Das Geschäftshaus „Metropol“ von Heinrich Ernst

Vor Gull und Gaudi, nämlich schon 1892, realisierte Heinrich Ernst diesen ersten hundertprozentigen Geschäftsbau Zürichs. Um es vorwegzunehmen: eines der schönsten Geschäftshäuser Europas! Die Lage an der Limmat gibt ausgezeichnete Gelegenheit, es zu sehen.  Die Rückseite an der Fraumünsterstrasse enttäuscht ebenfalls nicht, denn das Gebäude besitzt Gestaltungselemente für die Nah- und Fernsicht. «Nah» sind es die funkelnden Erker mit abgeschrägten Seiten die aus jedem Blickwinkel eine Spiegelung zeigen. Dass sie erst oberhalb des Mezzaningeschosses auftreten, macht die Sache noch interessanter. «Fern» wirkt die einprägsame Silhouette mit den Rokkoko-Türmen und dem damals unglaublich fortschrittlichen Materialmix von 80% Glas und 20% Stein. «Ornamento alla Città» hätte Andrea Palladio gesagt.

Dass Schönes Nachteile habe, wie man hierzulande oft behauptet, stimmt überhaupt nicht, denn der Organisationsgrad des Grundrisses bietet grosse Vorteile für die Nutzbarkeit. Drei Flügel legen sich um einen Hof; fünf Treppentürme erschliessen die Grundrisse. Interessenten konnten eine Fünftel mieten, mehrere Fünftel oder gar die ganze Etage. Heute hat sich die Nationalbank mit Freude eingenistet. Auch der Trottoirbereich begeistert: Es gibt ein Mezzaningeschoss und auf der einen Seite eine Arkade, die das Mezzanin integriert. Gebäude wie das «Metropol» sind nicht nur einfach «schön» – sie sind «schön», weil sie gut gemacht sind und der Stadt etwas bringen.

Gustav Gulls erstaunlicher Baustein für Zürich

Die beiden vorangehenden Postings zeigten uns die Höhenteiligkeit von Gebäuden als wesentliches Element im europäischen urbanen Flachbau. Der Zürcher Gustav Gull baute 1907 sogar noch vor Antoni Gaudi in Barcelona sein Wohn-und Geschäftshaus am Werdmühleplatz. Es nutzte die neugeschaffenen Bauplätze am Urania-Durchstich durch den Lindenhofhügel. Man sagt, es sei der erste Betonskelettbau in Zürich. Effektiv: ein steinverkleideter Skelettbau.

Mit den Fassaden wurde ganze Arbeit geleistet. Grosse Öffnungen begünstigen die Geschäftsfronten im Erdgeschoss und im zugeordneten 1. Obergeschoss. Nach oben wird der Fenstertakt kleinteiliger um in einem auskragenden Bogenfries den oberen Abschluss zu finden. Der Wunsch der Bauherrschaft nach einer öffentlich zugänglichen Volkssternwarte wurde mittels eines Turmes mit Restaurant erfüllt.

Auch der Planungshintergrund ist interessant: Die Stadt verkaufte das Grundstück mit der Auflage «eine schöne, der Lage des Bauplatzes angemessene Baute zu erstellen». Ein erstes Projekt wurde abgelehnt, dann übernahm Gull mit seiner städtebaulichen Kenntnis wie oben beschrieben. Behörde, Bauherrschaft und Stadt legten guten Willen und Können an den Tag.

Wertvoller Baustein in Rom

An der aurelianischen Mauer finden wir dieses Juwel aus dem Jahr 1964. Architekten: Vincenzo, Fausto e Lucio Passarelli. Die Höhe der Oberkante dieser Stadtmauer aus dem dritten Jahrhundert springt als Funken auf das «Edificio polifunzionale» über und spaltet es. Unten, im Höhenbereich der antiken Mauer, Geschäftsfronten und Büroflächen, darüber Wohnungen. Das Traggerüst aus Bündelsäulen, die die Installationen enthalten, durchsticht alles. Ist das die Casa Milà des 20. Jahrhunderts? «Polifunzionale» ist beiden eigen. In Rom führte es zudem zu einem Gespräch über die Strasse hinweg. Wie bei Gaudis Casa Mià führt mehr Denken zum besseren Baustein in der Stadt und auch zur besseren Investition.

