Die Miami-Methode

Wo es keinen Städtebau gibt – gibt es keine schöne Stadt. Im letzten Posting war die Rede von der Stadtgestalt als Zivilisations- und Würdefrage, und von der Duldung von disruptiven Investitionsschlaumeiereien im Zusammenhang mit dem zürcher Hochhauswildwuchs. Warum haben wir hier eine offene Flanke? Warum werden wir so leicht Beute der wirkenden Kräfte? Ein Grund ist die gegenwärtig schwache Baukultur. Der andere liegt in unserer geringen Kenntnis der Akteure. Darum greift «zuerivitruv» mit seinem Bildbeispiel über den Atlantik, wo solche Organisationen ihren Ursprung haben. Als Beispiel dient Miami: Der Developer und Oak Capital (der Investor) sind genannt, anschliessend folgt die Garnitur des Smalltalks: «the towers façade is taking on its full sculptural expression along the shoreline”.

Das Gemeinwesen Miami hat sich als Abnickbehörde aus dem Spiel genommen. Es scheint niemanden zu stören, dass die Küste mit solchen Kästen zugemauert wird und die ganze Stadt dahinter nichts mehr von ihrer Lage am Meer mitbekommt. Viele amerikanische Städte sind inzwischen zu solchen Investitionsfeldern verkommen. Im Bild rechts: London.

Europäer sehen ihre Stadt, spüren sie, verfolgen ihre Entwicklung. Es gibt, wie Bern mit seiner einmaligen Stadtstruktur und Zürich mit seinen prächtigen Qaianlagen, eine Herkunft. Dies verspürend, könnte die Bürgerschaft wissen wollen, was der nächste Schritt sei. Die Konsequenz wäre, dass das Gemeinwesen den Investoren eine klare Vorstellung gibt (so wurde das Haussmann-Paris zur schönen Stadt). Die Pensionskassen sollten die Verantwortung ihren Versicherten gegenüber wahrnehmen. Bei den internationalen Immobilienfonds ist vermutlich eine stärkere Hand erforderlich.

Spezialrendite für Stadtbildzerstörung

Nicht Ideal: Es rentiert, wenn es das Stadtbild zerstört. Gemeint ist das Hochhaus als Investitionsgut, wenn es sich mit über 7 Etagen über alle anderen erhebt, weil sich die Aussicht mit zunehmender Etage in Form einer Aussichtsprämie verkaufen lässt. Das ist Business für die ganz Grossen und die Stadtbehörde hilft ihnen kräftig bei der Umsetzung dieses fragwürdigen Geschäfts. Es geht bei dieser Einseitigkeit auf Kosten von uns allen: einmal beim Stadtbild, das es mit dem Hochhaus-Stoppelfeld zerstört, und dann um die in die Höhe gestapelten Kinder ohne Bodenbezug und wenig Spielkameraden. 

Um das Jahr 2000 war der Erlass der Zürcher Hochhausgebiete aus der Rezessionsangst der neunziger Jahre und aus verspäteter und undifferenzierter New York-Anbetung – einem Manhattanismus – begreiflich. Auch wenn es die falsche Medizin gewesen ist. Und infolge des zürcher Baubooms ist jede Ankurbelungsmassnahme seit Jahrzehnten hinfällig geworden. Inzwischen ist nicht zuletzt durch den bekannten Dänen Jan Gehl der menschengerechte Städtebau formuliert worden (u.a. 2012 sein Film «The Human Scale»). Sein Büro bearbeitet weltweit Mandate für Städte. Zürich hat ihn einst «wieder ausgeladen».

Für eine gute europäische Stadtbehörde ist es eine Zivilisations- und Würdefrage, ob sie solche oben erwähnte Investitionsschlaumeiereien mit sich machen lässt; und für die abstimmende Bevölkerung eine Frage, wie viel Opfer sie bereit ist, täglich in ihrem Angesicht zu ertragen. Wie der öffentliche Raum müsste auch das Stadtbild und die Form der Baukuben in der Nachbarschaft Gegenstand der Demokratie sein.

Milano – Zurigo

«Italiens Boom-Town wankt” titelte die NZZ am 26. Juli 2025. Die Stadt tue sich schwer im Umgang mit dem Wachstum. Für wen werden die Hochhäuser gebaut? Wer sind die Bewohner? Die Sache sei aus dem Ruder gelaufen. Und: «Es hätte einen Plan gebraucht». Der bekannte Architekt und emeritierte Professor für Geschichte des Städtebaus Vittorio Magnago Lampugnani stellt fest, dass Mailand letztmals 1926 einen städtebaulichen Wettbewerb veranstaltet habe. Zürich steht nicht besser da: 1915 unter Stadtrat Emil Klöti.

