Das Stolzehüsli

Im Kreis 6 laden neuerdings brandneue hellblaue Tische auf der Terrasse des «Stolze-Hüsli» zum Verweilen ein. Sollte das nicht genügen, bietet die sorgfältig gebaute Arkade Geborgenheit. Aus dem Innenraum kommen Getränke und leichte Speisen. Diese Geste des Willkommenseins an der Stolzewiese entspringt der Umwandlung eines vor bald 100 Jahren erstaunlich nobel geratenen Unterhaltsgebäudes dieses Freiraumes. 

Am anderen Ende der grossen Wiese liegt ein ausgereifter Spielplatz. Dazwischen die Weite des Grüns. Letzten Samstag faszinierte der Blick aus der Arkade über die grosse Wiese zu einer über die lange Zeit zusammengewachsenen Baumkulisse. Deren Äste wogten im Wind auf und ab. Auf beiden Seiten zeigten sich dahinter die Bauten der Riedtlisiedlung aus dem Jahr 1912 – ein überaus gelungenes Beispiel des damaligen (europäischen) Reformstädtebaus. Das Spannungsfeld über diesen grosszügigen Freiraum hinweg erlebte «zuerivitruv» intensiv und wohltuend. Man muss heute staunen, was hier in den Zwanzigerjahren an Städtebau gelungen ist. Dass die Anlage in der Quartiersubstanz versteckt ist, schneidet sie auf den Kreis 6 zu. Ob dies alles zusammen am letzten Samstag zu den erstaunlich vielen spontanen Gesprächen führte? Eine weitere Beobachtung: Nach der Lesung im Stolzehüsli begann sich am Rand der Wiese die Generation Z zu gruppieren. 

Ist hier, dank des Zusammenwirkens von privater Initiative und der Stadtverwaltung, neues Quartierleben am Gelingen? Erleben wir eine neue Form des urbanen Zusammenlebens? Jedenfalls ist die Stolzewiese ähnlich den Quaialagen (2 Postings zurück) eine Entwicklungsstufe weiter.

Der öffentliche Raum am Erwachen

Gemeint ist der für alle zugängliche und durch uns alle bespielbare Raum – ob in den vorzüglichen Quaianlagen, auf der Terrasse der ETH, dem Lindenhof, oder der Vielzahl der kleinen Anlagen. Es kommen neue dazu, indem bisherige neu inszeniert werden, wie kürzlich die Stolzewiese in Oberstrass durch die Öffnung des Service-Gebäudes als «Stolzehüsli». Es gibt eine Theke und neue hellblaue Tische. Das geschah schon früher in ähnlicher Art mit dem Servicepavillon auf der Josefswiese bei den Viaduktbögen. Oft verspürt man dort geradezu Feststimmung.                                             

Das sind alles Gedanken der «urban Governance» im Kleinen. Der schon oft erwähnte Haldenbach- und der Rigiplatz sind Beispiele solcher Geburten von öffentlichem Raum mit dem Ziel, unser Ambiente zu verbessern. In beiden Fällen wurde aus (wenig) Strassenraum rege genutzter Lebensraum. Unter der neuen Stadträtin Simone Brander (Tiefbau- und Entsorgungsdepartement) scheint sich eine «Volonté Générale» zu regen: Plötzlich betritt man hinter dem Globusprovisorium, wo für Jahrzehnte Öde herrschte, eine Anlage mit Bäumen und Bänken. Langsam erwacht der Lebensraum um sich nach Jahrzehnten «Pause» wieder neben dem Verkehrsraum zu behaupten. Mehr Velo und mehr VBZ machen es möglich. Es sitzen am Sonntag auch mehr Familien auf den Treppen und dem Platz auf der Talseite der ETH. Tatsächlich, es bewegt sich und plötzlich wird dann alles ziemlich anders sein: der öffentliche Raum und die Lebensart. Es sei hier an ein berühmtes Foto der Expo 1964 erinnert: Ein traurig dreinschauendes Kind auf dem Rücksitz des elterlichen Autos, das Kolonne fährt. Die Befreiung ist heute eine andere. Sie braucht anderen Raum. Dringlichkeit haben wir in den letzten Postings im Limmatraum gesehen.

Nach dem See noch Hoffnung an der Limmat?

In trister Stimmung haben wir im letzten Posting den Limmatraum verlassen, wollen aber nicht vergessen, dass es auch dort erfreuliche Abschnitte gibt: z.B. bei der Halfpipe und den angrenzenden Sport- und Badeplätzen. Diese Erholungszonen sind angesichts des heutigen Bedarfs (infolge der Aufhebung der Industriezonen 1990) jedoch längst zu klein geworden. 

Wir zeigen – jetzt wieder am See – dass ein schöner Ort Bauplätze schafft und Blüten trägt, die Stück um Stück über lange Zeit zum Tafelsilber der Stadt werden: Als Auftakt und nobles Wohnhaus 1900 das «Utoschloss», dann 1930 das Wohnhaus und Hotel «Bellerive au Lac» und 1934 das Appartementhaus «Frascati» mit mondänem Restaurant. Sind bei ihm die grossen Tücher ausgefahren, wähnt man sich auf hoher See. 

Es braucht Geduld, doch wenn die Stadt mit qualitätvoller Grundlage die Vorleistung erbringt, entstehen schöne Uferbauten: die Stimmung schaukelt sich auf.  An der Limmat haben wir bisher vergebens auf eben diese Grundlage gewartet. Soll auch unser Fluss schöne Geschichte schreiben, müssten die Fehlentscheide des letzten Jahres rückgängig gemacht werden um dann die Zukunft des Limmatraumes planen zu können. 

