Vakuum in Zürich?

Die weit verbreitete Ablehnung, sich über den Limmatraum überhaupt Gedanken zu machen dauert schon über 30 Jahre an – seit der Entlassung grosser Gebiete von Zürich West aus der Industriezone. Das ist «Städtebauschwäche pur». Dafür zuständig wäre vor allem das Hochbaudepartement. In dieser baukulturellen Schwächephase können – wie im letzten Posting beschrieben – Fantasien ungehindert grassieren, die jegliche Diskussion über die Zukunft dieses Stadtteils ersticken. Die eingesickerte Absenz von Städtebau lässt kaum Zukunftsgedanken zu:  Man geht an die Prüfung, doch hat man die Klasse nicht besucht. Tragisch ist, dass Aufbauendes für den Limmatraum wie im feuchten Sand versinkt. Im Bericht der NZZ vom 4. September kommt der städtebauliche Unfall der Depôt-Hard-Hochhäuser mit der Beeinträchtigung des Wipkingerparks mit keinem Wort vor, obwohl solche Projekte der eigentliche Auslöser der Uferschutzinitiative sind. Das brutale Bauvorhaben bedeutet eine erhebliche Verletzung der Stadt. Doch der Schmerz scheint weder im Stadtrat noch im Lokalteil der NZZ wahrgenommen zu werden. 

«zuerivitruv» sucht etwas ratlos nach Plattformen, wo Städtebau überhaupt ein Thema sein könnte. Wäre da nicht noch die Präsidialabteilung mit der Abteilung für Stadtentwicklung? Paris hat eine Stadtpräsidentin, die sich in Städtebaufragen persönlich einbringt: Quais sind vom Verkehr befreit und die bisher einzige Olympiade, die sich in einem Stadtbild implementierte, hat diesen Sommer an der Seine stattgefunden. 

Das ist das unglaubliche Vakuum in der so prosperierenden Stadt Zürich! «Zuerivitruv» setzt auf die Bevölkerung. Nur sie kann dem Limmatraum mit einem deutlichen JA zur Uferschutzinitiative eine Zukunft verschaffen.

Politik und Schicksal des Limmatraums

Im Bild der Tisch des Unheils. Das sagen im Hintergrund die beiden Bemerkungen «Bauen verbieten?» und «Stadion verhindern?». Die Personen sind zu entlasten, weil hier vermutlich eine sogenannt pfiffige Werbeagentur getextet hat. 

Zu «Bauen verbieten?»: Innerhalb der geltenden Bauzonen der Stadt Zürich ist das Bauen grundsätzlich erlaubt. Nahe der Limmat finden sich sogar Bauzonen mit hoher Dichte. Gute Uferbebauungen, wie z.B. am See (Rotes Schloss / Frascati / Pyramide / Swiss Re), sind auch an der Limmat äusserst willkommen. Niemand ist dagegen. Das ist reine Unterstellung der Werbeagentur (oder doch der Parteien?).

Zu «Stadion verhindern?»: Der Gestaltungsplan für das Stadion ist schon vor Jahren beim Bauamt eingereicht worden, d.h. bei den Behörden in vollem Umfang aktenkundig und bewilligt. Der Stadtrat (Beschluss vom 21. Juni 2023) hat bestätigt, dass das Stadion nicht tangiert ist.

Die Bilanz: Es wird mit Verdächtigungen gearbeitet und damit die eigentliche Frage – die Zukunft des Limmatraums – fahrlässig oder absichtlich beiseitegeschoben. Für die Abstimmenden wird die Tatsache vernebelt, dass es um die Zukunft unseres Limmatraumes geht. Eine schicksalshafte Weichenstellung für die Zukunft unserer Stadt wird mit Verdächtigungen auf Glatteis bugsiert. Diese Taktik könnte früher oder später auf die Initianten zurückfallen. Ein Grund mehr, ein überzeugtes JA für die Uferschutzinitiative in die Urne zu werfen. 

Rettet den Limmatraum !!!

Die im Jahr 2001 im Limmatraum falsch platzierten Hochhauszonen haben üble Folgen. Sie sind bereits daran, den Limmatraum zu zerstören. Siehe die Bilder des letzten Postings. Darum ist es «letzte Eisenbahn», am 22. September für die Uferschutzinitiative ein Ja in die Urne zu legen. Wenn die Uferschutzinitiative scheitert, dann scheitert auch der Limmatraum. Denn dann wachsen die Hochhauswände auf der Sonnenseite des Flusses. Dann ist auch die Möglichkeit dahin, aus der Limmat einen wertvollen Bestandteil des neuen Stadtteils ZüriWest zu machen. Wird die erwünschte Bebauung im Rahmen der geltenden Bau- und Zonenordnung gehalten und Hochhäuser in der Nähe der Limmat ausgeschlossen, kann die Limmat offenen Himmel, Belüftung im Sommer und attraktiven Freiraum für die Bevölkerung bieten. Der Entscheid am 22. September ist für Zürich schicksalshaft.

