine Volksabstimmung hat dort auf dem falschen Ufer – woher die Sonne kommt – die 2001 ausgelegte Hochhauszone und den daraus resultierenden Schattenwurf zementiert. 

Visualisierung: Tom Schmid

Alles zusammensehen

Alle bewundern die Kapelle auf dem Hügel von Ronchamp in der Franche-Comté: Le Cobusier als genialer architektonischer Bildhauer nach dem 2. Weltkrieg. In diesen Zeilen soll alles zusammenkommen: Die ETH, die keine Ausbildung in Städtebau bietet, der berühmte Architekt, der (Bild) die städtebauliche Kompetenz seines Berufsstands infrage stellt und die heutige Gestalt von Zürich Nord und West.

Das Bild zeigt uns Wolkenkratzer des «Plan Voisin 1925» für in die Höhe gestapeltes Wohnen. Ohne jeglichen Bezug zur Umgebung. Einzig die Nabelschnur des Lifts verbindet mit der Welt, die für Strassen und Autobahnen im Grün leergeräumt ist. Der Laden, der Treffpunkt, der Auslauf für Kinder: Das alles für die Menschen Wesentliche gibt es nicht. Diese kalte Schrumpfform der Stadt hatte weltweit zu viel «Erfolg» und wurde schon im letzten Jahrhundert zum Teil wieder abgerissen. Ist es richtig, wenn der im nächsten Jahr zurücktretende Vorsteher des Hochbaudepartements jetzt noch versucht, mit der Erneuerung der Hochhausrichtlinien die fragwürdig gewordene Bauform sowohl in Höhe, als auch mit grossen Gebietsausweitungen zu pushen? Wir haben mit Marco Hüttenmoser die Soziologie des Wohnens intus (9. Februar 2025) und mit dem Forschungspapier über Energie / Klima / CO2 haben wir die ideale Stadtbauform der Zukunft kennengelernt (18. November 2014). Alles spricht für ein Stadtgewebe in «low rise / high density. Paris ist damit 4 mal so dicht wie Zürich. Für kluge Köpfe ist der Weg klar. 2026 sind Wahlen – muss es Zufall sein, dass wieder eine Person vom Kaliber von Emil Klöti gewählt wird? Nötig wäre es in der heutigen Konstellation von Boom & Paradigmenwechsel. Es braucht mehr als den Griff ins Parteiregal.

Jemand muss es machen!

Im letzten Posting blieb die Frage übrig, oder offen, wie es in Zürich zu einer «Volonté Générale» kommen könnte. Wie aus der unschöpferischen Blockade, die nicht viel Erfreuliches hervorbringt, herauszufinden sei. «Wer» soll es tun?

  • Könnte es der Stadtrat sein?
  • Müsste es die Verwaltung übernehmen?
  • Die Fachleute?
  • Die Politik?
  • Thinktanks?
  • Die Privatwirtschaft?
  • Endlich eine Stadtplanungsstelle?

In Paris – im 19. Jahrhundert im Wachstum zu einer der schönsten Städte geworden – war es der Präfekt mit einer von ihm zusammengestellten Gruppe. Das ähnelt erstaunlich stark dem Zürcher SP-Stadtrat und späteren Stadtpräsidenten Emil Klöti und seiner Equipe im Zeitraum von 1906 bis 42. Die Formung und Entwicklung der Stadt hat er unter anderem mit einem internationalen Städtebauwettbewerb im Jahr 1915 in Bewegung gebracht. Das war der Impetus einer Person die sich mit Talenten umgab. Man kann also nicht immer die Ausrede bringen, dass das nur unter einem Kaiser möglich sei. Klöti bewegte sich in einer der damals reifsten Demokratien. Demokratie als Mechanismus hat noch nie genügt – sie bedingt Persönlichkeiten mit Rückblick, Kultur, Bildung und Ausblick. Und dazu noch Tatkraft. Die Parteien Zürichs sind gefordert, die drei Rücktritte 2026 zu ersetzen. Das Schicksal ist dem Wechsel günstig gesinnt: Das Präsidium und das Baudepartement werden frei!

Paul Klee – Der Weg

Schauen wir Stadt und Lebensart an: «It takes many kinds of people to make a world” – diese Tatsache läuft weiter, macht den Lebensstrom und sorgt für Vielfalt. Ein Teil davon – das Bauen – ist «eternell», also von vorwiegend bleibendem Charakter. Damit wird auch bleibende Geschichte geschrieben; Geschichte, in der wir buchstäblich und täglich unser Leben verbringen. Es ist unser Lebens-Raum. Gleichzeig ist das baulich-räumliche Relief auch das Stadt- und Abbild unserer zürcherischen Zivilisation. Zu unserem Vergnügen oder Unvergnügen. Daran werden wir von den anderen gemessen.

