Urbane Abenteuerreise 6

Das urbane Abenteuer geht nach den Ferien zu Ende; wir versuchen eine Landung in Zürich. «zuerivitruv» erlebte auf dieser rot gestrichenen Holzbrücke von Bassano del Grappa sehr schöne Momente. Ein brutaler Wolkenbruch hielt die Bevölkerung unter Dach. Das Rauschen von unten und oben dominierte, doch mit der Zeit brach eine kollektive Glückseligkeit aus: «geschützt dem Schicksal ausgeliefert». Unten die reissende Brenta, in der Mitte das Publikum und darüber das Dach. Die Stimmung ist unvergesslich. Der Ponte Vecchio von Bassano ist 1569 nach Plänen von Andrea Palladio errichtet worden – das Dach ist der Witz. 

Mit lateralem Denken überlegen wir uns, wie auch in Zürich Werte für die Bevölkerung zu schaffen wären. In Klammer: 1887 ist der Stadt mit den Quaianlagen ein ganz grosser Coup gelungen. Sehr bedürftig ist weitherum das neue Zürich West. Es ist nicht das erste Mal, dass «zuerivitruv» den neu geschaffenen Plastic-Zaun unter der Hardbrücke beklagt. Gemeint sind die Reihen von nicht querbaren Pföstchen. Wo neue Quartierteile zusammenwachsen könnten, wird getrennt. Der Grund: Das Tram, das selbst über ein Dach verfügt, fährt unter diesem formidablen öffentlichen Dach! Es könnte ein Festzone wie in Bassano hergeben, z.B. den anliegenden Restaurants als Erweiterung dienen, oder verschiedenen Märkten Schatten spenden. Im letzten Posting war die tolerante Grossform Thema, hier ist es die verbindende Geste.

Bilder: Tibor Joanelli, Zürich / Roberto Pozzi, Bassano / zuerivitruv

Urbane Abenteuerreise 5

Die heute bewundernswerten Leistungen im Städtebau geschahen innerhalb des allgemeinen Stadthorizonts. Hier die Place des Etats von Dijon, der Hauptstadt des Burgunds – durch die Schlacht von Nancy 1477 mit Hilfe des Zürchers Hans Waldmann in die Hände von Louis XI gefallen. Frankreich geduldete sich bis 1668 und drei Louis später um diesen Platz des einverleibten Burgunds mit der halbrunden Place Royale und dem gegenüberliegenden Mäander der Paläste zu gestalten. Zwischen diesem und der grossen Chapelle ist noch der Turm (Quadrat) aus der Zeit von Karl dem Kühnen und seiner Vorfahren zu erkennen – das einzige Bauwerk, das aus dem Stadthorizont ragt.

Es ist schon bemerkenswert, wie es Jules Hardouin-Mansart gelungen ist, die Grossform ins mittelalterliche Stadtgewebe einzuordnen: Wo immer eine Gasse daherkommt, wird mit einem dekorierten Pfeilerpaar für Durchlass gesorgt. Kleinere Zufahrten erhalten einen unauffälligen Torbogen. Von Erstarrung keine Spur: Die Grossform beherbergt heute querbeet alle Nutzungen. Agence de Voyages, Immobilier, Café. Die beiden diagonalen Reihen im Pavé sind Springbrunnen. Man könnte das «die tolerante Grossform» nennen.

Wann erstickt eine Stadt?

Die Gefahr ist gross, wenn die Stadt schwachwindig ist. Das ist in Zürich der Fall und als Schicksal hinzunehmen. Weiter schädlich sind jedoch die menschengemachten Strömungshindernisse, wie hier im Gebiet der Hohlstrasse. Je mehr aufragende Gebäude, desto mehr wird der ohnehin schon klägliche Luftstrom noch zusätzlich gebremst. Je zugänglicher die Baumasse für die Sonne ist, desto mehr wird sie aufgeheizt – und desto mehr wird die Wärme gespeichert. Kommt noch dazu, dass Hochhäuser den kühlenden Schatten von allfälligen Alleebäumen bei weitem überragen. Hochhäuser sind beides: Wämefänger und Windbarrièren.

Fazit: Die 2002 erlassenen Hochhausgebiete haben das ohnehin schon heisse Pavé der Stadt Zürich vollends zur Hitzeinsel gemacht. Das Ganze zeigt uns die Notwendigkeit, die Steuerung der städtischen Baustruktur gründlich zu revidieren und den neuen klimatischen Bedingungen anzupassen.