Idealer Baustein für die europäische Stadt

Wir müssen wieder lernen, gut an den öffentlichen Raum zu bauen. Wir müssen mit dem öffentlichen Raum sprechen. Hat dies jemand je besser getan, als Antoni Gaudi? Seine Casa Milà von 1909 schaut einem an und beginnt zu sprechen: Da ist der geräumige Hauseingang, da sind die Läden und darüber ein Mezzaningeschoss, die mit dem Trottoir kommunizieren. Darüber eine weitere Etage die zum Strassenraum spricht. Dann folgen die vier Wohngeschosse mit ihren privaten Balkonen. Für jede Höhenlage ist der Bezug zur Strasse für sich optimiert. Gelungen ist auch die Eckbildung des Strassenblocks. Das ist harte Arbeit, nicht einfach die x-fache Aufschichtung des Selben. Auf den ersten Blick werteten wir alle dieses Meisterstück ein Jahrhundert lang einfach als ein architektonisches Gaudi. Jetzt sehen wir, dass viel mehr dahinter steckt.

Die Casa Milà ist der ideale Baustein für eine europäische Stadt im urbanen Flachbau. Bauherren und Architekten sind jetzt aufgefordert, die Version für das 21. Jahrhundert zu formulieren. Wer veranstaltet den Architekturwettbewerb? Oder hat die Stadt Zürich das geeignete Grundstück? Auch Investoren könnten die Initiative ergreifen und der trostlosen Investorenarchitektur selbst ein triumphales Ende bereiten und der Stadt Zürich eine Ikone widmen. In Rom haben das 1964 die Architekten Vincenzo, Fausto e Lucio Passarelli gleich selbst gemacht: Edificio polifunzionale in Via Campania 59. Darüber ein anderes Mal.

Es muss etwas passieren

Die neueren Städtebaugeschichten von Zürich und Kopenhagen sind ähnlich. Nicht immer zeitgleich, aber mit den selben gesunden und kranken Perioden (Film «Best in the world» von Hans Christian Post). Kopenhagen stand nach 1980 am Tiefpunkt und vor dem Bankrott. Es brauchte eine Spritze, ähnlich wie Zürich kurz vor der Jahrtausendwende. Sie wurde in beiden Städten beim Developer und Grossinvestor gesucht und gefunden. In Zürich war das Produkt, wie im vorletzten Posting beschrieben, der Prime Tower. Inzwischen hat sich die Situation völlig verändert. Zürich ist längst zur boomenden Stadt geworden und die Probleme sind nicht mehr die der Schwachbrüstigkeit. Trotzdem läuft die Erweckungstherapie weiter. Es ist wie wenn der Anlasser immer noch betätigt wird, obwohl sich das Auto schon im fünften Gang in flotter Fahrt befindet. Dieser Führung vermissende Kotau vor dem Investor kann anhand des Heinrich-Areals gut beobachtet werden: Die baugesetzliche Ausnützungsziffer soll fast verdoppelt werden. Es wäre längst an der Zeit, dass die Bauämter die Zügel wieder in die Hand nehmen würden um die Stadt im Interesse der Bevölkerung zu entwickeln. Die Bauproduktion ist weder nachhaltig noch bezahlbar. Die ursprünglich erwünschte Investitionsmaschine ist, wie zur zeit auch in Kopenhagen, ausser Kontrolle geraten und die Monetarisierung des Wohnens auf dem Höhepunkt angelangt. Die Erwartungen an beide Stadtverwaltungen sind hoch.

Josef ff

Lehnt man sich nach dem Sturm ein wenig zurück, gewinnen folgende Eindrücke langsam Oberhand: Volumetrisch ist der Vorschlag der Stadt perfekt. Es gibt keine neuen Hochhäuser stadtseitig der Hardbrücke. Das hier vorherrschende Baumuster des urbanen Flachbaus wird respektiert und fortgesetzt und die neueren umliegenden und qualitätvollen Wohnanlagen mit hoher Dichte werden nicht von Hochhäusern bedrängt. Der Himmel bleibt offen.