Dann kamen Bilder auf Instagram. Die einen zeigten Demonstranten vor der Kulisse des Doms, andere besorgte Bürger, die die Einmauerung von guten Wohnvierteln durch «grattacieli» beklagen: «il sole qui va via a mezzogiorno» und «vedevamo il parco, ora ci sono due mostri».

In diesen beiden Städten ist die uneuropäische Turmseuche ausgebrochen. Dass Hochhauswohnungen teurer und nicht bezahlbar sind, ist im Mailand längst bekannt. Ebenso, dass Türme in Wohnvierteln ein Unglück sind.

Die Milanesi sind erwacht – wann erwachen die Zurighesi?

Next please!

Die Legislative geht mit den Wahlen 2026 zu Ende. Ist es Torschlusspanik der Administration Odermatt? Als ob das Heu noch vor dem Regen ins Tenn eingebracht werden müsse, schiessen jetzt noch Hochhäuser aus den Wohnquartieren heraus. Von links nach rechts: Uetlibergstrasse/Binz ist ausgeschrieben, «Sphinx» mit Kleinwohnungen beim Triemli wird bald bezogen, Koch-Areal in Albisrieden wächst empor, Hochhaus «Alto» an der Baslerstrasse hat seine Höhe erreicht, ebenso das städtische Altersheim an der Hohlstrasse und die Hochhäuser über dem Tramdepot Hard, dann das Hochhaus einer Genossenschaft in Schwamendingen, das ausgesteckt ist.

Abwärts- oder Aufwärtsspirale?

Das im vorherigen Posting beschriebene Beispiel für die städtebauliche Abwärtsspirale im zürcher Städtebau bedarf noch etwas tieferschürfender Betrachtung. Einfach ein Hochhaus in leichte Hanglagen mit gelungenem und qualitätvollem Stadtgewebe hineinzujassen, muss als solche Untat klar erkannt werden. Geschieht dies, kann der Volkswille, der eine schöne und lebenswerte europäische Stadt wünscht, in der Wahl der richtigen Kandidatinnen und Kandidaten für den Stadt- und Gemeinderat 2026 besser zum Ausdruck kommen. Eine Vorbedingung für eine Aufwärtsspirale in den nächsten Jahrzehnten?

Stadtbaukunst gehört zu Europa. Es gibt unzählige Bücher darüber und es wird nach wie vor heftig darüber debattiert – zwar auffällig wenig in der unserer Tagespresse. Damit wird in Zürich die Entstehung einer «Volonté Générale» behindert, was sich dann kurzfristig im Stadtbild niederschlägt, wie die Disruption von Quartier- und Stadtbild durch das geplante Hochhaus an der Üetlibergstrasse demonstriert. 

So unterschiedliche Orte und Epochen wie «Moray Place» (um 1830) in Edinburgh und “Letten” (um 1930) in Zürich zeigen uns, was sorgfältiger europäischer Städtebau leisten kann. In beiden Fällen sind Aussenräume geformt worden, die gut lesbar sind und dem Stadtleben Geborgenheit vermitteln. Ganz im Gegensatz zum beschriebenen Hochhaus, das einzig ein «Immobilienplacement» ist und nur unerfreuliche Resträume schafft. In Zürich war es die überaus glückliche personelle Verbindung des langjährigen Stadtrats Emil Klöti und dem von ihm ausgewählten Stadtbaumeister Hermann Herter, die den Bebauungsplan «Letten» und vieles mehr ermöglicht hat.

Spielverderber in Hanglage

   « Spielverderber in Hanglage »

Nachdem wir gesehen haben, dass die Stadt ein Fest der Farben sein kann, kehren wir in die harte Gegenwart Zürichs zurück: Es wird von unserer Administration alles getan, noch in dieser Legislatur (bis Frühling 2026) möglichst viele Hochhäuser durchzudrücken. Auch dort, wo sie städtebaulich nicht begründet sind. Damit wird eine Forderung in den Hochhausrichtlinien umgangen.

