Überholt uns das Ausland im Urbanen Flachbau?

Wir haben es in Münchens Feldmoching gesehen (Posting vom 11. Mai 2022): Hohe Dichte lässt im urbanen Flachbau höhere Qualität für die Bewohnerinnen und Bewohner zu als in Wohnsilos. Die grünen Höfe und der zentrale Grünzug sind für Erwachsene und Kinder jederzeit erreichbar. Das von «zuerivitruv» favorisierte Konzept, dass Bauten und Bäume ähnliche Höhen aufweisen, ist realisierbar. Das gilt auch für die im Bild sichtbare «Parkstadt Süd» von Köln. Im Bild oben der Kölner Dom, unten die Parkstadt. Hier ist es nicht ein Schweizer, sondern das lokale Büro: O & O Architekten Köln, das auf Stadtgewebe an Stelle von Türmen setzt. Das ist für Architekten anspruchsvoller, in der Erstellung aber wesentlich günstiger als lapidare Hochhäuser. 

Der Ansatz eines Stadtgewebes im urbanen Flachbau bringt für jede Wohnung die Nähe zum grünen Umfeld. Die Kammerung durch Höfe bringt Nachbarschaft und Überblickbarkeit – alles Eigenschaften, die ein glückliches Einnisten der Bewohnerschaft begünstigen. Die kalte Anonymität der Wohnsilos wird auf sympathische Art ausgeschaltet. Hier wird pars pro toto klar, dass «jemand» die Weiche stellen muss. Die Rolle fällt in der Regel dem Gemeinwesen zu. Es kann aber auch der Bauherr aus kluger vorausschauender Einsicht sein. So geschehen mit der Basler Siedlung am Schaffhauserrheinweg der Stiftung Sarasin für nachhaltige Immobilien Schweiz (Posting vom 27. Januar 2021).

Solche Siedlungen, deren Konzept Haus und Freiraum zusammensieht, werden als Wohnorte geliebt. Hochhäuser werden benutzt, bis sie – auch aus energetischen Gründen – obsolet werden.

Manhattan aus energetischer Hinsicht

Bewundern und erleiden von Manhattan: Eine «Stachelstadt» verbraucht mehr Energie als eine Stadt im verdichteten urbanen Flachbau. Ursprünglich nährten thermische Kraftwerke im Winter ein Dampfnetz in den Streets und Avenues von Manhattan. Bis in hohe Stockwerke hinauf wurden Heizkörper versorgt und Überschuss entwich Ventilen in Strassenmitte. Für Fremde eine gespenstige Atmosphäre: Weisser Dampf inmitten von rauchgeschwärzten Türmen. Im Sommer blies der Westwind gelbe Luft von den Thermischen Kraftwerken der Con Edison aus New Jersey nach Manhattan herüber. Je heisser desto schneller drehten die Räder der horizontalen Grossventilatoren der Klimaanlagen auf den flachen Dächern der neueren Wolkenkratzer. Beispiel: Chase Manhattan Bank in Downtown (Bild). Diese Abwärme wurde der allgemeinen Atemluft mit noch mehr °C zur Verfügung gestellt. Die begehrte Weltberühmtheit und Grossartigkeit von New York verlangte täglich ihren Preis. Das eine Defizit fütterte das andere und zusammen schaukelten sie sich hoch.

Was lässt sich daraus lernen?: Wir müssen in der Schweiz damit beginnen, im Massstab der ganzen Stadt zu denken. Alles ist ökologisch und energetisch neu zu überdenken.  «Stachelstädte» haben von vornherein eine Zwei am Rücken. Die ehemals geheim gehaltenen odermattschen Wolkenkratzerpläne für Zürich können getrost wieder in der Schublade verschwinden.

Manhattan von der Seite

«zuerivitruv» weilte 2 Jahre seines Lebens in Manhattan. Bewundern und erleiden – beides war in jungen Jahren ein Erlebnis. Nur wusste er damals nicht, dass er energetisch gesehen in einer «Stachelstadt» wohnte. Doch in seiner Erinnerung hat sich der Eindruck Manhattans von der Seite – im Helikopter über dem East River fliegend – eingegraben. Die von uns allen aus Fussgängerperspektive erlebten fetten Wolkenkratzer mutieren in der kollektiven Seitensicht zu dünnen Bleistiften. Sehen sie im Bild, was das Dia des Helikopterflugs heute noch hergibt.