Die neuen gestaltenden Kräfte sind einerseits Energie/Klima/CO2 und anderseits die nationale und kantonale Auflage, die Stadt Zürich zu verdichten. Es ist wie beim Kochen: die Ingredienzen machen das Menu der Epoche. Und diese wird mit obigen Erfordernissen eindeutig eine Neue sein. «Erleiden müssen» oder «mit Freude gestalten», das ist die Frage, die sich unserem Gemeinwesen stellt. Da sind alle gemeint, die am Planen und Bauen teilhaben. Machen wir den Rundblick, sehen wir noch kaum den bewussten Aufbruch im Konzert und vor allem keinen gemeinsamen und konstruktiven Vektor. Die «Volonté Générale» ist noch nicht da. Die Baukultur der näheren Zukunft zeigt noch kaum Konturen. Müssen wir für den Startschuss noch auf den heute bekannt gegebenen Wechsel im Stadtpräsidium und im Hochbaudepartement warten?

Bild: Hochhausstoppeln, Adolphe Tièche 1908  & «Der Weg» von Paul Klee

Grosse Gedanken, die im Zentrum stehen könnten

Paris wird, und jetzt zunehmend «wurde» zu oft nur durchfahren. Mit dem Velo und dem Prinzip der 15-Minuten-Stadt (täglicher Bedarf in Gehdistanz) nimmt der reine Durchgangsverkehr von selbst ab. Das zeigen die Karten der Luftqualität: Rot geht zurück und der Friede in den Quartieren nimmt zu. 

Dieser Einstieg zeigt uns friedliche und evolutive Vorgänge zum Besseren. Ohne den Widerstand erzeugenden Grabenkampf der sich oft totläuft. Es gibt aber eine Bedingung für den Erfolg des evolutiven Wegs: Klugheit, Intelligenz, Weitsicht, politische Reife. Ist das in unserem gegenwärtigen Zürich denkbar? Können grosse Gedanken im Ja/Nein-Hickhack überhaupt gedeihen? Ist der politische Weg überhaupt offen? Braucht es die Think-Tanks?

Think-Tanks können sich den Zeitfragen annehmen und Lösungswege formulieren. Ein gutes Zeitalter bewegt sich auf den Lösungswegen seiner grossen Fragen. Der Demokratie nützt es, wenn diese Wege ausgiebig abgebildet werden. Die engagierte Presse ist dazu unabdingbar. Die grossen Fragen sind heutzutage Energie, Klima, CO2. Daraus allein entsteht noch keine Zivilisation; weder Malerei noch Musik. Aber ein «Drive», der vieles mitreissen kann und Wege zur Lösung der Zeitfragen öffnet. 

Bevor wir diesen Faden (vielleicht) weiterspinnen, verweilen wir bei der Presse: Der oben beschriebene Abbildungsprozess hat in den Zürcher Lokalredaktionen noch kaum begonnen. Die Kiste der die Stadt Zürich weiterführenden Gedanken ist noch nicht geöffnet.

Kokainkönig im Mobimo-Tower

Schon 1972 schrieb der New Yorker Architekt und Soziologe Oscar Newman über die durch das Hochhaus begünstigte Kriminalität. Ein Zürcher Fall ereignete sich im letzten Jahr im Mobimo-Tower. Da ja die Zürcher Bauverwaltung bekanntlich die schon zu grossen Hochhauszonen mit ihrem Vorschlag nochmals vergrössern will und dazu noch mit einer Zone von unbeschränkter Bauhöhe auffährt, muss der Aspekt der Ermunterung zur Kriminalität durch Anonymität im Hochhaus neben den bereits erwähnten ebenfalls zur Sprache kommen.

Unwirtlichkeit, Masse und Anonymität der Bauformen haben in Chicago und New York immer wieder für Kriminalgeschichten gesorgt. Prominent mit Al Capone und fein über New Yorker Housing-Projects verbreitet in den Berichten von Oscar Newman. Unumstösslich ist die Regel: «viel Personen an einem Eingang» verunmöglicht die Sozialkontrolle. Dass das auch in Zürich so funktioniert, zeigen auf noch harmloser Stufe die schon mehrmals verschwundenen Lederesitzgruppen in den luxuriösen Metropolitan-Türmen von Leutschenbach. Die Höhe zerreisst den Faden zu Nachbarschaft und Quartier und zusammen mit der grossen Zahl ist Anonymität garantiert. Sie muss nicht, aber sie kann genutzt werden. Der europäische Kokainkönig Flor Bressers wurde nachts auf der 22. Etage im Mobimo-Tower festgenommen.

Bild: NZZ 12. Oktober 2024