Fragen an die SP

Bezahlbare Wohnungen – das ist Kerngebiet der Politik der SP. Offenbar nicht so in der Stadt Zürich. Hochhauswohnungen sind nicht «bezahlbar», sie kosten 20-40% mehr. Der Stadtrat, der wider diese Erkenntnis und wider neue Erkenntnisse bezüglich Energie/Klima/CO2 immer noch Hochhausförderung betreibt und mit neuen Hochhausrichtlinien in noch grösseren Gebieten sogar noch beschleunigen will, gehört der SP an. 

Haben wir da einen Heraklit-Fall? Sein Spruch über Wahrheit: «Durch ihre Unglaubhaftigkeit entzieht sich die Wahrheit dem Erkanntwerden».

Emil Klöti (SP) löste in seiner langen Karriere als Stadtrat und dann Stadtpräsident (bis 1942) die Wohnungsprobleme. Er startete 1915 mit einem internationalen Städtebauwettbewerb. Der 1. Weltkrieg kam dazwischen, doch die Erkenntnisse flossen in die Stadtplanung ein. Heute verlangen folgende Fragen eine Antwort:

  • Wie soll bezahlbarer Wohnraum entstehen?
  • Wann startet der klimagerechte Städtebau?

Verortung

Viele fragen sich, warum der sonst so wohnungszugewandte Stadtrat und vor allem das Hochbaudepartement immer auf der Seite der Hochhausbauer zu finden ist und dafür weniger Einsatz für die bezahlbaren Wohnungen im urbanen Flachbau (4-6 Etagen) zeigt. Das Fragwürdige wird über das Notwendige gestellt. Einen guten Überblick über Hochhausprojekte findet sich auf Seite 17 im Tages-Anzeiger vom 29. April. Im Wald der Immobilienpublikationen ist eine Erklärung aufgetaucht. Sie sehen die Titelseite im Bild. Das ist die Welt der Grossinvestoren, die in einer guten Stadt willkommen sind, doch im Sinne der «Volonté Générale» geführt werden müssen. Vor der einzelnen «Investition» kommt der Städtebau, und: «Städtebau kommt vor Architektur» sagte die frühere Stadtbaumeisterin von Schlieren, Barbara Meyer, in der prominenten Architekturzeitschrift «WERK, bauen+wohnen». Es ist die Pflicht, die Immobilienproduktion entsprechend dem Bedarf der Gemeinschaft zu formen. Wir wollen eine schöne, bezahlbare und eine lebenswerte Stadt. Oder verkommt Zürich zum reinen Investitionsplayground? 

Laterales Denken

Das laterale Denken (Edward de Bono 1967) soll hier zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und heute hergestellt werden. Ulrich, Bürkli, Semper würden heute Odermatt (Gügler), Brander (Rangosch) und Gigon Guyer heissen. Das wären Hochbau, Tiefbau und Architekten. Das gefährdete Gut ist nicht mehr der See (siehe letztes Posting), sondern – weil sich die Stadt nach Westen entwickelt – u.a. der Limmatraum. Die Hochhauslobby ist heute die Lobby des Falschen: zu hohe Mieten (+ 20-40%), Absonderung der Bewohner, Schädigung von Nachbarschaft und Stadtbild, etc. Die neuen Kriterien Energie, Klima und CO2 schliessen das Hochhaus aus. Auf der Sonnenseite der Limmat stehend, würden Hochhäuser den Fluss zum elenden Schattenkanal degradieren, ihm das Glitzern nehmen und eine dunkle Kulisse im Gegenlicht bescheren. Ein Schaden für immer.

Die Bilanz ist zwar glasklar, doch hören wir monatlich von der Bewilligung neuer Hochhausprojekte. Das neuste: UBS in Altstetten mit einer Bauhöhe von 108 Metern. Das sind 28 Meter mehr als die um den Bahnhof Altstetten geltende Limite von 80 Metern erlaubt. Das heisst, dass grosse Akteure und willfährige Ämter sich gemeinsam der Realität verschliessen und mit dreist zunehmendem Takt in Zürich den Wildwuchs der Hochhäuser fortschreiben. Im 19. Jahrhundert ist der drohende Eisenbahnring an den Ufern des Sees abgewendet worden. Heute wird der Wildwuchs der Hochhäuser gefördert. Das ist die Erklärung für das Auseinanderklaffen der Qualität des Wachstums der beiden Epochen: Um 1900 entstand die prächtige Stadt, heute ein Stoppelfeld von Hochhäusern.  

