Josef will wohnen

Die Architekturzeitschrift Hochparterre bringt im Themenheft dieses Oktobers Vorschläge für das Josef-Areal mit mehr Wohnungen als der städtische Gestaltungsplan, der sich an den geltenden Zonenplan hält (Zone für öffentliche Bauten, keine Wohnnutzung). Letzten Donnerstag haben Hochparterre zusammen mit der Hamasil-Stiftung einen gut besuchten Abend mit viel Prominenz organisiert. Zwischenbemerkung: Wie bei den qualitätsvollen Veranstaltungen des ZAZ (Zentrum Architektur Zürich) hat sich die Presse auch hier rar gemacht. Der Abend verlief mit Diversität von Äusserungen ruhig und am Schluss mit erkennbarem Meinungsprofil.

Bald zeigte sich, dass den vorgeschlagenen Hochhäusern aus verschiedenen Gründen (Soziales, Energie/CO2) keine Liebe entgegengebracht wurde. Ein Vorschlag ohne Hochhäuser bestehe zwar, wurde aber nicht präsentiert. Es ist zu hoffen, dass er bald ans Tageslicht kommt. Zeigt dies, dass die Änderung des Klimas (real in °C und in der Städtebauphilosophie) seit dem Erlass der Hochhauszonen von 2001 noch nicht überall Fuss gefasst hat? Und dass Zürich noch immer unkritisch im Hochhausfieber verharrt? Auf grosses Wohlwollen ist jedoch die Absicht der Veranstalter gestossen, dem Wohnen im wenig wohnlichen Zürich West mit einer Änderung des Zonenplans kräftig Raum zu verschaffen. Starke Durchgrünung und Bewegungsräume mit grosszügigen Alleen waren Worte der Podiumsteilnehmerin Brigitte Fürer. Das ging alles eher in Richtung Stadtgewebe als in den Bau von weiteren isolierten Türmen. Das Hochbaudepartement der Stadt Zürich wird nächstens mit einer eigenen Veranstaltung aufwarten.

Bilder: Hochparterre / Allen+Crippa Architektur

Folge 3

S z e n a r i e n

Eine Aussage ist interessant: Der Umzug aus einem high density / low rise -Gebiet in ein Gebiet mit high density / high rise resultiert in einer 140%-Zunahme der Treibhausgasemissionen. 

Gebäudehöhe hat einen entscheidenden Einfluss auf die Treibhausgasemissionen, während dem das für die Dichte nicht der Fall ist. Oder: In dichter Bebauung kann die selbe Bevölkerung bei low rise / high density zu drastisch geringeren Emissionen behaust werden.

I n t e r n e t a d r e s s e :

Decoupling density from tallness in analysing the life cycle greenhouse gas emissions of cities 

https://doi.org/10.1038/s42949-021-00034-w )

Oder: «Decoupling tallness from density» (im Internet eingeben)

Die Verfasser: Franco Pomponi, Ruth Saint, Jay H. Arehart, Niaz Gharavi, Bernardino D’Amico University of Cambridge UK & University of Boulder Colorado USA, 5 July 2021

Folge 2

R e s u l t a t e  /  I l l u s t r a t i o n e n 

Jedes urbane Gebiet ist in seiner Ausformung geografisch, ökonomisch und kulturell bedingt unterschiedlich. Doch die darin vorkommenden Bautypen und deren Dichte bilden eine gemeinsame bewertbare Grundlage. Um dem übergeordneten Kriterium des Totals der Treibhausgasemissionen näher zu kommen, wird die Dichte von der Gebäudehöhe getrennt und die Baumasse in vier Kategorien von urbanen Typologien unterteilt und gemessen: high density/high rise, low density/high rise, high density/low rise, low density/low rise (Fig. 1 der Studie). 

Ein erster Test bringt bei konstanter Bevölkerungsdichte in Fig. 2 die Treibhausgasemissionen bei verschiedenen Bauhöhen (Grösse der Bubbles) zur Darstellung und Fig. 4 zeigt bei verschiedenen Bevölkerungsdichten die Zunahme der Emissionen mit den Gebäudehöhen (Orange und Rot für die höchsten Werte).

