zurich_is_beautiful

Unter diesem Bild-Label wird Zürich intensiv beworben. Abbildbares, das zieht ist gefragt. Auf diese Art kommt das Tafelsilber unserer Stadt zum Vorschein. Verschiedene Epochen haben Verschiedenes beigetragen. Wie sich eine Stadt fühlte, hat sie über die Zeiten baulich dargestellt. Schauen wir uns das Menu genauer an: wo liegen die Werte? Natürlich kommt der See zum Zug, aber auch die bis 1887 gebauten Quaianlagen und die dadurch ermöglichten Prachtsbauten. Meise, Metropol, Stadthaus, Frauenbadi. Das trockene Pavé von Zürich West kommt nicht vor. Wurde es zu wenig gestaltet? Ist der Gestaltungswille nach 1900 erloschen? Da wäre doch der Wipkingerpark an der Limmat – solange er nicht von den Tramdepôt-Hochhäuseern in den Schatten gestellt wird. Trotzdem: die Limmat ist offenbar noch kein Thema, obwohl sie nach der Erlösung aus der Inndustriezone noch im letzten Jahrhundert «öffentlich» geworden ist und auf eine Gestaltung wartet. Fazit: Zürich West braucht Gestaltung um «beautiful» zu werden.

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Nachbarliches Gedränge

Der Nachbar lässt keine Ruhe und es kommen noch mehr Nachbarn bis die Aussicht verstellt ist. Diese Nachbarn gehen nicht mehr fort, denn sie sind gebaut. Der Vorgang der endgültigen visuellen Verstopfung kommt einem städtebaulichen Schachmatt gleich. Auch für den Investor geht die Rechnung nicht auf. Sein Kalkül ist der Verkauf der Aussicht. Im Fall von Büros (wie hier am Beispiel des Flatiron-Building in New York) zieht die Überlegung zwar nicht so stark – im Fall von Wohnungen jedoch schon. Mit der verbauten Aussicht ist es der Krug, der zum Brunnen geht, bis er bricht. Und für die Öffentlichkeit ist bis dann das Stadtbild ruiniert. 

Ist es richtig, wenn die europäische Stadt Zürich ihr Hochhausleitbild jetzt neu auflegen will, statt einen Marschhalt einzulegen? Mit dem Vorschlag der Zürcher Baubehörde, das Hochhausleitbild zu erneuern entsteht die ausgezeichnete Gelegenheit, es abzulehnen. «zuerivitruv» hofft auf eine lebhafte Debatte im Gemeinderat. 

Evolution statt Zwänge

Nehmen wir den Gedanken des letzten Postings auf und spinnen wir ihn weiter. Die Blockade in den heutigen Zwängen ruft in unserer Demokratie nach einer Evolution. 

Eine neue Ämtergruppierung die der Neuausrichtung auf eine klimagerechte Stadtentwicklung entspricht, die z.B. die Bereiche Hochbau, Strassenraum und Begrünung zusammenfasst. 

Ein Blick auf Zürich West im Hochhausboom seit der Jahrhundertwende zeigt, dass kaum klimawirksames Grün zugelegt hat. Vielmehr haben die aufragenden «Zementhaufen» viel aufheizbares Volumen geschaffen und damit dem Stadtklima geschadet. Der Mangel einer Philosophie wird immer deutlicher. Dresden hat in seiner neuen Gestaltungsleitlinie für Architektur und Stadtraum u.a. Konzepte für die Durchgrünung des Stadtgewebes formuliert. 

Wer stösst in Zürich die Evolution an: die Exekutive (intrinsisch) aus sich heraus oder der Gemeinderat?

Bilder: Neuere Wohnbauten an der Herman-Greulich-Strasse und Zementburgen im Bereich Hohlstrasse

All die Zürcher Zwänge

Weniger die tiefwurzelnden Grossbäume sind in Zürich gewachsen, als ein Gestrüpp von Zwängen. Obwohl die meisten Randbedingungen geändert haben, sollen die 2001 eher willkürlich über Zürich geworfenen Hochhauszonen mit einem erneuerten Hochhausleitbild neu aufgelegt werden. Wie wir schon wissen, mit zusätzlichen quadratkilometergrossen 40 Meter Zonen und einer Dubai-Zone auf 3.5 Kilometer Länge mit unbeschränkter Bauhöhe. Was uns unsere Stadtverwaltung für die nächsten Jahrzehnte vorschlägt ist angesichts des Wandels an vielen Fronten ein Auslaufmodell.

Was macht den Wandel aus? Das ist vor allem das neue Bewusstsein im Umgang mit Energie. Genauer gesagt, die Aufrechnung jeglicher Energie, die vom Erz, vom Rohstoff über die Bauprodukte und die Konstruktion bis zur Fertigstellung anfällt und sich mit den Jahrzehnten des Betriebs fortsetzt. Dass da das Hochhaus mit 20-40% mehr Aufwand ausser Betracht fällt, ist inzwischen klar geworden. Das belegt nun auch ein Papier der Universitäten Cambridge und Boulder Colorado, das «zuerivitruv» in einem der nächsten Postings vorstellen wird.