Der neuste Fall ereignet sich an der Üetlibergstrasse an der Kreuzung mit der Uetlibergbahn auf dem Grundstück der Bäckerei und Brotproduktion Buchmann. Das Grundstück liegt in leichter Hanglage mit qualitätvollen Siedlungen: Die zwei Gevierte der Gartensiedlung «Rebhügel» (oben Mitte), die beliebte Blockrandsiedlung «Tiergarten» (links) und die neuere Zeilenbebauung bei der Station der Üetlibergbahn. Alle Wohnungen dieser drei Siedlungen sind in guter Beziehung zu ihrer unmittelbaren Umgebung – ein Glück hier zu wohnen.

Jetzt hat sich eine Zuger Generalunternehmung das Grundstück (ganz unten rechts) von Buchmann gesichert um dort ein in dieser Gegend völlig unpassendes Hochhaus hinzustellen. Und wieder zeigt unser Hochbaudepartement die inzwischen üblich gewordene Willfährigkeit. Der «städtebauliche Gewinn» ist einmal mehr nicht gegeben. Besonders bedenklich ist, dass der Quartierverein das Vorhaben lobt. Es ist auch anzunehmen, dass das Baukollegium (dessen Mitglieder vom Amt für Städtebau eingesetzt werden) seinen Segen schon gespendet hat. Das ist das gegenwärtige Niveau des zürcher Städtebaus. Machen wir uns doch schon heute Gedanken zu den Stadtratswahlen anfangs März 2026. Zumindest im Hochbaudepartement, aber auch im Stadtpräsidium braucht es städtebauliche Kompetenz. Im ersteren ist das «Amt für Städtebau» lokalisiert im zweiten die «Stadtentwicklung».

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Anregend oder dumpf?

Es gibt etwas viel Depression in unsren Breiten. Hat das auch – ganz wenig natürlich – mit unseren Fassaden zu tun? Die grauen Saucen schwingen nicht. Gelingt Farbe im urbanen Kontext, dann hebt sie die Stimmung, wie dies ein Apéro tut. Eine Stadt kann solche Gefühlssprache – statt eines Gefühlsschweigens – inszenieren. Macht sie es nicht, fehlt ihr ein Arm oder ein Bein.

Vielleicht gibt es doch ein Bedürfnis des Menschen nach Wärme – auch im grossen Massstab des Städtebaus. Das beantwortet uns der im vorletzten Posting gemachte Ausflug ins römische Quartier Garbatella.

Über die zwölf Postings dieser Farbreihe haben wir uns langsam dem Kern der Bedeutung von Farbe in der Stadt angenähert. Die Stadtbäume, die grünen Hügel, der See und der gebaute Stadtkörper machen das Ensemble unserer Stadt. Darin ist der Anteil des Stadtkörpers pulsierend oder eben nur ein Schwarzweissfilm.

Bilder: Depot Hard, Zürichberg-/ Nägelistrasse, Karl-Marx Hof Wien

Zartfarbiger Kristallisationskern

Nach vorwiegend Rot in Garbatella kommt ein Sprung ins Hellblau. Der 1934 eingemeindete ehemalige Weiler Schwamendingen erhielt 1957 in seiner ursprünglichen Mitte einen städtischen Schwerpunkt mit Wohnungen, einer Ladenfront, einem Café «City» und einem 540-plätzigen Kino «Eden». Grundlage dafür war der Entwicklungsplan für dieses Stadtquartier aus dem Jahr 1948 von Stadtbaumeister und ETH-Professor Albert Heinrich Steiner. 

Der lange sechsgeschossige Zentrumsbau erhält seine ihm angemessene Ausstrahlung nicht nur durch die weit auskragenden Flugdächer, sondern auch durch die spezielle Farbgebung der Fassade: ein kräftiges Hellblau, das durch einen geschosshohen weissen Bandraster in Felder geteilt ist. Das farbige Dekor und die Flugdacharchitektur ergänzen sich zu einem Ganzen. Für Zürich fast schon rührend ist, dass das schon mehrfach erneuerte Farbkonzept immer noch dem Original folgt. Würde man es wegdenken («graue Sauce»), zerfiele die Persönlichkeit dieses Gebäudes.

Bekanntlich hat sich der Quartiermittelpunkt in über einem halben Jahrhundert ausgedehnt. Nebenan lagerten sich weitere Läden an, darunter sogar eine Filiale von Jelmoli, die wieder verschwand. Das Erfreulichste und Wichtigste ist jedoch der neue Schwamendingerplatz, auf dem in Zürich 1977 erstmals und erfolgreich Mischverkehr ausprobiert wurde.  Will man noch Farbe sehen, so winkt in Richtung Zürich der historische Gasthof Hirschen in seinem Dunkelrot. Heute ist alles zusammen ohne Farbe kaum denkbar.