Verdichtungs-Gedanken

Neue Quartiere anlegen: mit Quartierplänen Strassen definieren – als Eroberungen der Stadt auf dem freien Feld. Diese zur Bebauung parzellierbar machen, Bäume und öffentliche Flächen einstreuen. Das haben wir in den letzten zwei Postings gesehen. Und genau das alles ist weitgehend Vergangenheit, weil in unserer Stadt für diesen Vorgang freie Flächen fehlen. Der Schweizerische Konsens lautet: «innerhalb der Stadtgrenzen verdichten». Jetzt muss der Arzt kommen, der das bestehende Stadtgewebe absucht. Wo ist Ersatzbau (Abbruch & Neubau) mit höherer Dichte möglich? Wo Aufstockung? Wo horizontale Flächenerweiterung? (Posting 2. Februar 2025, «Die innere Verdichtung»). Mit Tramdepôt Hard und Freilager führen wir zwei Beispiele an. 

Die Wohnungen der Depôtbebauung sind so abgehoben, dass sie wie der dänische Städtebauexperte Jan Gehl sagte, dem Luftverkehr angehören. 200 Kinder werden erwartet. Eingeklemmt zwischen Autobahnzubringer und Ufermauer ist das landen auf Mutter Erde schwierig. Da wurden Wohnquadratmeter in die Luft gestapelt, doch die Mieter überlässt man dem Schicksal – die Kinder sind Gefangene der Höhe.

Das Flurhaus in Rot lasierter Holzbauweise erweitert das grossen Freilagerareal. Sein Umfeld ist über offene Treppenhäuser an den Enden der Laubengänge direkt erreichbar – die Wohnungen kommunizieren bestens mit ihrer Umgebung.

Auf tragische Weise zeigt Depôt Hard, wie man nicht Verdichten darf. Ist diese missglückte Grosssiedlung Lehrgeld einer Stadt, die sich in der neuen Aufgabe der Verdichtung teure Kinderkrankheiten leistet? 

Ein Ersatzbau im Quartierplan des vorletzten Jahrhunderts

Zwischen Gladbach- und Hochstrasse belegen zehn Mehrfamilienhäuser ein Strassengeviert. Alle um 1900 entstanden – ähnliche Baustile, doch jedes individuell. Ein paar Grossbäume machen nach über 100 Jahren über die Hochstrasse hinweg ein Portal. Eine der Längsseiten des Gevierts bietet der grossen Siriuswiese mit Tennisplatz eine gut sichtbare schöne Schauseite. Da haben wir wieder, wie im vorgängigen Posting, den Städtebau im Kleinen.

Die internationale Berliner Bauausstellung von 1987 hat die Wiedergeburt des Bautypus «Stadtvilla» gebracht. Davon angeregt ist hier ein Dreifamilienhaus auf der Gegenseite des Gevierts an der Hochstrasse entstanden. Ein Neubau der ein Einfamilienhaus ersetzt (unten links im Luftbild mit Dachterrassen). Die «Stadtvilla» 1987 im Berliner Tiergartenareal wurde als Gebäude mit individuellen Wohnungen bezeichnet. An der Hochstrasse kann man die zehn charaktervollen Altbauten als Stadtvillen bezeichnen. Von «Berlin» und der Nachbarschaft hat sich der Architekt mit seinem Dreifamilienhaus inspirieren lassen: im Erdgeschoss eine Wohnung mit bis an den Boden reichenden «French Windows». Und darüber nebeneinander zwei Maisonettes, die in den oberen Etagen Wohnen und Essen mit Seesicht verbinden. Die raffinierte Kompelxität ist hier eine andere als im letzten Posting. Doch das Zusammennehmen der Aspekte von «öffentlich» und «privat» veranschaulicht, wie Baukultur entstehen kann; und dass dies auch heute möglich ist.