Die Begeisterung hat seither mutiert – in Richtung Besorgnis. Stacheln sind wegen ihrer Dünnheit schwer zu beheizen und zu kühlen. Wenn wir heutige Massstäbe an Energie und Ökologie anlegen, wird der Albtraum noch grösser. Eine solche Stadtstruktur war damals schon unsinnig, aber mit viel Energie und Luftverschmutzung noch zu bewältigen. Heute ist sie endgültig aus der Zeit gefallen. 

Doktor Odermatt will Zürich die Stachelstadt verschreiben

«Stoppelfeld» ist in der Veranstaltung KOSMOS vom 28. März zum Begriff geworden. Gemeint ist damit der unorganisierte Wildwuchs von Hochhäusern in Zürich. Gleich drei Votantinnen haben ihn in dieser kritischen Absicht verwendet. Das Stoppelfeld ist durch den Erlass der Hochhauszonen vor 20 Jahren entstanden. Dass das Stadtbild auf diese Art chaotisch wächst ist aber erst heute zum Begriff geworden.

Kaum ist dieser Bewusstseinsprozess erfolgt, zündet das Hochbaudepartement die nächste Stufe der Rakete: Die am 2. Februar durch den Tages-Anzeiger enthüllte Testplanung für die Revision der Hochhausrichtlinien. Wie wir bereits wissen, sollen Höhen von bis zu 250 Meter erklommen und auch vor Ufern an See und Limmat kein Halt gemacht werden. 

“zuerivitruv” sieht sich verpflichtet, in die Zukunft zu extrapolieren, damit wir nicht ein weiteres Mal übertölpelt werden. Da inzwischen Energiefragen und Ökologie in den Vordergrund gerückt sind, wird die herrschende kommerzielle Einäugigkeit verdrängt werden. Es gilt eine neue Balance zu finden. Erstmals kommt dabei in energetischer und ökologischer Hinsicht der Stadtkörper als Ganzes ins Visier. Tut man dies, sind die «Visionen» des Hochbaudepartements von vornherein als unbrauchbar entlarvt, denn die Addition von in den Himmel ragenden Stacheln führt im Ganzen zu einer «Stachelstadt». Eine solche Stachelstruktur ist im Winter wegen ihrer grossen Oberfläche schwer zu heizen und im Sommer schwer zu kühlen. Wir würden auf hunderten von Energieschleudern sitzen. Grund genug, dieser verfehlten Planung den Stecker zu ziehen. 

Die «Stachelstadt» ist die energetisch unsinnigste aller urbanen Formen. Die odermattsche «Stachelstadt» ist die falsche Medizin für Zürich!

Paris sucht den Weg

«Paris Haussmann» mit seinem Höhenplafonds haben wir kennengelernt. Um 1900 malte Camille Pissarro diese Sicht über Paris. Nur bedeutende Bauten erheben sich aus dem Häusermeer. Wie geht es weiter? Im unteren Bild sehen Sie bleich im Hintergrund den Tour Montparnasse, die Verfehlung aus dem Jahr 1973 und im Vordergrund ein Projekt, das die Zukunft einläutet. Das Baumaterial ist Holz. Damit ist die graue Energie im Zaun gehalten. Und endlich kommt eine Lösung für das Flachdach, das – entgegen der Vorstellungen von Le Corbusier vor 100 Jahren – auch in der Schweiz kaum je belebt, geschweige denn begrünt wurde: flimmernde und Hitze erzeugenden Kieswüsten. Diese Dachwüsten haben sich auf der ganzen Welt in die Städte hineingefressen.

Die Energie- und Ökologiefrage kann, wenn sie ernst genommen wird, sogar aufgestaute Probleme endlich einer Lösung zuführen. Es entsteht eine Dynamik, die Freude macht. Es geht in Richtung einer neuen Stadtästhetik im urbanen Flachbau. Die disruptiven und Engergie verschwendenden Hochhäuser sind abgetischt. Wir machen uns auf den Weg zur ökologischen Stadt.

Wann springt das Zürcher Hochbaudepartement, die Investoren und die Genossenschaften auf den Zug auf? Das neu gewählte Parlament wird den Ausschlag geben. 

Paris: Gabarit extérieur = Gabarit intérieur

Das ist ein kleines Gedankenspiel in fundamentaler Stadtästhetik. Dazu eignet sich die grosse Errungenschaft von Paris, der Höhenplafonds für Gebäude, genannt «le Gabarit», bestens. Wir sehen im Bild die immer noch grösste Ausstellungshalle der Welt, das Grand Palais, erbaut um 1900. Sie soll uns als Beispiel dienen.