Zürcher Städtebau zu Ende des 19. Jahrhunderts

Ja, brillant am Fin de Sciècle! Angesichts dieses Resultats und angesichts der heutigen «Performance» ist es interessant, ein wenig hinter die Kulissen von dazumal zu schauen. Damit eine Stadt gelingt, braucht es besonders in ihren grossen Bauperioden die Vision, die Planung einerseits (vorgeordnet) und die Architektur anderseits (nachgeordnet). Den Rahmen des Bildes und darin die Pinselstriche. Vielleicht das Wichtigste sind aber rückblickend gesehen die Persönlichkeiten.

Die Persönlichkeiten an den Schalthebeln waren Ende des 19. Jahrhunderts wichtiger, als alles andere. Z.B. gab es immer die Lobbyisten des Falschen. Beispielsweise gewichtige Personen, die es der SBB ermöglichen wollten, einen dröhnenden Eisenbahnring um das rechte Ufer und über die Quaibrücke zu legen: Güterschuppen statt Kieswege, Alleen und schöne Geländer am Wasser. Hätte diese Gruppe gesiegt, wäre es späteren Generationen aufgebürdet gewesen, sich dieses eisernen Rings wieder entledigen zu müssen. Zur negativen Bilanz wäre dann noch der Verlust von Jahrzehnten von Leben am See gekommen. 

Diese Fähigkeit der Stadtgestaltung scheint heute verloren gegangen zu sein. Sowohl im kleinen als auch im grossen Städtebau. So ist kürzlich der seit der Befreiung aus der Industriezone dahindümpelnde Limmatraum im Gemeinderat untergegangen. Und noch immer trennt eine doppelte Pfostenreihe der VBZ das neue Quartier beidseits der Harbrücke.

Bilder: Arnold Bürkli (Quaianlagen) und Gottfried Semper (ETH-Gebäude) 

Endlich Aussicht auf Städtebau !

Die zweite grosse Bauperiode Zürichs dauert immer noch an. Die erste gegen Ende des 19. Jahrhunderts war erfolgreich und führte im Wachstum zu einer sehr schönen Stadt. Das gegenwärtige «Vollgas» – praktisch ohne städtebauliche Führung und Vorstellung – entbehrt nicht einer gewissen Tragik, denn Planen und Bauen hat eternellen Charakter und die Planungs- und Baukultur der tätigen Generation wird gnadenlos gespiegelt. Unter anderem der unkontrollierte Wildwuchs in viel zu grossen Hochhauszonen. 

Die Zeitschrift «Hochparterre» platzte kürzlich mit der sensationellen Neuigkeit in diese Leere: «Endlich gibt es einen Master Städtebau». Dürfen wir hoffen? Da kann uns ein Blick in die Vergangenheit helfen: Alfred Escher suchte bei der Gründung der ETH in Zürich um 1860 einen geeigneten Lehrer für die Bauschule. Richard Wagner schlug seinen damaligen Kampfgenossen im missglückten bürgerlichen Aufstand 1848 in Dresden, Gottfried Semper, vor. Damit begründete er die Architektengeneration, die später die Zürcher Palastbautradition hervorbrachte. Das «Metropol» am Limmatquai gehörte dazu. Die Gemeinde Zürich erkannte die Wachstumsphase und gestaltete sie: Stadtbaumeister Caspar Conrad Ulrich und Stadtingenieur Arnold Bürkli machten Pläne für u.a. die Bahnhofstrasse und umarmten das Seebecken mit den Quaianlagen 1887. Bleibt die Frage, wann in unserer grossen Bauperiode die ersten Schüler in die Praxis ausgreifen. Mit 5-10 Jahren ist zu rechnen. Zu spät?

Aufbruch zu einer neuen urbanen Baukultur?

