Überwältigende Gegenwart

«zuerivitruv» würde gerne wieder einmal über schöne Zukunft schreiben, wird aber von wenig erfreulicher Gegenwart erdrückt. Innert zwei Wochen sind wir mit drei Hochhausprojekten konfrontiert worden. Zwei davon sprengen die gesetzliche Höhenlimite von 80 Metern. Am 5. Oktober wurde das Projekt für ein Hochhaus der UBS in Altstetten publiziert. Es folgt auf die schon besprochenen Aussteckungen von Koch-Areal und HIAG. Wie im Bild ersichtlich, füllt das Gebäude die Parzelle und strebt dann als Koloss an der Höhenlimite vorbei bis auf die genannten 108 Meter hinauf. Die 28 Meter Mehrhöhe entsprechen einem 9-stöckigen Wohnhaus – was selbst schon ein Hochhaus bedeutet. Ab 25 Metern Höhe gilt ein Gebäude als Hochhaus.

Es wird so sorglos dahergeplant- und bewilligt, wie wenn es die schon vorhandene Stadt nicht gäbe. Dazu braucht es zwei Verstösse gegen den Grundkonsens der Bau- und Zonenordnung: Den Verzicht auf den Nachweis der städtebaulichen Eignung und einen Gestaltungsplan, der zur Umgehung der Höhenbeschränkung missbraucht wird. 

Reklamation aus der Nachbarschaft

Drei Postings zurück konnten Sie die Aussteckung des Hochhauses auf dem Koch-Areal über die Stadt hinweg als Silhouette erkennen. Jetzt ist bei «zuerivitruv» eine Reklamation eingegangen: Das zugesandte Bild kommt inklusive Bemerkung aus der Nachbarschaft. Solche Bauten schädigen das Stadtbild im Grossen. Es geht Richtung «Wuhanisierung». Doch die seelisch spürbare Beeinträchtigung findet in der Nachbarschaft und im Quartier statt. Die Zahl der Betroffenen scheint gegenwärtig exponentiell zuzunehmen. Ist es Torschlusspanik die die Akteure treibt? Sieht sich die Bevölkerung wehrlos? Was macht die Politik angesichts der qualitativen Verluste in unserem Zürcher Lebensraum? 

«Trostlos» ist nicht mehr ganz das richtige Wort, denn zu dieser privaten Reklamation  gesellt sich aus Fachkreisen Widerstand. «zuerivitruv» wird bald über eine im September eingereichte Petition berichten: 

«Petition an den Gemeinderat der Stadt Zürich für eine lebensfreundliche und ökologische Stadtentwicklung»

Urbane Fehlleistung?

Wir erlauben uns einen näheren Blick auf das Scheibenhochhaus der HIAG. Das Muster «Flachbau am Boden / draufgestelltes Hochhaus» ist nichts neues. Entweder ist das Lever-Bürohochhaus in New York der Erstling, oder das SAS-Hochhaus in Kopenhagen – beide aus den fünfziger Jahren. Das Grundstück wird gefüllt, es bleibt keine Fläche für etwelches Grün. Dieses Baumuster wurde in der Folge überall auf der Welt – vor allem für Bürozwecke gebaut. Im Falle des UNO-Hochhauses am East River in New York erfüllt es zusammen mit dem berühmten Dachschwung seines Flachbaus eine bis heute anhaltende bedeutende Funktion für den Globus. Daraus ergibt sich die Berechtigung der städtebaulichen Geste. Joe Manser wurde im Helikopter zu diesem Headquarter geflogen; zumindest in dem ihm gewidmeten Film. 

Seltsam mutet an, dass diese überhohe Büroform der Stapelung von Familien bis auf 80 Meter Höhe hinauf dienen soll. Der krude Anwendungsfall entwickelt sich durch den Wohnzweck zu einem «Regal» oder einer «Legebatterie»; wie gemacht zum ab-zählen. Dass hier die Wohnkultur einer Stadt unterzugehen beginnt, ahnt jedermann. Schade für Zürich, dass solche Wohnformen behördliche Unterstützung erfahren, wenn man bedenkt, dass Paris bei vierfacher Wohndichte in seinem grossen Innenbereich ohne Hochhäuser auskommt.