Urbane Abenteuerreise 4

Kann es sein, dass wir in Europa eine Städtebausprache haben? In Hamburg und Paris sehen wir die selben Muster: Was von Bedeutung für die Öffentlichkeit ist, darf zur Geltung kommen und darf aus dem allgemeinen Horizont der Stadt herausstechen. Das gilt für Paris mit dem Grand Palais, dem Centre Pompidou und in Hamburg für die Elbphilharmonie. Grandpalais und Elbphilharmonie machen es beide besonders gut indem sie ihre Fassaden in massive Sockel und die überragenden Volumen in Glas aufteilen. Dass Kirchen herausschauten, entspricht Während Jahrhunderten ihrer Bedeutung. Seither hat sich die Szene gewandelt und andere Nutzungen von breitem öffentlichem Interesse dürfen sich ebenfalls im Stadtbild melden. Diese bewusste Wahl erhält uns die europäische Stadt weiterhin als gut lesbares und lebhaft kommunizierendes Gebilde. 

Kommerzieller Wildwuchs (mit Hochhäusern) ist dem gestalteten europäischen Stadtbild eigentlich fremd; genauso, wie er umgekehrt zu amerikanischen und inzwischen auch chinesischen Innenstädten schon fast zwingend gehört. Wir erleben jetzt gerade den Titanenkampf in München mit seinem nach wie vor offenen Horizont, wo ein Grossinvestor zusammen mit Herzog & de Meuron ein Hochhaus gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen will. Europäer müssen sich gut überlegen, ob sie ihre interessant gewachsenen Städte für eine «Verstoppelung» mit Hochhäusern hergeben wollen.

Urbane Abenteuerreise 3a

Wir haben im letzten Posting vom Talent der Weltstadt Paris gesprochen, Jahrhunderte zu verbinden, indem am bisher Erreichten weitergesponnen wird. Das ist nur mit hohem Bewusstsein der eigenen Geschichte möglich. Es lohnt sich deshalb, die Sache noch etwas zu vertiefen: Im Bild sind die zwei Achsen und ihr Schnittpunkt in der Défense (ausserhalb der Stadt) herausgehoben. Die untere Achse «Louvre» begann im späten Mittelalter mit einem Schloss ausserhalb der damaligen Stadtmauern. Für die Achse «Champ de Mars» ist es erst das späte 19. Jahrhundert. Die Achse des Louvre ist baulich durchlaufend und berührt heute die Glaspyramide des Louvre-Museums, die Tuileriengärten, Place de la Concorde, Arc de Triomphe und reicht bis ins Zentrum der «Défense» mit der bekannten «Ache de la Défense» als vorläufigem Schlussakzent.

Die neuere Achse nimmt im Champ de Mars und dem Eiffelturm Anlauf, überquert die Seine, wird dort von den offenen Armen des Palais de Chaillot (1937) mit Rundplatz du Trocadéro empfangen. Dann verschwindet sie völlig, wird imaginär bis sie bereits in der Défense angekommen ihre Kraft im Schnittpunkt der Achsen wieder entfaltet.  

Ob man von diesem intellektuellen Städtebau begeistert ist, oder nicht, er zeugt jedenfalls von hohem Selbstbewusstsein, grosser Sorgfalt und der Fähigkeit, die konstant wirkenden Entwicklungskräfte immer wieder zum Vorteil der Stadt zu steuern. Während dessen wurstelt Zürich mit formlosen Neubauquartieren und aus der Zeit gefallenen Hochhausleitbildern vor sich hin.  

Urbane Abenteuerreise 3

Um nicht allzu eurozentrisch zu bleiben, schauen wir einmal über den östlichen Zaun nach Persien. Links im Bild der «Maidan e Schah», um 1600 errichtet, im Zentrum von Isfahan. Läden, ein Gartenpalast und zwei Moscheen sind in die umlaufenden Arkaden des grossen Rechtecks integriert. Eine urbanistische Turnübung findet am entfernten Ende des Platzes statt. Mekka liegt nicht in der Platzgeometrie und verlangt von der Schah Moschee eine Drehung die überaus geschickt durch einen engen und abgewinkelten Zwischenbau bewältigt wird. Auf dieser Welt wohl einmalig ist die ästhetische Aufteilung der Stadt in matten Lehm für die profanen Häuser und glänzende blaugrüne Keramikoberflächen für die Sakralgebäude. 