Hier ein Holzbau-Beispiel, das sich bereits 12 Jahre bewährt hat: Die «Giesserei» in Neu-Hegi / Winterthur. Pflanzenbaustoffe sind überall denkbar, auch in der Stadt. Vor uns haben wir einen 6-stöckigen Blockrandtypus mit Innenhof, in Holzskelettbauweise erstellt, ausser den Fluchtwegen (Treppenhäuser). Das realisierte Projekt der Architekten Galli Rudolf führt uns urbane Dichte vor. Das soll den allenfalls zu pflanzlichen Eindruck des letzen Postings korrigieren: städtische Dichte ist möglich. Was die Ästhetik angeht, haben wir hier einen schönen Versuch, wie sich mit Holzlasuren ein freundlicher Ausdruck erreichen lässt. Also keine Angst vor einer braunen hölzigen Stadt. Wir kennen das schon aus dem Appenzell: Die weit aussen liegenden Bauernhäuser kamen braun und hölzig daher; die den Dörfern nähergelegenen gestrichen. Oft in Hellocker als Grundton für Dekormalereien. Ähnliches geschah im Emmental. Es stellt sich schon fast die Frage, ob wir durch die Hintertür an Traditionen anknüpfen.

Es kann wirklich sein, dass wir – die heute leben – Zeugen des Aufbruchs zu einer neuen urbanen Baukultur werden. Eigentlich müsste es so kommen, wenn die Aspekte Energie, Klima und CO2 ernst genommen werden. Das Puzzlestück «Haus» wartet dann auf seinen Partner «Baum». Als Ganzes ergibt sich das Bild einer dichten und durch tiefwurzelnde Grossbäume stark durchgrünten Stadt. 

An Stelle von altmodischer Hochhausklotzerei

Zwei Auslöser provozierten dieses Posting: Das überaus warme Frühlingswetter und das Eintreffen der neusten Ausgabe 4-2024 der Architekturzeitschrift «WERK bauen+wohnen». Während dem im Amt weiter an der Neuauflage der Hochhausrichtlinien gearbeitet wird, bringt das WERK eine Ausgabe mit dem Titel «Pflanzenbaustoffe». Das geht von Flechtwerken aus Gras über weitere Pflanzenbaustoffe (Stroh, Kork, Holz), und Lehm bis zur klugen Ergänzung von Gebäuden durch tiefwurzelnde Grossbäume im Strassenraum. Das ist nichts anderes als die kühne Übersetzung des gegenwärtigen Paradigmenwechsels Energie/Klima/CO2 in die Realität: Geringere oder gar Vermeidung der Produktion von CO2, aber auch das Binden von CO2 werden getestet. 

Wie in den wunderbaren Konstruktionsbüchern der Vergangenheit werden dieselben Darstellungsmethoden, wie zum Beispiel Axonometrien, doch mit völlig anderem Inhalt präsentiert. Da wird jetzt am Laufband erfunden! Etwas Berauschendes liegt in der Luft und die schon altmodisch gewordene energieintensive Zürcher Hochhaustreiberei verkommt dabei zum störenden Nebengeräusch. Viele Höhenräusche müssen einmal enden. In der Zürcher Realität könnte das im guten Fall so aussehen: Der Gemeinderat legt die Hochhausrichtlinien auf Eis und beauftragt den Stadtrat stattdessen mit der Ausarbeitung einer Vorlage für den klimagerechten Städtebau. Damit wäre der Paradigmenwechsel auch in der Stadtzürcher Baupolitik angekommen.

Digital und Analog im Zürcher Städtebau

Wir kennen die Karte mit den Hochhausgebieten, die entlang der Limmat vorgeschlagen sind. Der Protestknopf – eine Errungenschaft der Siebzigerjahre – ist thematisch aufdatiert. «ich kann auch analog» könnte versuchen, uns zu sagen, dass die Planungsfelder in Limmatnähe fern des realen Stadtgewebes am Computer ausgelegt worden sind. Wie es scheint, eiskalt und ohne stadtkörperliche Ortskenntnis: Null % Stadtgestaltung, nur % Ausnutzungs- und Bauhöhenverteilung. 

Wir sprachen auf «zuerivitruv» schon früher von der Notwendigkeit der Stadtgestaltung in unserer zweiten grossen Bauperiode (die erste um das Ende des 19. Jahrhunderts). Seit J.J. Rousseau spricht man von «Volonté Générale». Von einer solchen kann nicht gesprochen sein, wenn auf der Seite der Limmat, wo die Sonne scheint, eine Hochhauswand errichtet wird und den Fluss zu einem Schattenkanal macht; etwa so wie es am East River auf Manhattan geschehen ist. Die Limmat war lange genug ein Industriekanal und wartet seit der Aufhebung der Industriezonen vor etwa dreissig Jahren auf eine Entwicklung zu Gunsten der Bevölkerung. Mit dem Verschwinden der Industrie drängt das vielfältige Stadtleben an die Limmat.