Eine von mehreren Zwängen, die zur Fortsetzung des fragwürdig gewordenen Pfads wirkt ist das Geschäftsmodell von einigen Totalunternehmern der Schweiz. Sie wollen sich, wie kürzlich bekanntgemacht (Posting vom 9. März 2023) vermehrt auf das kapitalintensive Hochhaus mit teuren Wohnungen ausrichten. Hier stellt sich die Frage, ob sich die Stadt Zürich wegen deren Geschäftsmodell von einem Umdenken abhalten lassen soll. Formt die Stadt oder wird sie geformt?

Ein Stadtgewebe aus Baum und Haus

Wer kennt nicht die liebenswürdigen Schweizer Witze aus dem letzten Jahrhundert?:  «Was ist der Unterschied zwischen Baum und Haus? Keiner, denn beide … «

… können alt werden. 240 Jahre im Fall der abgebildeten Platane im Gelände der Abbaye de Fontenay im Burgund. Bäume wirken den Folgen des Klimawandels entgegen, solange sie gross und tiefwurzelnd sind und nicht von Hochhäusern überragt werden. Im Fall von Hochhäusern können sie keinen Schatten mehr geben und der Zement gleisst hitzespeichernd in der Sonne. Das ruft künftig nach einem Stadt-Gewebe in dem Baum und Haus gleichwertig vorkommen und sich ergänzen.

Im Falle der Zürcher Quaianlagen aus dem Jahr 1887 ist das gut gegangen, im Fall der alles überragenden Tramdepôt-Hochhäuser, die die Limmat und den gegenüber liegenden Wipkinger Park dominieren werden, weniger.

Rechtes Bild Bullingerhof:

author name Paebi
http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Paebi
https://www.wikidata.org/wiki/Property:P275

Warten auf Godot?

Es ist erstaunlich wie trocken, heiss und schattenlos gerade die neueren Grossbauten in Zürich daherkommen. Bezüglich der fehlenden Bäume auf dem seitlichen Trottoir des Erweiterungsbaus des Kunsthauses hat «zuerivitruv» bereits zwei Mal dem Amt geschrieben und nur ausweichende Antworten bekommen. Die Rämistrasse ist die Zürcher Version der klassischen europäischen Ringstrasse. In fast allen Städten sind diese aus der Abtragung der barocken Schanzenbauten hervorgegangen. Meist umschliessen heute üppige Alleen die Innenstädte. Sie sind wichtig für die Zäsur gegenüber den Stadterweiterungen und bieten im Stadtgewebe Orientierung und Identifikation. Bekanntestes Beispiel ist die Wiener Ringstrasse.

Das letzte Posting zeigt das Polizei- und Justizzentrum wie es im Stadtbild erscheint. «zuerivitruv» hat jetzt auch die Bahnseite an Ort begangen und stellt fest, dass hier eine Hitzezone buchstäblich geschaffen wurde. Ausser einem Portal für die Einlieferung der Gefangenen findet der Passant nur Asphalt, Beton und heissen Stein.

Spricht man von Verdichtung, braucht es auf der klimatischen Seite die Kühlung der Grossbäume und auf der sinnlichen deren flirrendes Grün. 

Braucht Zürich eine Baumkultur?

Als «zuerivitruv» noch im letzten Jahrhundert einmal nach längerer Pause nach Zürich zurückkehrte, sah er diese tristen «Glasgow-Türme» (Hardau) und erschrak. «Müssen wir das jetzt auch bei uns erleben?» waren seine Gedanken. Nach der Rückkehr aus Frankreich am Wochenende fragt er sich, warum uns zugemutet wird, täglich mehrere hundert Meter Justiz- und Gefängnisfassade ungefiltert ansehen zu müssen (Polizei- und Justizzentrum). Im Kontrastbild sehen wir den gigantischen Baumkörper an der Flussschlaufe von Besançon. Schauen wir über die Stadt Zürich hinweg, ist das Setting in den grünen Hügelzügen prächtig. Verzweiflung wäre nicht angebracht.

Dieses laterale Städtedenken zeigt einen langjährigen Mangel an Stadtbildbewusstsein in Zürich. Jetzt kommt das Klima zu Hilfe und verlangt Beschattung der Fassaden. Letztes Jahr hat der Tages-Anzeiger über Experten berichtet, die hier an Boden und Fassaden des PJZ zwischen 40 und 50°C gemessen haben.

Die Erkenntnis:  Grossbäume mildern die Sicht und die Temperatur.

Grüner als im Mittelalter

Die Ästhetik ist überwältigend: Der helle Kalkstein der Fassaden, die (echten) Schieferdächer und die Platanen. Das obere Bild zeigt den Quai entlang der Vienne und hinten links die gigantischen Platanen des öffentlichen Parks. Das war nicht immer so. Chinon begann im Mittelalter als befestigte Stadt mit Stadtmauer entlang dem Fluss. Die Allee ist im 18. Jahrhundert vorstellbar und der Park im 19. Die Leistung der Gegenwart besteht darin, das in verschiedenen Epochen zugelegte Baumgrün nie dem Auto geopfert zu haben. 

Überlegen wir uns doch, wie wir in Zürich eine neue durchgrünte und klimagerechte Stadtästhetik aufgleisen könnten. Bäume wachsen langsam – wir sollten beginnen. Wo ist das Konzept? Wie lange muss z.B. das Hitzetrottoir neben dem neuen Erweiterungsbau des Kunsthauses noch auf die Allee warten?