Blockrand, Blockrand …

   « Blockrand, Blockrand, … »

Bei diesem Wort können die Wellen hochgehen. Doch viele Städte sind so und nicht andres bebaut: Barcelona, Turin (Bild 1), gewisse Berliner und auch Zürcher Quartiere. Grundlage ist ein Strassenraster kreuz und quer; die Häuser folgen den Rändern und es entstehen dabei Höfe, die sich pro Haus ausrichten, oder aber geräumig dem ganzen Geviert dienen. Oft kommt Abneigung gegenüber der Abgeschlossenheit auf; manchmal aber Dankbarkeit für die von Lärm u.a. geschützte Innenfläche. Kopenhagen bot lange Jahre Unterstützung für die Zusammenlegung,  Optimierung und Gestaltung der aus verschiedenen Bauepochen stammenden Höfe. Im Blockrand steckt Entwicklungspotenzial. Unschlagbar ist er mit der Maximierung der Geschossflächen, weil er diese aussenkant der Gevierte geradezu kumuliert.

Das Thema muss im Zusammenhang von Energie, Klima und CO2 neu betrachtet werden. Der Fokus ist zu öffnen, es gibt Alternativen, oder zumindest interessante Derivate. Wir haben in Zürich auch klug gestellte Blöcke, die brauchbare Aussenräume bilden: die Siedlung «Mehr als Wohnen» Leutschenbach und als Vorläufer die farbigen Würfel der «Sugus-Siedlung» an der Zollstrasse beim Hauptbahnhof. Googeln wir EMI (Bild 2) und andere jüngere Architekten, sehen wir bemerkenswert ortsangepasste Baugruppen. Nicht wenige breiten sich um die immer wichtiger werdenden tiefwurzelnden Grossbäume herum aus. Diese neue Synthese von Baum & Haus ist unserer Zeit angepasst.

Die Vielfalt ist gross – wichtig ist, dass die Bauten auch bezüglich dem Lebensraum ausserhalb der Häuser wertvolle Räume bilden und sich mit 4-6 (maximal 8) Etagen im Rahmen des urbanen Flachbaus halten. Nur in dieser Kombination ist Dichte mit den Anforderungen bezüglich grauer Energie, Betriebsenergie und CO2 vereinbar. Hochhäuser und Einfamilienhausteppiche fallen ausser Betracht.

UBS: Gestaltungs- oder Verunstaltungsplan?

Die Übertretung der geltenden Bauvorschriften ist in zweierlei Hinsicht krass: 108 statt 80 Meter Höhe und noch viel gravierender: 750 statt 350 % Ausnutzung des Grundstücks. Wer meinte, Baugesetze gelten für alle, wird hier eines Besseren belehrt. Der Zonenplan, der mit seinen feinen Abstufungen die Volumetrik der Stadt Zürich ausmacht, ist Makulatur. 

Sollte der Koloss jemals gebaut werden, würden sich die Kennzahlen im erdrückenden Volumen manifestieren. 350% sind für Zürich sehr viel und 750% bedeuten «Hong-Kong». Die Visualisierung (PD) tut ihr Bestes, denn die Grösse des «Mockens» wird nicht im Zusammenhang mit der Umgebung dargestellt. Die auf den schmalen Zürcher Trottoirs noch möglichen Bäume sind zu gross geraten – man wird sich auf schmalen «Schamrändern» bewegen. Das Vorgehen ist so dreist, dass eine «Plaza» zur Milderung des Volumens kaltschnäuzig werggelassen wird.

Warum ist niemand entsetzt? Die Baupolitik bedient sich klug ausgewählter Nicht-Information. Von der über doppelten Übernutzung wird im Tages-Anzeiger nicht gesprochen und in der NZZ nur in Zahlen, aber ohne jegliche Erläuterung zur Masse. Anästhesie ist auch das Rezept der Ämter: keine schlafenden Hunde wecken, denn schon die den Wipkingerpark erschlagenden Tram-Depôt-Hochhäuser wurden bisher geschluckt. Wenn von Behörde, Bauherrschaft und Presse alles getan wird, den Koloss in Wort und Bild als luftiges Hochhaus darzustellen, bekommt der Abstimmungskampf eine heroische Dimension. Wer Zürich nur ein wenig gerne hat, wird dem viel zu voluminös geratenen Gestaltungsplan eine Absage erteilen. Als erster Schritt zur Wiederherstellung der aus den Angeln gehobenen Demokratie.