Die Bauhöhen sind gut mitteleuropäisch und würden auf dem Areal interessantes und beziehungsreiches Wohnen erlauben. Der Vorschlag «ohne Hochhäuser» der Arbeitsgruppe «Josef will wohnen» muss unbedingt ans Tageslicht kommen, denn «lebenswert» ist eher im urbanen Flachbau zu realisieren, als gestapelt in Wohnsilos. Über die Nutzungsfrage – d.h. hier die von der Arbeitsgruppe verlangte Änderung des Zonenplans zugunsten von Wohnen muss diskutiert werden können. Nächsten Montag wird die Stadt an ihrer Veranstaltung informieren: 18.30, «Schütze», Heinrichstrasse 240, 8005 Zürich.

Josef ff

Die Veranstaltung «Josef will wohnen» war wegen der guten Besetzung sowohl auf Veranstalter- als auch auf Besucherseite eine Goldgrube für Städtebauer. Vieles kam auf den Tisch und bot ein interessantes Menu: «Inselurbanismus» wurde Zürich vorgeworfen – d.h. das Fehlen einer Gesamtsicht. «Viele einzelne Gestaltungspläne» und – weil sich immer die Grossinvestoren durchgesetzt hätten – das nach 20 Jahren doch eher enttäuschende Resultat in Zürich West. «Verfassungsmässige Mieten» seien gefragt, nicht die «Gentry-Burgen» im abgehobenen Hochformat. Keine Würfe, keine Vision – «jede Amtsstelle für sich». 

Vieles ist aus dem Umstand des konjunkturellen Darniederliegens um die Jahrhundertwende und der daraus resultierenden Panik erklärbar. Z.B. das verzweifelte Angeln nach Investoren mit dem Prime Tower als Galionsfigur (126, statt der erlaubten 80 Meter). Das verhinderte schon früh die Synthese aus privater Investition und dem Gestaltungswillen des Gemeinwesens. So ist es geblieben – das Gemeinwesen hat sich bis heute nicht erholt. Dieser aus der Versammlung resultierende Tour d’Horizon kann uns weiterhelfen. Wir müssen den Mut aufbringen, den von aussen (Energie/Klima/Treibhausgase) angestossenen Paradigmenwechsel (=Änderung der Leitsätze/Weltsicht) erstens in den Griff zu bekommen und zweitens umzusetzen. Ein Gehversuch: ab jetzt keine Fehler mehr bauen (low energy = low rise) und Fehlplanungen einstellen (z.B. Moratorium für Hochhausgebiete). Der in diesen Zeilen schon oft zitierte urbane Flachbau gewinnt Punkte, bauliche Kraftakte verlieren Terrain. Tiefwurzelnde Grossbäume müssen eine Rolle im Städtebau gewinnen. «zuerivitruv» setzt auf die kluge Bewältigung des Paradigmenwechsels.

Weiter mit Josef

Die vorerwähnte Veranstaltung ist als Diskussionsplattform von so grosser Bedeutung für Zürich, dass wir mit «Josef will wohnen» weiterfahren. Zwei Dinge werden immer klarer: Wir müssen uns schon aus Gründen von Energie und Treibhausgasen und auch der Wohnqualität vom Hochhauskonzept 2002 lösen und stattdessen gut gestaltetes Stadtgewebe anstreben. Hier hätte also der Vorstoss, der ja auch eine noch nicht gezeigte Flachbauvariante einschliesst, grosses Zukunftspotenzial. Das Geheimnis liegt im glücklich gestalteten Stadtgewebe, das dicht und durchgrünt Geborgenheit bietet. Das Gemeinwesen – die Stadt Zürich – sollte bauen lassen, was wir gerne bewohnen. 

Das Stadtgewebe ist hier mit wertvollen Bauten schon vorgezeichnet: Industriehof 1929, KVZ 1974, Technopark 1993, Steinfelsareal 1996, Viaduktbögen 2010, Kulturpark 2015, Puls 5 2004 und das Geschäftshaus Schiffbauplatz 2017. Die damit schon «gewobene» Vorgabe ist ein starkes Argument, stadtseits des Balkens der Hardbrücke – diesem starken Gestaltungselement von Zürich West – keine Hochhauszone vorzusehen. «zuerivitruv» hat in der Vernehmlassung über das Hochhausleitbild im letzten Februar eine entsprechende Einwendung gemacht.

Bilder: Barcelona, Wettbewerbsbeitrag Ernastrasse Zürich, Beiersfeld Hamburg