Dass es zu einer Neubewertung kommt, kann nicht verwundern. Ein paar Vergleichszahlen sollen einen Eindruck vermitteln: Für Midtown Manhattan ein Dichtefaktor von 54.5 und ein Schlankheits/Höhenfaktorfaktor von 54.2. Für den Zentrumsbereich von Paris ein Dichtefaktor von 62.6 und ein Schlackheits/Höhenfaktor von 7.5. Aussage: die Höhe braucht es nicht für die Dichte und die Höhe ist energetisch immer nachteilig.

Wissenschaftliches Forschungspapier

Gegenstand dieses wissenschaftlichen Forschungspapiers der Universitäten Cambridge und Boulder Colorado sind einerseits die weltweite Bevölkerungszunahme und anderseits die Erkenntnis, dass Städte die grössten Treibhausgasemittenten sind. Als Messkriterium gilt deshalb das Total der Treibhausemissionen – der treibende Faktor der Klimaerwärmung.

Erstmals wird Dichte von der Gebäudehöhe entkoppelt. Wenn, wie bisher geglaubt wird, grössere Höhen brächten mehr Dichte, wird die Energie- und Emissionsfrage ausser Acht gelassen, denn das bedrohendste Problem ist das Total der weltweiten Treibhausgasemissionen. Sie werden in dieser Studie deshalb zum Hauptkriterium erhoben. Wo liegt das Optimum im Städtebau? Die «Stachelstadt» aus Hochhäusern mit ihrer Energieverschwendung im Bau und Betrieb kann es nicht sein. Diese ursprüngliche Büro-Bauform hat zudem auch zu grosse Nachteile für das Wohnen. Die Studie zeigt, dass in Stadtteilen mit grossen Gebäudehöhen die Menge der produzierten Treibhausgase, ungeachtet der Dichte, höher liegt. Anzustreben ist eine Verdichtung ohne Zunahme der Bauhöhen: «high density / low rise».

Als Ergänzung der Zusammenfassung finden Sie unten den Link zum Original. Zur Zeit der vorgeschlagenen Revision des Zürcher Hochhausleitbilds können jetzt grundlegende Fragen erstmals wissenschaftlich beantwortet werden. Die Erkenntnisse der Studie erlauben es, die Vorlage kritisch zu beurteilen. 

E i n l e i t u n g

Wenn überbaute Gebiete die grösste Quelle von Treibhausgasemissionen sind, bringen optimale Nutzung des Raums und effiziente Bautypen grosse Einsparungen.  

Bisher wurde die Energiefrage zu eng gefasst. Nötig ist die Berechnung des Energiebedarfs über den ganzen Lebenszyklus von Bauten und Siedlungen: Vom Erz, der Gewinnung und Transport der Rohstoffe, den Bauprodukten, der Konstruktion, dem langjährigen Betrieb, dem Unterhalt und Rückbau. Entscheidend ist die CO2-Bilanz über alles. Auch die Bauform spielt eine grosse Rolle: erdnahe Kompaktheit ist günstig, schlanke Hochhaus-«Stacheln» sind ungünstig. Notwendig ist das Vorhandensein von ausreichend Tageslicht. Die Stadtgestalt kommt erstmals als Ganzes in den Fokus der Forschung. 

Was hat Städtebau mit CO2 zu tun?

Wie im letzten Posting angekündigt, kommt jetzt die Übersetzung und Zusammenfassung des bereits am 12. Und 14. Juni besprochenen Forschungspapiers «Decoupling tallness from density … » – aus Platzgründen in mehreren Postings.

Kein anderes als dieses Jahr macht bisher so klar deutlich, dass der Klimagalopp aufgehalten werden muss. Welches ist dabei das Schlüsselkriterium? Es ist das Total der Treibhausgasemissionen (CO2). Das Forschungspapier macht die Brücke zu den Städten als den grössten Emittenten. Dabei kommt der Bauform grosse Bedeutung zu. Werden die Erkenntnisse beachtet, wären wir schon auf dem richtigen Weg. 