Die gute europäische Stadt

   « Die gute europäische Stadt »

Nachdem Zürich seit zwanzig Jahren seine Hochhäuser in Streubauweise über die halbe Stadt wuchern lässt und dazu noch in der letzten Volksabstimmung mit dem Südufer der Limmat an einem der dümmsten Orte für künftigen Hochhausbau gesorgt hat, wollen wir nach diesen Enttäuschungen einen Blick nach Europa werfen. Warum? Weil Zürich einmal «gut» war und weil wir uns von bösen Geistern nicht unterkriegen lassen: Auch die heute lebende Generation erwartet eine Stadt mit Gestaltungskraft.

Machen wir beides: Schauen wir ins Grosse und ins Kleine um der guten europäischen Stadt näher zu kommen. Paris zeichnete sich schon immer durch die Sorge ums Grosse aus. Ab dem Betriebsunfall der schwarzen Tour Montparnasse 1967 wachsen die Hochhäuser ausserhalb der Stadt in der Défense. Ebenso wichtig ist das ungeschriebene Gesetz, dass nur Bauten im öffentlichen Interesse den seit Haussmann geltenden Höhenplafonds überschreiten dürfen: Eiffelturm, Grand Palais und Centre Pompidou. Das bringt Weite, Orientierung und Lesbarkeit der Stadt. Und das erlaubte den Autoren Emmanuel Macron und Anne Hidalgo als Krönung des Prinzips erstmals in dieser Welt die Einbettung der Olympiade ins Stadtbild

Im Kleinen: Um 1980 beeindruckte Barcelona durch die Revitalisierung/Schaffung von 60 Plätzen im Stadtgewebe. Gegenwärtig interpretiert Barcelona seinen dicht bebauten quadratischen Strassenraster neu. Jeweils neun Inseln werden in «Superilles» (Inseln) zusammengefasst. Im Inneren entstehen vier weitgehend verkehrsfreie Plätze, die den Anwohnern als Lebensraum dienen. Die Person dahinter: Vizebürgermeisterin Janet Sanz.

Limmatjournalismus

Wenn wir schon die jahrzehntelange Absenz des (behördlichen) Städtebaus in Zürich und seine dramatischen Folgen in der gegenwärtigen Boomphase beklagt haben, lohnt sich auch ein Blick auf die demokratiestützende Presse. 

Die letzte Folio-Ausgabe der NZZ machte Nabelschau der Presse einschliesslich sich selbst. zuerivitruv hat vor zwei Wochen einen Kommentar zu deren Posting auf Instagram geschrieben. Sie sehen ihn im Bild. Er wurde nicht entfernt – Chapeau!

Wenn sich das behördliche Ungenügen mit dem unkritischen Journalismus einer Lokalredaktion paart, kann eine Abstimmung tatsächlich abstürzen. Es ergaben sich über 67% Nein. Ohne ähnliche Aktionen des Tages-Anzeigers wäre es nicht zu dieser Zahl gekommen. Der Fall ist ein gefundenes Fressen für die Medienwissenschaften. Ob es zu Einsehen oder gar Reue kommt, oder ob die Dampfwalze eiskalt weiterfährt, wird sich weisen. Im zweiten Fall können daraus weitere Schäden resultieren.

Herbstferien

Alle sind fort – denken wir also ungestört über die Stadt Zürich nach! Das Begräbnis der Zukunft des äusseren Limmatraums hinter uns habend, reiben wir uns die Augen. Der Sonntagsspaziergang im inneren Limmatraum ist überwältigend. Die vielen Sitzgelegenheiten, der Korso, die Stufen der Riviera zum Wasser und auf beiden Seiten die poetischen Sophoren. Das alles wurde einst gemacht. Da gab es (noch) eine Volonté Générale in unserer Stadt. Linksufrig musste das Kratzquartier weichen und der Stadthausquai konnte neu gestaltet werden. Sein grünes Gusseisengeländer und die Bäume vor den neuen Prachtsbauten, wie das Stadthaus, die (ehemalige) Fraumünsterpost und vor allem das Haus Metropol sind ein beeindruckendes Ensemble. Rechtsufrig ist eine Synthese zwischen Alt und Neu gelungen. Die Altstadthäuser stehen mit ihren «Vorderhufen» nicht mehr im Waser. Hier ist ein Quai vorgelagert worden.

Den selben Mut müsste Zürich auch bei der Gestaltung der äusseren Limmat wieder finden. Es wird nicht mehr mit «Prunk» geschehen, denn wir stehen im Paradigmenwechsel Energie/Klima/CO2. Sollte die Aufgeschlossenheit fehlen, bedarf es auch eines Wechsels der Equipen.