Die rote Linie umrandet den Limmatraum. Nur hier sollen Hochhäuser ausgeschlossen sein. Hier freuen wir uns über gute Uferbauten im Rahnen der Bauordnung. In Klammer: der betroffene Bereich in der blauen Hochhauszone ist ganz klein.

Abstimmungskultur

Was wird gemacht?: Ein Zusammenhang, den es nicht gibt, wird geschmiedet um die längst fällige Gestaltung des Limmatraumes zu verhindern. Seit der Befreiung aus der Industriezone vor 30 Jahren sehen wir heute, dass bisher praktisch nichts für die Zukunft dieses Flussraumes unternommen wurde. In diesen Jahrzehnten hat sich Zürich nach Westen ausgedehnt und verdichtet sich seither in der Nachfolge der Industrie. Die Logik verlangt gleichzeitig die Entwicklung des Limmatraumes. 

1. Frage: Müssen wir zulassen, dass unterschobene Verdächtigungen (Stadion) diese bedeutende Schicksalsfrage für die Zukunft von Zürich überdecken?

2. Frage: Welche Interessen stehen wirklich hinter der Ablehnung der Uferschutzinitiative?

Dazu ein paar Überlegungen. Die Initiative ist sinnvoll, weil sie einen Hochhaus-Schattenkanal an der Limmat abwendet. Die Initiative erlaubt das Bauen im heute geltenden gesetzlichen Rahmen (Bau- und Zonenordnung). Der Ersatz von Industriestruktur durch schöne Uferbauten ist erwünscht und führt, wie vor über 100 Jahren mit den Quaianlagen am See geschehen, zu einer Aufwertung der Stadt. Ein anderer Aspekt ist die fehlerhafte Belegung des Südufers der Limmat mit Hochhauszonen im Jahr 2001. Daraus müssen Hochhauswände entstehen, die sich ins Licht stellen und das Südufer – wie die East Side von Manhattan – zur traurigen Küste machen. Stadtrat André Odermatt hält unnötigerweise an dieser fatalen Fehlplanung fest, denn seine Vorgänger richteten den Schaden an. Bilanz bis heute: Ein Kornturm steht im Wasser und beschattet Fluss, Badeanstalt und Quartier und beim beliebten Wipkingerpark eine Hochhauswand, die dort für immer vor Sonne und Aussicht stehen wird. Überwinden wir die Fehler der Vergangenheit und legen wir ein beherztes JA für die Uferschutzinitiative in die Urne.

Hardstrasse: Frage der urbanen Vitalität

«zuerivitruv» fischte das Zufallsbild einst aus dem Netz. Es ist seither nicht aus seinem urbanen Gedächtnis gewichen. Es macht uns vor, wie sich Leben unter einem «Flyover» installiert. Nicht nur das, es zeigt, dass die Autobahnbrücke wie ein Kristallisationskern für das Stadtleben wirkt. Natürlich braucht es eine gewisse «Konvexität» des Publikums. Das ist in Zürich West eher gegeben als im gemütlichen Stadtkern, wo man sich lieber in einer konkaven Arkade verkriecht (die man aber meist vergebens sucht).  

Amerika pflügte im letzten Jahrhundert mit Betonhighways in Hochlage durch und in die Städte. «Alles, aber auch wirklich alles im Autositz». Diese Philosophie war stadtzerstörerisch. «Stadt» interessierte in Amerika auch nicht gross. Europa hat die Übernahme dieser «Mode» inzwischen abgewiesen und erkannt, dass sie diametral gegen den Wert der europäischen Stadt geht. Das heisst aber nicht automatisch, dass wir dieses inzwischen in zentrale Lage geratenen Stück Stadtautobahn auf Ebene plus 1 abbrechen müssen. Nutzen wir doch die hochliegende und hier wenig schädliche Verkehrsbewältigung zur Gestaltung des Lebensraumes auf Ebene 0. Das ist vielleicht eine Frage des IQ, ganz sicher eine der Vitalität unserer Stadt.

Wann veranstalten die beiden Bauämter (Hoch-&Tief) einen Ideenwettbewerb? 

Die Schwirren von Zürich West

Aus Erfahrung des Seekrieges 1436-50 errichtete die Stadt Zürich Palisaden zum Zürichsee hin. Einziger und kontrollierter Durchlass war das Grendeltor. Damit schützte die Stadt ihren Limmatraum. «Schwirren» nannte man die dazu verwendeten Holzpfähle. Sie verhinderten das Anlanden feindlicher Schiffe. Jahrhunderte später finden wir erneut diese Schwirren, jedoch aus Eisen und auf Festland unter der Hardbrücke. Grund ist die 2011 zwischen die Tragpfeiler der Hardbrücke gepferchte neue Tramlinie nach Altstetten. Sie wirkt mit den Eisenschwirren seither als Verteidigungslinie zwischen den Quartierhälften links und rechts. Was schon zuvor mit Stützen und Parkplätzen teilte, ist seit Errichtung des Eisenschwirren noch undurchlässiger geworden. Wollte die Stadt Zürich ihr neues Quartier im Westen zweiteilen? Es liegt uns fern, bösen Willen zu unterstellen, doch ist es wieder ein Hinweis darauf, dass in unserer Stadt – wie Prof. Alain Tierstein sagte* – die «Urban Governance» fehlt: Die jahrelange Hochhaustreiberei und neuerdings die Verhinderung der Uferschutzinitiative absorbiert die Kräfte.

