Abwärts- oder Aufwärtsspirale?

Das im vorherigen Posting beschriebene Beispiel für die städtebauliche Abwärtsspirale im zürcher Städtebau bedarf noch etwas tieferschürfender Betrachtung. Einfach ein Hochhaus in leichte Hanglagen mit gelungenem und qualitätvollem Stadtgewebe hineinzujassen, muss als solche Untat klar erkannt werden. Geschieht dies, kann der Volkswille, der eine schöne und lebenswerte europäische Stadt wünscht, in der Wahl der richtigen Kandidatinnen und Kandidaten für den Stadt- und Gemeinderat 2026 besser zum Ausdruck kommen. Eine Vorbedingung für eine Aufwärtsspirale in den nächsten Jahrzehnten?

Stadtbaukunst gehört zu Europa. Es gibt unzählige Bücher darüber und es wird nach wie vor heftig darüber debattiert – zwar auffällig wenig in der unserer Tagespresse. Damit wird in Zürich die Entstehung einer «Volonté Générale» behindert, was sich dann kurzfristig im Stadtbild niederschlägt, wie die Disruption von Quartier- und Stadtbild durch das geplante Hochhaus an der Üetlibergstrasse demonstriert. 

So unterschiedliche Orte und Epochen wie «Moray Place» (um 1830) in Edinburgh und “Letten” (um 1930) in Zürich zeigen uns, was sorgfältiger europäischer Städtebau leisten kann. In beiden Fällen sind Aussenräume geformt worden, die gut lesbar sind und dem Stadtleben Geborgenheit vermitteln. Ganz im Gegensatz zum beschriebenen Hochhaus, das einzig ein «Immobilienplacement» ist und nur unerfreuliche Resträume schafft. In Zürich war es die überaus glückliche personelle Verbindung des langjährigen Stadtrats Emil Klöti und dem von ihm ausgewählten Stadtbaumeister Hermann Herter, die den Bebauungsplan «Letten» und vieles mehr ermöglicht hat.

Spielverderber in Hanglage

   « Spielverderber in Hanglage »

Nachdem wir gesehen haben, dass die Stadt ein Fest der Farben sein kann, kehren wir in die harte Gegenwart Zürichs zurück: Es wird von unserer Administration alles getan, noch in dieser Legislatur (bis Frühling 2026) möglichst viele Hochhäuser durchzudrücken. Auch dort, wo sie städtebaulich nicht begründet sind. Damit wird eine Forderung in den Hochhausrichtlinien umgangen.

Der neuste Fall ereignet sich an der Üetlibergstrasse an der Kreuzung mit der Uetlibergbahn auf dem Grundstück der Bäckerei und Brotproduktion Buchmann. Das Grundstück liegt in leichter Hanglage mit qualitätvollen Siedlungen: Die zwei Gevierte der Gartensiedlung «Rebhügel» (oben Mitte), die beliebte Blockrandsiedlung «Tiergarten» (links) und die neuere Zeilenbebauung bei der Station der Üetlibergbahn. Alle Wohnungen dieser drei Siedlungen sind in guter Beziehung zu ihrer unmittelbaren Umgebung – ein Glück hier zu wohnen.

Jetzt hat sich eine Zuger Generalunternehmung das Grundstück (ganz unten rechts) von Buchmann gesichert um dort ein in dieser Gegend völlig unpassendes Hochhaus hinzustellen. Und wieder zeigt unser Hochbaudepartement die inzwischen üblich gewordene Willfährigkeit. Der «städtebauliche Gewinn» ist einmal mehr nicht gegeben. Besonders bedenklich ist, dass der Quartierverein das Vorhaben lobt. Es ist auch anzunehmen, dass das Baukollegium (dessen Mitglieder vom Amt für Städtebau eingesetzt werden) seinen Segen schon gespendet hat. Das ist das gegenwärtige Niveau des zürcher Städtebaus. Machen wir uns doch schon heute Gedanken zu den Stadtratswahlen anfangs März 2026. Zumindest im Hochbaudepartement, aber auch im Stadtpräsidium braucht es städtebauliche Kompetenz. Im ersteren ist das «Amt für Städtebau» lokalisiert im zweiten die «Stadtentwicklung».

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Anregend oder dumpf?

Es gibt etwas viel Depression in unsren Breiten. Hat das auch – ganz wenig natürlich – mit unseren Fassaden zu tun? Die grauen Saucen schwingen nicht. Gelingt Farbe im urbanen Kontext, dann hebt sie die Stimmung, wie dies ein Apéro tut. Eine Stadt kann solche Gefühlssprache – statt eines Gefühlsschweigens – inszenieren. Macht sie es nicht, fehlt ihr ein Arm oder ein Bein.

Vielleicht gibt es doch ein Bedürfnis des Menschen nach Wärme – auch im grossen Massstab des Städtebaus. Das beantwortet uns der im vorletzten Posting gemachte Ausflug ins römische Quartier Garbatella.