Ostern

Wir schätzen schöne Quartiere – das soll Thema zu Ostern sein. In Zürich sind die neuen Quartiere (oft in Hanglagen) ab 1883 durch Pläne sehr schön angelegter Rampenstrassen definiert. Verfasser war Stadtingenieur Viktor Wenner, in Neapel aufgewachsen. Von diesem Gestaltungswillen sind auch die Gebäude erfasst. Sie reflektieren oft ihre Stellung in der Reihe der Hauszeile, oder an der Ecke einer Einmündung. Sie verhalten sich wie Menschen: die Geste resultiert aus der Stellung an der Bar, im Foyer der Oper oder im Versammlungssaal. Heute können wir nur staunen, wie geschickt sich Gebäude den Situationen im jeweils neuen Wohnquartier bemächtigt haben. «Freudvoll» würden wir sagen. Mit den Bildern fokussieren wir in Unterstrass auf die Scheuchzerstrasse. Bei der spitzwinkligen Einmündung der Turner- in die Scheuchzerstrasse hat die Stadt im Überbauungs- und Parzellenplan ein dreieckiges Pärklein mit ein paar Bäumen vorgegeben. Ein Doppelbau mit identischen Winkelhäusern definiert die Platzfront zwischen beiden Strassen. Das ist eine Komposition aus öffentlicher Anlage, der Starassen und der privaten Bebauung. Man könnte diese Kunst den «kleinen Städtebau» nennen. Bergseits macht ein kleiner Laden Sandwiches, was über Mittag für belegte Brote und Bänke sorgt.

Wissen wir wirklich, was wir tun?

Zählen wir die Etagen in den drei Bildern: Es sind von links nach rechts 17, 30 und 50. Zürich hat solche Hochhauszonen bereits heute. 13 Etagen in der 40 Meter-Zone und 26 in der 80 Meter-Zone. Nehmen wir das Thema der Anonymität des vorletzten Postings, so sind wir voll dabei. Hochhauszonen, zumindest diejenigen für Wohnzwecke, sind auf ewig angelegte Produzenten von menschlicher Anonymität und von nachteiligen Bedingungen für aufwachsende Kinder. 

Der damalige Stadtrat von Zürich ist der Initiant der geltenden Hochhausgebiete von 2001 und der heute noch amtierende Stadtrat der Initiant der neuen sich in Beratung befindlichen Hochhausrichtlinien. Auch ein Teil der Mitglieder des Gemeinderats ist in dieser Sache engagiert. Um zu wiederholen, was schon früher gesagt wurde: Neu vorgeschlagen sind 60 Meter-Zonen und ganze Quadratkilometer von neuen 40 Meter-Zonen in Zürichs Norden und Südwesten. Und wenn kein Einhalt geboten wird, wird einst eine 3.5 Kilometer lange «Dubai-Zone» für Türme ohne Höhenlimite im Zentrum/West von Zürich unser offenes Gletschertal dominieren. 

Die Bilder sollen veranschaulichen, was wir für Zürichs Zukunft «einkaufen» würden: Links liegt mit seinen 17 Etagen leicht über den 40 Meter-Zonen, die in den Quartieren Affoltern, Oerlikon, Seebach, Schwamendingen, Albisrieden und Altstetten grossflächig neu erschaffen werden sollen. Das mittlere Bild hat mit seinen 30 Etagen nicht ganz in den 80 Meter-Zonen platz und die 50 Etagen (150 Meter) im Bild rechts kommen in der zentralen «Dubai-Zone» spielend (und sogar mehrfach gestapelt) unter. Niemand scheint es zu glauben – vielleicht hat bis jetzt noch niemand nachgerechnet und nachgezählt.

Saint Michel

Haussmann pflügte die Boulevards – anfänglich eher schonend – vorwiegend entlang den ehemaligen Stadtmauern. Der Boulevard Saint-Michel gehört zu den Ausnahmen. Er ist der südliche Teil der Achse, die Paris von Nord nach Süd durchquert. Gerade über die Seine-Brücke kommend, beginnt er mit einem Paukenschlag – dem fünf Etagen hohen Brunnen an der Brandmauer des ersten Blocks am Boulevard. Der Held ist der heilige Michael, der den Drachen ersticht.