Im hellen warmtönigen Steinmaterial von Paris geht es hinauf bis zum Gabarit. Das entspricht etwa 6 Etagen. Alles, was beim Grand Palais darüber hinaus geht, ist ein riesiges verglastes Stahlgewölbe. Manchmal glänzt es, manchmal ist es transparent; nachts leuchtet es wie ein Kristall. Stupend: die Grenze des Gabarit ist sowohl von innen wie auch von aussen erlebbar! Die Einordnung ins Stadtbild ist perfekt.

Diese Extravaganz ist in Paris nur darum erlaubt, weil das Grand Palais von allgemeinem Interesse ist. Diese Haltung darf man als Volonté Générale bezeichnen. Die selbe Ausnahme gilt auch für das kürzlich erwähnte Centre Pompidou, die neue Bibliothèque Nationale und selbstverständlich den Eiffelturm. Mit diesem klaren Grundsatz lässt sich erstens eine chaotische Stadt vermeiden. Im Weiteren bleibt die Stadt mit dem offenen Himmel überblickbar und für alle lesbar. Das Wichtige sticht heraus. Machenlassen oder Gestalten? – das ist die grosse Frage im Städtebau. Auch in Zürich?

Feldmoching

Das Zürcher Büro Ammann Albers gewinnt in München einen Architekturwettbewerb mit verdichtetem urbanem Flachbau: «Kern unseres Vorschlags ist das Ziel, das neue Quartier in den Kontext von Feldmoching einzubinden und die geforderte Dichte mit möglichst niedrigen Gebäuden zu erreichen». Die Dichte ist gross, ebenso die Sorgfalt. Hier kommt noch der Spruch von Jan Gehl, dem berühmten dänischen Städtebauexperten: «Hochhäuser sind des faulen Architekten Antwort auf die Frage der Dichte», und: «Dichte lässt sich auf intelligentere Weise schaffen als durch schlichtes Übereinanderstapeln von Etagen», und «In den ersten vier Stockwerken fühlen wir uns noch als Teil der Stadt».

Nimmt man die sich gerade jetzt ereignende Zeitenwende in Richtung Ökologie dazu, kommt nur niedrige und energiearme Bauweise infrage. Die hier schon oft beschriebene Synthese von Baum & Haus kann nur zustande kommen, wenn beide ähnliche Höhen erreichen. Ein solcher flacher Stadtkörper weist keine Stömungshindernisse auf, die sich gegen Winde und Luftaustausch stellen.

Bild links: Amman Albers Stadtwerke (Architekten)

Bild rechts: Jan Gehl / David Sim, aus dem Buch «Soft City»

Vektor in die Zukunft

«zuerivitruv» begrüsst den Gemeinderat in seiner neuen Legislatur mit den besten Wünschen für eine gute Zusammenarbeit. Wie schon zwischen 1860-1900 befindet sich unsere Stadt erneut in einer grossen Bauperiode. 

Das obere Bild steht für die Identität: Die Stadt liegt in einem offenen Gletschertal mit See und sanften Hügelketten. Die Biber und Mammut auf dem Lindenhof sind inzwischen verschwunden, doch die weissen Alpen in der Ferne lassen die Herkunft bis heute permanent aufscheinen. Das grosse Thema sind die «Silhouetten» und die gute Ausstattung von Geburt her verpflichtet im Umgang zu grosser Sorgfalt. 

Darunter geht es weiter mit einer künstlerischen Interpretation aus dem Jahr 1908. Adolphe Tièche, der das grossartige Fremdenverkehrsplakat geschaffen hat, zeigt den ansehnlichen Stand Ende der ersten grossen Bauperiode. Die Stadt hat bereits den See mit den prächtigen Quaianlagen umarmt und dank Ausbildungsmöglichkeit an der ETH die Zürcher Palastbautradition ermöglicht. Die Fraumünsterpost, das prächtige Metropol, die roten und weissen Schlösser und das Hotel Bellevue gehören dazu.

Weiter kann «zuerivitruv» nicht gehen, stehen wir doch noch mitten in dieser zweiten grossen Bauperiode. 

Für spannende Debatten ist gesorgt, denn inmitten der Bauperiode müssen veraltete Muster über Bord geworfen und durch neue ersetzt werden. Neue Erkenntnisse und Anforderungen des Klimas und der Ökologie verlangen es. Aus dieser Störung ergibt sich aber auch die grosse Chance, aus den verschiedenen politischen Positionen einen Vektor zu formen, der in eine erspriessliche Zukunft weist. Gelingt es im gleichen Zug noch alles zusammen mit einer erfreuliche Stadtgestalt in Einklang zu bringen, könnten wir uns auf die Schulter klopfen. Benutzen Sie «zuerivitruv» zur gelegentlichen Reflexion über die herausfordernden Themen.