Quaianlagen schon 138 Jahre ein Erfolg – und der Limmatraum?

Unsere Quaianlagen sind das Zürcher Monument des guten Willens. Diese Sorgfalt, dieses immer wiederkehrende und wohlwollende Engagement resultiert in immer wieder neuer Blüte. Dazu gehört auch ein Beitrag des Publikums: Es hat sich im heissen Sommer 1976 die Wiesen und das Wasser zum freien Baden angeeignet. Die Quaianlagen sind ein Selbstläufer. Warum eigentlich das Wohlwollen? Wie ist es zu begreifen?: Da ist der Wurf von 1887, ohne den es nicht gegangen wäre. Diese Idee an diesem Ort hat die Kaskade der weiteren Geburten emotional begünstigt. Wir müssen uns keine Sorgen machen, die Quaianlagen laufen weiter. 

Wie sieht es an der Limmat aus? Die Frage stellt sich, weil die Stadt seit der Aufhebung der Industriezonen vor 35 Jahren nach Westen expandiert und dort ebenfalls dringend Erholungsräume braucht. Die Zukunft des Limmatraums ist letzten Sommer mit kräftiger Hilfe des Stadtrats und einiger Parteien zum Absturz gebracht worden. Der Stadtrat hat alles getan die Fehlplanung aus dem Jahr 2001 mit der Hochhauszone direkt an der Süd- und Lichtseite der Limmat zu erhalten: Sie hat einen Gegenvorschlag zur Uferschutzinitiatve mit Erhaltung der Hochhauszone gemacht! Die behutsame Sorge um unsere Stadt scheint abgebrochen zu sein. Doch der Rückzug im Hochbau und im Präsidium lässt 2026 auf gute Kandidaten im Stadtrat hoffen.   

Ein Sonntag im langen Leben der Quaianlagen

Sehen wir wo Zürich seit 138 Jahren ein durchgehender Erfolg ist: in den sechs Kilometern unserer Quaianlagen. Die Atmosphäre, die Auguste Renoir gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf seinem Bild «Bal du moulin de la Galette» so spektakulär einfing, können wir jeden Sonntag haben – und noch mehr! Da haben wir das Wasser, wo letzten Sonntag eine kühne Frau mit einem neuen motorlosen Vehikel die Gäste unter den Pappeln und Platanen in Erstaunen versetzte. Die Akustik war «Renoir» – alle Stimmen heiter, alle Geister aufgeweckt. Ein in Holzschindeln gedeckter Pavillon versorgte das kleine Meer von Tischen. Wer wollte, konnte unter den Ästen hindurch die Alpen sehen. Nicht zu vergessen: die neue Fischerstube selbst mit ihrem dick in Stroh gedeckten Dach. Wasser, Schilf: alles stimmt – eine Leistung unserer Generation. Gegen die Stadt hin zeigt sich weiteres Tafelsilber unseres Gemeinwesens: Die massiven Sandsteinplatten direkt am Wasser aus der Gartenbauausstellung 1959, die vermutlich schönste Skulptur von Henry Moore, die sich die Stadt aus seiner Freilichtausstellung herausgepickt hat. Schliesslich folgt die klassische Kastanienallee und am Bellevue die «Kathedrale» der Ulmen – das Konzept von den vier Baumgruppen an den Wurzeln der Quaibrücke, für die Stadtbaumeister Hermann Herter zwischen den Kriegen gesorgt hat.

Die Seele spricht

Geben wir dem Seelischen – bevor es weiter schwindet – eine Chance. 

Der Fremde gelangt an einem regnerischen Tag mit seinem Auto über die Ausfahrt «Hardturm» in unsere Stadt. Nach einer Weile empfangen ihn Banlieue-Türme. Er denkt: Da wohnen Menschen direkt über dem Autobahnzubringer! Nach der Kreuzung schaut er hastig nach oben: tatsächlich müssen hier Menschen mit erstaunlich wenig Fensterfläche auskommen. Warum stapelt man sie an diesem  Unort in die Höhe?

Erste Kommentare zur Tamdepôt-Hochhauswand

Viele Betroffene aus Quartieren beidseits der Limmat, die oft per Velo den nun beschatteten Wipkingerpark besuchen, weil es bei ihnen zu wenig Grün hat, beklagen im Gespräch die Beeinträchtigung des wertvollen Parks. Es ist nicht nur die Beschattung; es ist auch die erdrückende Betonkulisse, die in der Aussicht steht und die Limmat zu einem Restraum degradiert. Die Aufhebung der Industriezonen vor 35 Jahren liess damals hoffen, dass es dem Limmatraum bald besser gehe.

Die Klagen finden den Weg bis jetzt nicht in die grössere Öffentlichkeit, nicht zuletzt weil die Presse diesen städtebaulichen GAU noch nicht thematisiert hat. Ausnahmen sind die P.S.-Zeitung und der Höngger. 

Im digitalen Raum hingegen beginnt sich ein Echo aufzubauen. Im Bild ist ein Auszug auf Reddit dargestellt. Einer der Kommentare tadelt die Stadt – natürlich ohne zu wissen, dass sie in diesem Fall selbst Bauherrin war. Dass die Stadt hier an der Limmat selbst Stadt zerstört, macht die Sache nicht besser.