Zur Geschichte: 1974 baute die Stadt die Hardbrücke zur Bewältigung des privaten Grossverkehrs in Zeiten, als mit dem Expressstrassen-Y amerikanische Verhältnisse nachgeahmt werden sollten. In den Zehnerjahren unseres Jahrhunderts folgte die beschriebene reine Ingenieurlösung mit der neuen Tramlinie und ihren Schwirren. Jetzt ist die Zeit für den Befreiungsschlag gekommen: Damit das generöse Dach dem neuen Quartier zur Verfügung stehen kann, muss das Tam in Seitenlage der Strasse geführt werden. Es geht um die Freistellung und Erweckung des Daches für uns alle. Das Bild aus 13ème Arrondissement in Paris soll uns beflügeln.

*  S. 6 Themenheft Juni 2024 von Hochparterre

Die Hardstrasse als Rückgrat des Quartiers

Wir verlassen den durch die Hochhausrichtlinien bedrohten Limmatraum und schauen beim Limmatplatz und der Hardbrücke um die Ecke. Es beginnt mit hoffnungslosen Betonspaghetti über unseren Köpfen. Nachts geht es uns besser, weil beim letzten Umbau des Betondeckels aussenkant im Rahmen von Plan Lumière zwei Lichtbänder angefügt wurden. Das macht den negativ empfundenen Deckel bei Dunkelheit zum faszinierenden Gestaltungselement im sonst nicht gerade einnehmenden Quartier: ein Brett, das durch die Luft saust. Diese nächtliche Faszination brachte «zuerivitruv» schon vor Jahren zum städtebaulichen Fantasieren. In Lagos hat er einen lebhaften Markt unter einer Autobahnrampe zur Kenntnis genommen und in Paris im 13ème Arrondissement ein Quartierfest mit unendlich langem Tisch unter der Metallkonstruktion der Métro Aérien. Abgehängte Lampen und eine Unterfütterung mit einem Plafond könnten genügen, Leben einzuladen. Die schon bestehenden Cafés/Restaurants könnten zueinander finden. Was das Quartier heute trennt, wird künftig dessen Rückgrat. 

Die bisherigen Postings in Sachen Hardbrücke: 7. September 2022, 31. Dezember 2021, 14. Und 11. Dezember 2021. 

Das jahrzehntelange Dagegensein gegen die Hardbrücke hat nichts gebracht und wird auch in Zukunft nichts bewirken. Und ein wenig Grüngehänge bringt für die stolze Stadt Zürich auch klimatisch zu wenig. Der Schatten, der Regenschutz und das gemeinschaftsfördernde Dach als Rückgrat des bisher nicht konsolidierten Neuquartiers könnte zur Volonté Générale von Zürich West werden. Ein Projekt, das den zerteilten neuen Stadtteil zusammenbringt. Wie das technisch gelöst werden kann, sagt das nächste Posting.

Ist die Stadtgestaltung dem Boom gewachsen?

Für die Stadt Zürich sind «Little big City» und andere Kosenamen im Umlauf. Sind sie das dramatische Zeichen von Identitätssuche einer Stadt im Wachstum? Wir sind nicht Paris, doch kann uns kaum eine Stadt seit Jahrhunderten «die gestaltete Evolution im Wachstum» besser vorführen. Gibt es bei uns wenigstens eine Diskussion über Stadtgestaltung im gegenwärtigen Wachstum? «zuerivitruv» kann ausser einem missratenen Stoppelfeld von Hochhäusern aus jüngster Zeit nicht viel erkennen. Der Stadt- und eine Mehrheit des Gemeinderats haben eine Uferschutzinitiative kürzlich abgelehnt. Immerhin wird bald darüber abgestimmt – ein Referendum ist zustande gekommen und das Volk hat seine Chance. Der Gegenvorschlag aus dem Amt bringt viele Worte, kümmert sich aber vor allem um die längst nicht mehr angebrachte Beibehaltung von Hochhausstandorten am Fluss und nahe dem Fluss. Städtebaulich geradezu dilettantisch ist die Anordnung der Hochhauszonen auf der Südseite, denn die Türme bauen einerseits eine dunkle Kulisse im Gegenlicht auf und anderseits beschatten sie Wasser und Gegenufer. Soll Zürich wie New York eine triste Eastside erhalten? Durch Fehlplanung getriebebn?

Für die in unserer Stadt Lebenden ist rechtzeitiges Aufwachen angesagt. Der Boom müsste seitens der Behörden klug gelenkt sein, ansonsten droht die fortgesetzte Zementierung von nicht mehr rückgängig zu machenden Fehlern.

Heitere Uferbebauung: Speich-Areal bei der Hardbrücke

Tristesse am Fluss: die Tramdepôt-Hochhäuser