Sinnvolle Stadt-Volumetrik

Wir haben genug über die heute angesagten Themen, wie Bauökologie, Stadtklima und Wohnsoziologie geschrieben. Auch die ans Tageslicht gekommenen «Hochhaus-Visionen» des Bauamts wurden porträtiert. Jetzt unternimmt «zuerivitruv» den Versuch einer Synthese. Übrigens sind alle dazu eingeladen: die Bürgerschaft, das Stadtzürcher Hochbaudepartement mit seinem Amt für Städtebau und last but not least: die Architekten.

«Da günstig und ökologisch bauen bei 4-höchstens 6 Etagen aufhört, ist urbaner Flachbau angesagt. Das lässt auch den Luftaustausch in unserer insbesondere im Sommer schwachwindigen Stadt am Leben. Mit diesen eminent europäischen Bauhöhen kann Baum und Haus mit Beschattung, Sauerstoffproduktion und Verdunstungskühlung eine Synthese eingehen.»

Im Winterbild der Haldenbachplatz in Zürich-Oberstrass, der bereits um 1980 der Strasse abgerungen wurde. Im hinteren Teil spenden 8 Bäume Schatten, der vordere Teil des Platzes ist der Sonne zugänglich und im Winter erlaubt der Laubfall die Besonnung des ganzen Platzes. Hier haben wir ein Beispiel, wo vieles zu einem stimmigen Gleichgewicht zwischen Haus und Baum beiträgt.

Rom in der grünen Wolle

Eine der wohl schönsten Städte Europas macht es vor: Bauten in grüner «Wolle». Alles arrangiert sich darin. Im Vordergrund die Cestius-Pyramide aus der Antike, das Stadttor Porta San Paolo, das frühmoderne Postgebäude von Architekt Libera und die Wohnblöcke in den Farben Roms. Hinten links der Gianicolo und in der Ferne, jenseits der Stadt der Monte Mario. Darüber ist der Horizont der Stadt der sieben Hügel immer frei und offen.

Haus & Baum – Schlüssel der ökologischen Stadt

Die Bäume am Boulevard Saint-Germain sind um die vorletzte Jahrhundertwende erst am Wachsen – im Paris von Haussmann sind Haus und Baum zusammen geplant worden. Später folgte eine Bereicherung des Musters: neuere Strassen erhielten andere Baumsorten, was für die Identität der jeweiligen Strasse sorgte. 

Wir müssen diesem Beispiel nicht folgen – das ist nicht die Meinung von «zuerivitruv».  Aber wir könnten uns ein qualitätsvolles Konzept für Zürich aufbauen. Die zunehmende Hochhausfreigabe ist kein Städtebau, das ist fahrlässige Wuhanisierung.

Energetisch und stadtklimatisch sieht «zuerivitruv» einen idealen Verbund von 4-6 Etagen der Gebäude und Bäumen die eine ähnliche Höhe erreichen. Haus & Baum als stadtklimatische Einheit ist ein Vorschlag von «zuerivitruv».

Das Gletschertal geht zugrunde

Wir folgen den Vorschlägen des preisgekrönten Teams E2A/KPAC der Hochhaus-Leibildstudien und inszenieren die «Verclusterung» von Hochhäusern. Aus den Einzelstacheln des letzten Postings entsteht eine Stachelwand. «zuerivitruv» erlaubt sich, die uns verlustig gehenden Alpen durchscheinen zu lassen: «Wir sollen sehen, was wir verlieren».

Mit der vorgeschlagenen Höhe von 250 Metern werden die Hügelketten, die unser schönes offenes Gletschertal ausmachen, «erledigt». Die vorgeschlagene Megalomanie der Gebäude nimmt uns unsere Identität. 

Tödi reklamiert

Da tanzt die 250 Meter-Palisade durch Zürich. Zeichnerisch nimmt sie den Massstab am schwarzen Löwenbräu-Hochhaus und extrapoliert von 63 auf 250 Meter (der Teil der unten aus dem Bild läuft ist berücksichtigt). Dann ein Blick auf die Gebietskarte der Testplanung mit der 250 Meter-Zone. Das ergibt den Startpunkt der nach Westen weggaloppierenden Zone.

Schmerzfrei geht das nicht. Der Tödi reklamiert. «zuerivitruv» ist selbst überrascht und entsetzt beim Gedanken der möglichen Realisierung.

Wie konnte es so weit kommen? Da gibt es nur Vermutungen. Die Auswahl der Wettbewerbsteilnehmer, wie im vorletzten Posting beschrieben, liess keine Humanisten zu. Dann ist zu sagen, dass Planspiele heute elektronisch erfolgen. Das Gespür und die Realität sind nicht dabei. Die Verbindung ist gekappt: Science Fiction für jedermann. Dann der Eclat. Und dann die Aufgabe für «zuerivitruv», die Verbindung zur Realität wiederherzustellen. 