Der Platz ist heute mit Velopisten aktualisiert. Rechts das Bild von 1908. Zürich und Paris, beide Städte sind auf ähnlichem Weg. Die Megastadt Paris sieht das Motiv in der Reduktion der Abgase, aber auch im Gewinn von Lebensraum. Man bewegt sich in Richtung 1908. Der Stadtplaner Carlos Moreno ist der Erfinder des Konzepts der 15-Minutenstadt. Werden Strassenräume durch die dicht gestreute tägliche Versorgung vermehrt fussläufig, beruhigt sich die urbane Szene, indem der über mehr als ein Jahrhundert zum Teil künstlich hervorgerufene Fahrzeugverkehr zurückgeht. Das geschieht in Form einer gemächlichen Evolution durch die Kombination verschiedener Faktoren. Das braucht eine übergeordnete Philosophie – eine urbane Intelligenz, die die dutzenden von Faktoren in ein zeitgemässes Gleichgewicht bringt. Energie, CO2 und Klima sind dabei, aber auch die Aussicht auf ein schöneres und weniger gestresstes Leben in der Grossstadt. Paris hat es in seiner Geschichte oft verstanden, den öffentlichen Raum zu zelebrieren. Angefangen mit den Kiosken, den Litfasssäulen, Bänken, Bistrots etc. Stimmt die Idee, folgt die Praxis und irgendwann staunen die Besucher über die besser gewordene Lebensqualität. Die Stadt erreicht die Verbesserung übrigens mit geringen Baukosten.

Der Realitätstest

«Mehr als Wohnen» in Leutschenbach und auch die hier nochmals abgebildete Wohnsiedlung «Freilager» in Albisrieden haben – weil sie horizontal ausgerichtet sind – eine gut überschaubare Anzahl von Wohnungen pro Hauseingang. Die üblichen zwei Wohnungen auf einer Etage haltenen die Wohnungszahl pro Hauseingang in einem überschaubaren Rahmen: Alle kennen einander. Diese Zahl ist einer der zuverlässigsten Gradmesser für Anonymität. Alle Grosssiedlungen, die in die Höhe gehen, sind zwangsläufig von Anonymität betroffen. Sie ist neben der erst heute relevant gewordenen Energieverschwendung (im Bau und im jahrzehntelangen Betrieb) das grosse Problem.

Im Modell und auf den Renderings sehen diese Architekturschöpfungen oft sehr interessant aus. Doch das Leben zeigt rund um unsere Erde herum, dass einzig die gebaute Realität nach Jahren der Nutzung über den Erfolg eines Projekts entscheidet. Eine Gesellschaft, die baut, wird bei solchen Fehlern der Wohnsoziologie durch Schicksalsschläge gestraft. Und: eine Gesellschaft muss klug sein, wenn sie baut. Dass schon einmal weitherum gemachte Fehler sich nicht wiederholen, dafür muss wohl die Stadt (das Gemeinwesen) besorgt sein.

Wie wird die Bilanz der «Gleistürme» zwischen Hohlstrasse und dem Gleiskörper und den beiden Türmen über dem Tramdepôt Hard zwischen Autobahnzubringer und der Limmat in ein paar Jahren aussehen? Im Aussenraum ist bei letzterem der Schaden mit der Beschattung von Limmat und Wipkingerpark bereits eingetreten.

So kann das Neuland aussehen

Wir werden uns erst daran gewöhnen müssen. Die Forderungen sind da: Eine Welt kompatibel mit Energie/Klima/CO2. Auf die Soziologie hat man beim Wohnen nie besonders geschaut, könnte man jetzt aber hereinnehmen. Weil ein eiserner Bestandteil der neuen Philosophie «low rise / high density» ist, hat eine gute wohnsoziologische Konzeption eine bessere Chance als bisher mit «high rise». «low rise» ist ja bereits bodennah. Damit ist eine Voraussetzung für gutes Familienwohnen erfüllt. Mit Planungsgeschick gesellt sich dann noch «high density» dazu.

Können wir das schon irgendwo sehen? Da ist einmal die Siedlung «Mehr als Wohnen» in Leutschenbach. Dann die Bebauung «Freilager» in Albisrieden mit ihrer jüngsten Addition, erkennbar durch den «barn-red» gestrichenen Holzbau. Schon die ursprüngliche Etappe bestand zur Hälfte aus Holz und zur anderen Hälfte aus einer Aufstockung von ehemaligen Lagerhäusern um drei Etagen. Es fehlt nur noch der Stadtrat, der wie bisher neben «guten Bauten der Stadt Zürich» jetzt auch gute Bauten im Bereich Energie, Klima, CO2 mit Medaillen auszeichnet.