Sie sehen, nach dem Untergang in der Abstimmung regen sich die Geister bereits wieder. Warum? Weil Zürich einmal «gut» war und weil wir uns von bösen Geistern nicht unterkriegen lassen. Auch die heute lebende Generation erwartet eine Stadt mit Gestaltungskraft.

Opfer des Vakuums im Städtebau

Der erste Tote ist da. Der Limmatraum ist in der Abstimmung über die Uferschutzinitiative an einer letalen Dosis Fussball gestorben. Solche Opfer haben ihren Vorlauf – gehen wir durch zwanzig Jahre Stadiongeschichte: 

Um 2005 präsentierte man uns ein Monumentalstadion so hoch wie das Grossmünster, doch in der Fläche dutzende Male grösser. Der Stadiontrichter und der korpulente Shopping-Center-Mantel reichten ins Grundwasser neben der Limmat. Es folgte ein internationaler Wettbewerb, der Tage nach seiner Auslobung annulliert wurde. Das Stadion starb an der Grösse seiner unsinnigen Kombination. In einer Volksabstimmung 2013 versank äusserst knapp ein überaus erfreuliches Stadionprojekt mit umlaufenden Arkaden, die auch mit der Umgebung kommuniziert hätten. Dann übernahm die Stadt aus der Schweizer Provinz die Idee der «Marazzipackung»: Die Finanzierung von Stadien durch Hochhäuser. Doch diese wurden infolge der Renditekalkulation viel zu hoch – mit 137 Metern 57 Meter über den erlaubten 80 Metern. Das musste die Umgebung und den Wohnhang von Höngg, in dessen Gesicht sie gestellt werden sollten, provozieren. Der Streit war unausweichlich und hat schon vieles vergiftet. Unter anderem diente das missratene Stadionprojekt als Waffe zur Versenkung der Uferschutzinitiative. Damit sind wir beim eingangs erwähnten ersten Toten angelangt.

Ausgelöst durch Zürichs jahrzehntelanges Vakuum im Städtebau ist es dazu gekommen, dass Streit herrscht und dass Fussball zur letalen Waffe gegen den Limmatraum werden konnte.

Limmatraum und der Paradigmenwechsel

   « Limmatraum und der Paradigmenwechsel »

Wir stehen im Paradigmenwechsel bezüglich Energie/Klima/CO2: Alles, was zu viel Energie konsumiert, muss vermieden werden. Das Hochhaus ist wegen beidem in Frage gestellt: der grauen Energie bei der Erstellung und der Betriebsenergie über die gesamte Lebensdauer. Das bekannte Forschungspapier «Decoupling density from tallness …» (Internet) der Universitäten Cambridge UK und Boulder Colorado USA stellt es grundsätzlich infrage. In «low rise / high density» liegt einzig die Zukunft.

Wenn Stadtrat André Odermatt sogar auf der Sonnenseite des Limmatraums durchs Band den Weiterbau einer Hochhauswand sichern will, ist das mit Blick auf die Zukunft besonders grotesk. Dass er sich auch dort für das Hochhaus exponiert, wo es das noch junge Pflänzchen des von der Industrie befreiten Limmatraumes überhaupt nicht erträgt, muss aufhorchen lassen. Ein Lobbyist für das fragwürdig gewordene Hochhaus? Ein Lobbyist für die Beibehaltung der falsch platzierten Hochhauszone auf der Südseite der Limmat? Ein Lobbyist in wessen Interesse?

Unteres Bild: Depôt-Hard-Hochhäuser beschatten den Wipkingerpark.

Analgesie im Limmatraum

Die Vorgeschichte, wie aus den früheren Postings ersichtlich, beunruhigt in mannigfacher Hinsicht und die Suche nach Erklärung des Desasters – und des ausbleibenden Schmerzes – soll ausnahmsweise einmal bei der Medizin anklopfen. Warum versenkt eine Stadt einen Teil ihres Lebensraums und nimmt ihm sogar noch seine Zukunftsperspektive? Lesen Sie im Bild, was die Medizin sagt. Was mit der Volksabstimmung geschah, ist das Erwürgen von etwas, das man liebhaben und pflegen sollte, doch man gab ihm den Schuh. 

Warum?

«Arashyama» heisst der Vergnügungsbereich am Fluss von Kyoto. «zuerivitruv» hat ihn erlebt: Lampions, Glitzern des Wassers bei Tag und Nacht, Gaststätten, Fröhlichkeit. In Europa hat die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, mit der Aufwertung der Ufer der Seine Paris für die einmalige Olymiade 2024 tauglich gemacht. Doch Zürich zieht es vor, den Fluss mit Hochhäusern ins «Schwitzchäschtli» zu nehmen. Dabei darf es wohl nicht bleiben.