Stadtgewebe ACACIAS

Mit ACACIAS haben wir ein weiteres Genfer Beispiel für die Schaffung von lebenswertem «Stadtgewebe» an Stelle der Weiterführung einer unreflektierten Hochhausmode mit isoliert herumstehenden Türmen – wie in Zürich noch immer betreibt. 

Ein kleiner Fluss wird geöffnet und ihm entlang mit Bäumen begrünt. Eine bestehende Häusergruppe spielt als «Dörfli» im Areal seine Rolle. Die neuen Wohngebäude formen nach aussen Strassen mit Alleen und weisen innen begrünte Höfe auf. Diese sind nicht unterbaut und klimatisch relevante Grossbäume haben eine Lebensgrundlage. Damit sind Nachbarschaften vorgezeichnet – Anonymität hat keine Chance. Das Ganze ist ein Erfolg, weil über das Einzelhaus hinausgedacht wurde – ohne Engagement des Gemeinwesens – der Stadt Genf – kaum denkbar.

Das neue Quartier hat diesen Sommer eine Volksabstimmung bestanden. Eine solche Umnutzung und Verdichtung ist eine Kunst die Schweizer Städte in unseren Zeiten erlernen müssen. Damit erhalten auch die Architekten wieder eine Rolle in der Verbesserung des urbanen Ambientes.

Das haben noch die Könige und Kaiser gemacht …

… doch das Weitere machte die Demokaratie. Unter Königen und Kaisern entstanden die oberen Bilder mit der Place Etoile und ihren Quartieren als Stadterweiterung. 1967 folgte zu längst demokratischen Zeiten der Entscheid, Hochhäuser und Geschäftscity aus der Stadt auszugliedern (untere Bilder). Das war eine grossartige Leistung einer Demokratie. Dazu kommt noch die Würde, mit der das Ganze stattfand: die grosse königlich-kaiserliche Achse (Champs Elysées) wurde verlängert und in der Défense aussen mit einer Arche de la Défense als Fokus versehen. 

Die Gesellschaft konzipiert und die Wirtschaft nistet sich ein. Wirtschaft und Staat bilden eine Synthese und beide kommen voran.

Was wir ohne royale Vergangenheit als kleine agile Republik jetzt sehr gut machen können, ist die freiwillige und konsequente Ausrichtung auf das oberste Ziel der Treibhausgasreduktion. Das erfordert eine ganz neue Art von Städtebau. Für eine Synthese Wirtschaft/Staat muss der Stadtrat von Zürich seine Hochhausleitbilder überwinden und mit einer Formulierung des klimatisch wegweisenden Städtebaus vorausgehen. 

Quartier Belle-Terre, Genf

Genf entwickelte sich, wie Zürich, über Jahrtausende in einem offenen Gletschertal. Es gibt den Fluss und den See und sein Üetliberg ist der Salève. Genf ist daran, ein neues Wohnquartier zu entwickeln. Eine erste Etappe mit 670 Wohnungen steht bereits; 2’700 sollen es werden. Es ist ein Parallelfall zu unserem Projekt der Thurgauerstrasse. Dann hört die Ähnlichkeit abrupt auf, denn Zürich setzt auf ein energetisch, klimatisch und sozial veraltetes Hochhauskonzept, während Genf auf durchgrünten urbanen Flachbau mit mehrheitlich 6 Etagen setzt. Die grosszügige Landschaft mit der Silhouette des Salève überlebt den städtebaulichen Eingriff. 

An Stelle von solitären Zeilen und Pukthäusern wollten die Architekten eine Struktur aus Wohnhäusern, Aussenräumen, geräumigen Durchgängen, weiten Gassen und Plätzen schaffen. Damit haben wir hier in der Schweiz ein schönes zukunftsträchtiges Beispiel für verdichteten urbanen Flachbau erhalten. Es entsteht lebenswertes Stadtgewebe, bei dem die Wohnungen in einem schön gestalteten Bezug zum gemeinsamen Aussenraum stehen. Die Vielfalt verdankt sich auch dem Umstand, dass vier Büros zusammengewirkt haben.