Das Rumoren in der Volksseele

1983 gelang es in Zürich eine europäisch geprägte Regung für ein bekömmliches  Stadtbild in einer Volksabstimmung durchzubringen: das Hochausausschlussgebiet in der Zürcher Innenstadt. Die Disruption, welche die damals schon mehrheitlich zufällig gestreuten Hochhäuser ins Stadtbild brachten, wurde weitherum gespürt.

Das Thema befand sich noch auf einer geringen Bewusstheitsstufe. «Amerika» rief über den Atlantik. Vermeintlicher Fortschritt brach den Hochhäusern, damals mit ausschliesslicher Büronutzung, die Bahn. Den Ausschlag für das Ausschlussgebiet gab das Hochhaus der Emser Werke am Schanzengraben. Stadtrat Farner sagte ja, dann nein und schlussendlich dann doch ja. «Herr Farner, sind Sie umgefallen?» fragte die NZZ. Die damals sehr progressive Stadtzürcher Vereinigung für Heimatschutz brachte es auf den Punkt: «Bürohochhäuser, die dermassen ins Stadtbild eingreifen, sind hohle Gesten». 

Dass die ganze Sache mit den herausragenden Klötzen einfach nicht stimmig ist, bewegt nach wie vor die Volksseele. Das beglückend schöne Gletschertal mit dem See spielt untergründig die Hauptrolle. Der Misserfolg des seit 2002 entstandenen «Stoppelfelds» steht uns täglich vor der Nase. Die grösste Kraft in Zürich, die Grossimmos, sind die Treiber. Selbstbindung gibt es für sie nicht. Mit dem Stadtbild als Allgemeingut sind wir alle die Opfer.

Als helfender Engel kommt die Ökologie dahergeflogen: Hochhäuser und SUV’s sind plötzlich out. «zuerivitruv» sieht eine grosse Chance für den verdichteten, urbanen   Flachbau.

Die Brille wechseln

Souverän baut Paris weiter und hat sich mit der ausgelagerten Défense schon 1967 organisiert und bewahrte damit seinen berühmten offenen Himmel. Damit blieb die Stadt punkto Beliebtheit an der Spitze der Welt. Paris weist 4-fache Einwohnerdichte von Zürich auf. Trotzdem meint Zürich in Hochhäusern dilettieren zu müssen. Bisher mit bis zu 80 Metern. Im Februar – durch Indiskretion offengelegt – ist in den Studien zur Revision des Hochhausleitbilds bereits konkret über 250 Meter «nachgedacht» worden. Das Team mit den 250 Metern erhielt den Zuschlag. 2019 – zu Beginn – wurden die Wettbewerbsteams auf Hochhaustauglichkeit geprüft. Die Frage «Ob überhaupt?» hatte keine Chance. Heute stellen wir fest, dass Hochhäuser alleine aus Gründen der Ökologie nicht mehr gebaut werden dürfen. 

Die Brille muss gewechselt und das Oberstübchen neu vermessen werden*. Es winkt der offene Horizont und die Befreiung aus der zunehmenden visuellen Einkerkerung. Ob das Amt für Städtebau den Mut hat, die neue Situation zu erkennen? Ob Stadtrat André Odermatt den Mut hat, jetzt das Steuer herumzuwerfen?

* der schöne Ausdruck stammt von Benedikt Loderer, dem bekannten «Stadtwanderer»

“ JEDESTADT „

Auf dem Doppelbild: Das kann jedermann auf dieser Welt – JEDESTADT. Auch die «billigste» Schnellaufbaustadt. Wollen wir nach Jahrhunderten von jeweils wohlgemeintem Wachstum plötzlich unsere guten europäischen Geister über Bord werfen? Die Zunftstadt des Mittelalters, die ummauerte Barockstadt, das 19. Jahrhundert mit seinen Prachtbauten und der Umarmung des Sees mit den grosszügigen Quaianlagen. Das meiste ist noch da und zu einem interessanten Gewebe verknüpft und äusserst erlebnisreich zum Durchwandern und bewohnen.

Jetzt erwarten wir, statt der Fortsetzung der unglücklichen Hochhausphase, den dichten urbanen Flachbau, zur Hitzeminderung stark durchgrünt, mehr Holz und nicht zuletzt mehr Umnutzung zwecks Erhaltung der gebauten grauen Energie. Transferierung von Büro zu Wohnen und vieles mehr. Das Feld ist offen. Noch fehlt die kluge Lenkung, denn der Hochbauvorsteher und seine Stadtbaumeisterin träumen immer noch von immer höheren Türmen. 250 Meter über Boden ist ihre neuste Planung – nun offengelegt durch die Publikation im Tages-Anzeiger vom 1. Februar 2022.

Zü-han? Züri-dorm? Zü-hattan? Shen-züri?

Turm ganz links «nur» 170 Meter.