Über die zwölf Postings dieser Farbreihe haben wir uns langsam dem Kern der Bedeutung von Farbe in der Stadt angenähert. Die Stadtbäume, die grünen Hügel, der See und der gebaute Stadtkörper machen das Ensemble unserer Stadt. Darin ist der Anteil des Stadtkörpers pulsierend oder eben nur ein Schwarzweissfilm.

Bilder: Depot Hard, Zürichberg-/ Nägelistrasse, Karl-Marx Hof Wien

Zartfarbiger Kristallisationskern

Nach vorwiegend Rot in Garbatella kommt ein Sprung ins Hellblau. Der 1934 eingemeindete ehemalige Weiler Schwamendingen erhielt 1957 in seiner ursprünglichen Mitte einen städtischen Schwerpunkt mit Wohnungen, einer Ladenfront, einem Café «City» und einem 540-plätzigen Kino «Eden». Grundlage dafür war der Entwicklungsplan für dieses Stadtquartier aus dem Jahr 1948 von Stadtbaumeister und ETH-Professor Albert Heinrich Steiner. 

Der lange sechsgeschossige Zentrumsbau erhält seine ihm angemessene Ausstrahlung nicht nur durch die weit auskragenden Flugdächer, sondern auch durch die spezielle Farbgebung der Fassade: ein kräftiges Hellblau, das durch einen geschosshohen weissen Bandraster in Felder geteilt ist. Das farbige Dekor und die Flugdacharchitektur ergänzen sich zu einem Ganzen. Für Zürich fast schon rührend ist, dass das schon mehrfach erneuerte Farbkonzept immer noch dem Original folgt. Würde man es wegdenken («graue Sauce»), zerfiele die Persönlichkeit dieses Gebäudes.

Bekanntlich hat sich der Quartiermittelpunkt in über einem halben Jahrhundert ausgedehnt. Nebenan lagerten sich weitere Läden an, darunter sogar eine Filiale von Jelmoli, die wieder verschwand. Das Erfreulichste und Wichtigste ist jedoch der neue Schwamendingerplatz, auf dem in Zürich 1977 erstmals und erfolgreich Mischverkehr ausprobiert wurde.  Will man noch Farbe sehen, so winkt in Richtung Zürich der historische Gasthof Hirschen in seinem Dunkelrot. Heute ist alles zusammen ohne Farbe kaum denkbar.

Römische Farben im Quartier Garbatella

Schon weit im Lernprozess gediehen, haben wir die emotionale Schwingung von Farbe im Stadtraum erkannt. Architektur allein erreicht diese Schwelle nicht. Hier sei auch an die antiken Tempel erinnert, die ursprünglich bemalt, lasiert oder getönt gewesen sein sollen.  Begeben wir uns ins Stadtgewebe des römischen Wohnquartiers Garbatella das aus den Zwanzigerjahren das letzten Jahrhunderts stammt. Der überaus interessanten Entstehungsgeschichte muss sich ein anderes Posting widmen. Hier soll es um Farbe gehen.

Der Bildausschnitt oben rechts führt uns das wunderbare Alter von stark pigmentierten Kalkfarben vor – hier könnten es mehr als 90 Jahre sein. Neun Postings zurück sehen wir die selbe Technik in Zürich an der Stockerstrasse. Kalkfarbe ist matt, wirft das Licht wunderbar zurück und hält ewig.

Städte können mit Farbe «Glück» integrieren. Mit der heute bei uns üblich gewordenen verputzten Aussenisolation ist der Weg offen. 

Fotos: Cara Garbatella, unten rechts Evan Chakroff 

Stadtraum Hauptbahnhof 2050

Endlich kann der Bahnhofplatz urban werden! – Einer europäischen Stadt würdig! Die Stadt öffnet sich endlich wieder zum Bahnhof hin und umgekehrt. Das ist überall in Europa «normal». Doch noch Ende des letzten Jahrhunderts legte die Stadt Zürich die lange sperrige Tramhalle mitten auf den Platz. Der Klumpen (mit Reklamekästen) blockiert seither alles: die Sicht zu den Hotels, zur Bahnhofstrasse und die Fussgängerbewegung. «Nicht willkommen» ist die Botschaft gegenüber dem Ankommenden. 

Dieses Versagen an wichtiger Stelle ist – einmal mehr – Beleg dafür, dass es in unserer Stadt seit Jahrzehnten keinen Städtebau gibt – kein Denken ans Ganze.

Die gestern vorgestellten Pläne sind von Stadträtin Simone Brander als Vision mit der Etikette «2050» bezeichnet worden. Das ist was Zürich – besonders in einer Wachstumsphase – wie heute, dringend braucht. Ist es als Nebenprodukt sogar das Erwachen des Züricher Städtebaus? Für «zuerivitruv» ist es für eine Stellungnahme zum Projekt zu früh. Doch verbleibt er in der Hoffnung, dass Zürich seine Gestaltung wieder selbstbewusst in die Hand nimmt.