Stadtbild – Abbild des Gemeinwesens: GENF

Wie Zürich ist auch Genf eine See-End-Stadt mit Hügelzügen. Altstadt und später entstandene Blockrandbebauungen machen das Stadtbild aus. Über die Zeit sind gut lesbare Stadtkörper entstanden. In den 50er- und 60er Jahren poppten ganz wenige und kleinere Hochhäuser daraus hervor. 1984 hiess in Zürich die Bevölkerung ein Hochhaus-Ausschlussgebiet gut. Doch mit dem Erlass von Hochhauszonen 2001 ausserhalb dieses zentralen Gebiets hat Zürich den guteuropäischen Pfad verlassen. Genf setzt, wie die Postings vom 20. und 28.  September zeigten, auf verdichteten urbanen Flachbau und zieht «Stadtgewebe» den «isolierten Türmen» vor. Auch aus sozialen Gründen.

Die diesjährige Zunahme von Klimaereignissen rund um den Globus macht klar, dass die Prophezeiungen des Club of Rome und anderen Institutionen jetzt mit grosser Konsequenz eintreffen. Das Klima muss im Städtebau endlich Eingang finden. Nimmt man die Emission von Treibhausgase als oberstes Kriterium, fallen die Hochhäuser aus dem Repertoire. «Zuerivitruv» verweist nochmals auf das Forschungspapier «Decoupling tallness from density …» (so im Internet eingeben) und lässt eine zusammenfassende Übersetzung im nächsten Posting folgen.

Stadtbild – Abbild des Gemeinwesens

Etwas forsch gesagt lässt sich in jüngerer Zeit im Stadtbild der Gemeinwesen gut ablesen, ob sie sich für Stadt und Bevölkerung engagieren oder den Baulöwen erliegen. In diesem Spanungsfeld ist zu sagen, dass erfolgreiche Gemeinden die Bauproduktion, auch die der Baulöwen, so steuern, dass jeweils ein Beitrag und nicht ein Schaden resultiert.

Buchs SG und Neuhausen am Reheinfall sind zwei Negativbeispiele. «Chez Fritz» heisst das Hochhaus in Buchs, das wie die Faust aufs Auge in die Stadt vor der eindrücklichen Bergkette passt. In Neuhausen steht noch mehr auf dem Spiel: der Rheinfall und damit etwas vom Tafelsilber der Schweiz. Schon immer von niedrigen Industriebauten bedrängt, soll das nationale Wahrzeichen – unsere Niagara-Fälle – jetzt zu Füssen von Hochhäusern fliessen. Tragisch ist, dass der Besucher des einmaligen Naturereignisses den Wasserfall nur zusammen mit den Spekulationstürmen sehen kann, während die Hochhausbewohner die schöne Sicht des Rheinfalls zusammen mit dem Schloss Laufen haben. Mit den Touristenfotos gerät das Versagen des schweizerischen Gemeinwesens in alle Welt.

Bilder: «Chez Fritz» Buchs, «Rhyfalltower» Neuhausen, Niagara Falls

Schachmatt für den Wipkingerpark

«zuerivitruv» ist schon seit August 2020 unterwegs. Daraus resultiert ein Spannungsfeld, indem einst besprochene und beurteilte Projekte plötzlich Realität werden. So geschehen mit dem städtischen Projekt der Tramdepôt-Hochhäuser an der Limmat, direkt gegenüber dem Wipkingerpark. Der Architekturwettbewerb hat an dieser Lage am Fluss zu recht Hochhäuser ausgeschossen. Die Jury handelte zuwider. «zuerivitruv» warnte vor der Beeinträchtigung des Parks am 19. Oktober 2022, am 6. Oktober 2021 («Eigengoal an der Limmat»), am 30. September und 28. August 2020.

Jetzt ist es soweit: Die beiden Wohnsilos wachsen gegenüber dem Park und seinen Stufen am Wasser mit grosser Brutalität aus der Uferzone. Sie stehen im Licht, die Limmat hat ihr Glitzern verloren. Die wärmenden Strahlen in den Wintermonaten sind Vergangenheit. Es herrscht traurige East Side (Manhattan). Der in Wipkingen dringend benötigte Park hat für immer an Wert verloren. Zu recht will die Uferschutzinitiative den in Zürich fehlenden Städtebau entlang den Gewässern wettmachen. 

Mit den beiden neuen Genfer Quartieren ACACIAS und Belle-Terre hat «zuerivitruv» vor kurzem beschrieben, wie zeitgemässer und klimagerechter Städtebau aussehen könnte. Bauen lässt sich nicht korrigieren – planen heisst vorausschauen.

Bild: Lorenz Steinmann, Quartierzeitungen Züriberg/Zürich Nord