Bilder: WERK bauen+wohnen, Ausgabe 4 / 2023

Klima bestreikt Anthropozän

Im Aufbruch der Moderne musste auch die Stadt neu gedacht werden können. Le Corbusier hat es mit dem «Plan Voisin» vor 100 Jahren getan. Was für ihn eine Studie neben seinen unzähligen grossen Schöpfungen war, wurde um den ganzen Globus herum (zu) ernst genommen. Das damals «neuerdings Machbare» drängte sich unerbittlich vor. Nicht folgenlos, wie wir von vielen Banlieues wissen. Wir kennen auch die vielen Abbrüche aus sozialen Gründen in ganz Europa. Seit der Jahrtausendwende sind Hochhäuser dazu noch aus energetischen Gründen fragwürdig geworden. Nach dem hundertjährigen Abenteuer der Moderne meldet sich jetzt das Klima und verlangt nach einer Nachfolgephilosophie. Das Klima bestreikt das beginnende Anthopozän. 

Bereit steht der Baustoff Holz und der urbane Flachbau in Form eines dichten, durchgrünten Stadtgewebes an Stelle von energiefressenden und isoliert dastehenden Türmen. Das neue Menu im Städtebau könnte für uns erheblich schmackhafter und leichter verdaulich werden als das bisherige. Hilfe kommt jetzt noch von völlig unerwarteter Seite: Die börsenkotierten Immobilienkonzerne stehen neuerdings unter Druck, den CO2-Footprint in ihren Liegenschaftenportfolios zu reduzieren. Wer zu stark auf Hochhäuser setzte, hat jetzt ein Problem. Realität und Bedingungen ändern sich – wann geht unsere Stadtverwaltung in Führung?

Bild: Le Corbusier im internationalen Flow von Instagram / Siedlung Kalkbreite

Die Moderne beim Doktor

Dieses Posting ist durch einen Artikel von Thomas Ribi (NZZ 10. Juni 2023, S. 37) inspiriert und gebiert daraus Überlegungen zu unserer Stadt. Die Moderne, mit ihrer «Zwangsläufigkeit der steten Verbesserung», sei brüchig geworden, heisst es u.a. darin. Wenn wir eine Klimawende mit Tendenz zur Erwärmung haben und gleichzeitig in Zürich unsere Hanglagen mit Grossbauten verstellen und im heissen Pavé die Luftzirkulation mit Hochhäusern behindern, machen wir keine Fortschritte mehr: Wir produzieren plötzlich Unsinn. Es kommt Widerstand, wo vorher alles unbegrenzt möglich war. Erstmals geht es nicht gradlinig weiter. Jeder weitere Schritt könnte ein falscher sein. Alles, was Überblick bringt, ist gefragt.

Z.B. sagt uns die Physik, dass warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt, als kalte. Damit sind nicht nur Sturzregen und Überschwemmungen, sondern neuerdings auch die im Tessin auftretenden «Grandine» (zerstörerische Hagelkörner) gemeint. Sie durchschlagen Autoscheiben und Ziegeldächer. Die ganze Welt muss fürchten, dass es Florenz mit seinen Museen trifft.

Wir könnten «smart & evolutiv» damit beginnen, alles in die falsche Richtung Treibende zu beenden. «Delete!». Ab jetzt die gröbsten Fehler nicht mehr begehen und der Heilungsprozess beginnt von selbst. Wäre da nicht (endlich) ein umfassendes Konzept unserer Stadtregierung fällig? Der Anteil von Gutgesinnten in der Bevölkerung ist grösser als gemeinhin angenommen. Doch hat in der Stadt noch niemand am Lenkrad platz genommen.  