Paris hat das Talent, Jahrhunderte zu verbinden und mit jeder weiteren Kombination eine neue städtebauliche Stufe zu erringen oder gar zu zünden: Das «Champ de Mars» entstand um 1780 als militärisches Exerzierfeld ausserhalb der Stadt. Kurz danach fanden mehrere Ereignisse der Französischen Revolution hier statt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts folgten die Weltausstellungen mit dem Eiffelturm. 1967 wurde nach dem Misserfolg der Tour Montparnasse entschieden, die Hochhäuser der Geschäftswelt ausserhalb der Stadt im Quartier de la Défense zu errichten. Wie aus dem Bild rechts ersichtlich, liegt dieses Geschäftsquartier in der Achse des Champ de Mars. Warum?: Die Hauptachse, auf dem die Défense liegt, wird von Louvre – Champs Elysées gebildet. Diese wurde solange verlängert, bis sie zum Schnittpunkt mit der ersterwähnten Achse des Champ de Mars kam. In diesem Schnittpunkt ist die Arche de la Défense als Fokus der sich darum herum ausbreitenden Bürohochhäuser platziert. Esprit Français: Ein brillantes behördliches Konzept und private Bebauung bilden eine Synthese.

Urbane Abenteuerreise 2

Die begonnenen Abenteuerreisen in den Städtebau haben zwei Motive: Einerseits wollen wir uns in der andauernden Ferienzeit noch etwas vergnügen und anderseits gilt es der jahrzehntelangen zürcherischen Städtebauschwäche zu begegnen.

Für lange Zeit störte in Rom eine hässliche Halde zwischen zwei Ebenen der Stadt. Im Rom des Barocks hatten die Päpste die Hoheit über den Städtebau. 1726 war die Treppe mit ihren konkaven und konvexen Elementen nach Plänen des Architekten Francesco De Sanctis fertiggestellt und damit das Haldenproblem beseitigt. Die geschwungenen Linien tragen wesentlich dazu bei, sowohl die Bewegung als auch den Aufenthalt zu begünstigen. «zuerivitruv» stellte selbst fest, dass die Treppenabschnitte so angenehm proportioniert sind, dass beim Aufstieg nie ein Gefühl eines unüberwindbaren Hindernisses aufkommt. Die Popularität ist verdient, der geschaffene Stadtraum stupend, doch der heutige «Overtourisme» ein Unglück. Eine glücklichere Zeit hält der Film «Roman Holiday» aus dem Jahr 1953 fest. Die Schauspieler: Audrey Hepburn und Gregory Peck. Einer der besten amerikanischen Filme bediente sich dieser Kulisse Europas.

Eine schon oft gestellte Frage für die Zürcher Gegenwart: Wann wird die hässliche Trambarrière unter der Hardbrücke beseitigt und wann können die neuen Quartierteile von Zürich West endlich zusammenwachsen? (siehe auch Postings 14. und 31. Dezember 2022).

Urbane Abenteuerreise 1

Erfreulich ist, wenn verschiedene Wege (siehe Paul Klee im letzten Posting) in eine positive Richtung führen. Einer der Wege besteht darin, zu schauen, woher wir kommen. Das ist in Europa äusserst ergiebig. Der beste Erdteil für Urbanität? Durch die lange Geschichte wird klar, dass wir an schönen und beeindruckenden Orten leben wollen, die uns bestätigen. Mit der Demokratie hat sich das Bedürfnis auf die ganze Bürgerschaft erweitert.

Auf unserem Kontinent haben alle alle beeinflusst. Die Rolle von Italien ist herausragend – gemeint ist nicht nur das alte Rom, sondern, was später in der Renaissance und dem Barock daraus gewachsen ist. Mit Vitruv, Alberti, Serlio und Palladio ist die Theorie präsent und die Praxis mit Städten wie Rom, Venedig und Florenz überwältigend. Man kann nicht darüber hinweggehen – wir wollen diese Schätze behalten. Tabula Rasa kommt für Europa nicht infrage. Das Bisherige ist Teil der Städte und wird es bleiben. Die Synthese von Alt & Neu ist das europäische Dauerthema. 

Giovanni Battista Nolli hat seinen berühmten Plan so gezeichnet, dass öffentlich zugängliche Gebäude nicht ausgefüllt, sondern mit ihren Grundrissen erscheinen. Z.B. von links nach rechts 605 Piazza Navona (auf Grundriss eines römischen Stadions), 799 Sant’ Ivo alla Sapienza, 837 das Pantheon (125 n.Chr.).