Falsch eingesetztes Kapital

Schränke behausen Waren – ob gekühlt oder nicht. Die Werte, die man darin auf die Tablare schichtet, warten passiv darauf, irgendwann behändigt zu werden. Und wie steht es mit gestapelten Bewohnern des Hochhauses? Ab der dritten Etage sind sie auf den Lift angewiesen. Der Schacht nabelt sie vom Erdgeschoss ab – der Bezugsebene im Quartier. Doch Bewohner haben im Unterschied zu Haferflocken ein Eigenleben und spontane Bedürfnisse: Teilnahme an Aktivitäten oder Besuch von Pärken und Ufern. Dieses Ein- und Aus funktioniert nur genügend flüssig bei einer gewissen Bodennähe. Darum wurden in New York um 1900, als die Erfindung des Lifts «Elevator-Buildings» möglich machte, nur Büros damit erschlossen. Vom Flatiron Building bis hin zum World Trade Center.

Europa erfand dann den lieblosen «Wohnsilo» u.a. in den Banlieues von Paris und Marzahn/Ost-Berlin: Einseitig technokratische Massenbewältigung ohne einen Gedanken an Soziologie des Wohnens – bis zum Ende dieser Türme und Scheibenhochhäuser durch Sprengung. Doch Jahrzehnte später ist das Hochhaus für Wohnzwecke in Zürich wieder da: Die besonders hohe Investition pro Quadratmeter und der höhere Mietertrag pro Quadratmeter sind der Motor. Das Ganze entsprang nicht etwa einem Bedürfnis der Bevölkerung, sondern einer lukrativen Geschäftsidee, die auf Kosten von allem anderen geht. Das ist ein Fall von falsch eingesetztem Kapital. Keine Spur von menschengerechtem Wohnen, erschwinglichen Mieten oder sorgsamem Umgang mit der Grauen- und der Betriebsenergie. An diesem Ende der Strecke sind wir jetzt angelangt. Die Einsicht in den Unsinn steht gegen das schädliche Geschäftsmodell. Wann pfeift die Politik Stadträte und Verwaltung vom falschen Weg zurück? 

Vektoren der Politik

Links sehen wir, was in der Politik zu oft vorkommt. Die Kräfte (Vektoren) wirken gegeneinander, das Resultat ist Null und die Zivilisation kommt nicht vom Fleck. Auch eingebrachte noch hinkende Vorschläge werden kaum je optimiert. Sie werden abgeschmettert. 

Da hilft ein Blick auf die Physik im Bild rechts: Stossen Vektoren im Winkel aufeinander statt sich platt gegeneinander zu richten, ergibt sich sofort eine Resultierende, die nach vorwärts zeigt: «Es bewegt sich». Das kennt jeder gute Segler bestens. Eine ausgezeichnete Chance zur Deblockierung und Vorwärtsbewegung bietet sich jetzt mit der allumfassend gewordenen Aufgabe des klimagerechten Städtebaus. Jede politische Partei kann auf ihre Art einwirken. Allen Parteien ist klar, dass etwas in diese Richtung geschehen muss. Eine schöne Aufgabe für das Parlament. Die Bevölkerung wartet und dankt dem Gemeinderat für konkrete Resultate.

Vertreibung der bösen Geister

Wir sehen Franziskus bei der Vertreibung der bösen Geister (Streitereien) aus Arezzo. Könnten damit böse Geister im Zürcher Gemeinderat gemeint sein? Christina Neuhaus schreibt in der NZZ vom 2. September: «Dass alle Bundesratsparteien gemeinsam eine Vorlage unterstützen, kommt heute nur noch in Ausnahmefällen vor» und: «dieses Signal der parteipolitischen Blockade ist fatal». Ist es uns Trost, dass es zur zeit in der Demokratie der USA noch viel schlimmer steht?

Der Klimagalopp schreitet unbekümmert vorwärts – letzte Woche gab es «Grandine» (übergrosse Hagelkörner) nicht nur in der Lombardei sondern auch bei uns in Locarno. Ist der Druck der Natur noch nicht gross genug um eine neue Aufgabe gemeinsam anzugehen? Angesichts der andauernden grossen Bauperiode und dem gleichzeitigen Paradigmenwechsel bezüglich Energie / Klima scheint Zürich zuerst einen Franziskus zu brauchen. Doch dann wäre der Weg für eine Zusammenarbeit im klimagerechten Städtebau frei.