Skin in the Game

Der Forscher und Essayist Nassim Taleb spricht in seinem bekannten Buch «Skin in the Game» über das verantwortungsvolle Engagiertsein. Bürgermeisterin Anne Hidalgo, für die Qlympiade in Paris das Wasser der Seine prüfend, beeindruckt und führt zugleich. Sie etabliert Geist in der Stadt und bewirkt «Volonté Générale». «zuerivitruv» erlebte den Sturm der Schulklassen im Musée Carnavalet (der Stadtgeschichte gewidmet) und staunte nicht schlecht über das Interesse. Eher gegenwartsbezogen bietet der Pavillon de l’Arsenal thematische Information. Z.B. mit einer Ausstellung und Publikation «Paris d’Ingénieurs»: Die «Percements» von Haussmann, die Unterquerung der Seine der Métro, die steinverkleideten Stahlbrücken und die Konstruktion des «Parc des Buttes-Chaumont». Wie wir sehen, kann solche «Volonté Générale» hervorgerufen werden. Sie rührt an die Seele des Volkes, aber auch an die der kleinen und grossen Akteure in der Stadt.

Bei uns ist es eher windstill. Wenig Ideen, kaum Visionen, viel gegenseitige Blockade. Wo Ideen und Freude fehlen, kann es keine Begeisterung geben. Wenn Städtebau nur das jahrelange Herumwürgen mit Hochhäusern in einem guten europäischen Stadtbild ist – und dann noch in deplatzierter Streubauweise über die halbe Stadt verteilt – dann sind wir irgendwie auf Grund gelaufen. Zürich braucht mehr «skin in the game». Die gegenwärtig andauernde Wachstumsphase – wie nur ein Mal (1900) zuvor – ruft danach. Sonst haben wir einen überdrehenden Motor und niemanden am Lenkrad. Dass das nicht aus der Luft gegriffen ist, belegt die Aussage von Professor Alain Thierstein, in Zürich fehle die Urban Governance. Er sagte das anlässlich der Vorstellung der Idee «Pfingsthain» zur Aufwertung des ehemaligen Autobahnzubringers Pfingstweidstrasse.

Seine und Querachse

Das obere Bild des letzten Postings demonstrier uns, wie die Seine zum räumlichen Rückgrat der olympischen Spiele gemacht wurde. Das ist ein Integrationsschritt von internationalem Sport und Stadtkulisse, wie er noch nie gesehen wurde. Gegebenheit und Gestaltungswille paaren sich. Die Gegebenheit ist, wie schon gesagt über Jahrhunderte gewachsen. (Ein anderes Mal werden wir uns – unabhängig von den Spielen – mit den interessanten Mutationen des Raumes Louvre – Tuilerien – Concorde – Etoile befassen). In Zürich konnten wir ähnliche Grösse und Gestaltungswille Ende des vorletzten Jahrhunderts sehen: mit den 1887 dem Volk übergebenen sechs Kilometer langen Quaianlagen, einem Gemeinschaftswerk der damaligen Gemeinden Zürich, Enge und Riesbach. 

Weiter mit dem grossen Bogen der Seine: Der Champ de Mars mit dem Eiffelturm und sein grossartiges Echo auf der Gegenseite, das Hufeisen des Palais de Chaillot, bilden eine Querachse zur Seine, die je ein Stadion und einen Platz für Begleitveranstaltungen übernehmen. 

Die Eignung für eine Stadtolympiade

Die gute Eignung von Paris für die vermutlich erste «Stadtolympiade» weltweit kommt nicht von ungefähr. Das letzte Posting hat Einstimmung dazu gegeben. Europaweit ist inzwischen klar geworden, dass eine amerikanische Gewaltanwendung auf Stadtgewebe mit dem Auto nicht mehr infrage kommt. Es gibt zwar den Boulevard Périphérique und dieser wird bleiben. Doch in der Innenstadt wird der Privatverkehr dort zurückgefahren, wo der daraus entstehende Nutzen für die Bevölkerung gross ist. Damit hat die Bürgermeisterin Anne Hidalgo an den Quais de Seine begonnen. Sie sind jetzt weitgehend verkehrsfrei. Nur deshalb kann die Sommerolympiade mit so grossem Anteil an der Seine stattfinden. Hat die Bürgermeisterin die Olympiade vorausgesehen? Machen wir einen Quervergleich mit Zürich, so werden wir bleich vor Scham: Die Limmat ist 30 Jahre nach der Aufhebung der Industriegebiete und mit 30 Jahren Wachstum nach Westen immer noch der selbe unwirtliche Industriekanal. Die kleinen Verbesserungen infolge der «Letten-Problematik» wollen wir dabei nicht übersehen. Doch die jüngste Ablehnung vieler Parteien, den Limmatraum überhaupt zu thematisieren, lassen am städtebaulichen (Selbst-) Bewusstsein von Zürich zweifeln. Fehlt der Impetus, hat auch die Presse kein Thema.

Das Ganze Posting artet jetzt zu einem Warnruf und zu einer Aufforderung aus, die anfallenden Probleme im Zürcher Städtebau mit Freude zu lösen. Gedanken bringen Gedanken und die Olympiade von Paris ist hier der nicht vorgesehene Auslöser. Er gemahnt uns daran, die laufende Pflege der Stadt nicht zu vergessen. Er gibt uns Energie, denn Charakter soll mindestens mit dem BIP Schritt halten! 

Jeux Olympiques

Konnte man es sich vorstellen?

Olympische Spiele in der Metropole?

Man staunt, sie zeigen was sie haben: das herrliche Stadtbild. Es wird jetzt mit der Sommerolympiade in Paris zelebriert. Die olympische Flammme auf dem Eiffelturm!

On fait la Fête mondiale. Man bettet das Fest in die grossartige Stadt ein. Hat man das in dieser Form schon jemals gesehen? Ideen sind die Stärke Frankreichs.

Man hat Jahrhunderte lang geplant und gebaut, eine Stadt geschaffen mit prominenten Orten und grossartigen öffentlichen Räumen. Übrigens nicht alle aus der Zeit der Könige oder Kaiser. Auch die verschiedenen Republiken haben den Faden weitergesponnen. Jede Epoche hat wieder eine Rakete gezündet. Fehlstarte hat man oft erkannt – nach der schwarzen Tour Montparnasse hat man eine neue Form für das Neue Gefunden: Die Gruppierung der gratte-ciels ausserhalb der Stadt. Man hat die Gruppierung der Hochhäuser mit einem Zentrum versehen, das der Öffentlichkeit gehört: die Grande Arche de la Défense. Sie steht auf dem Schnittpunkt der Achse der Champs Eysées und derjenigen des Champ de Mars (Eiffelturm).

Die Olympiade 2024 in Paris macht uns wieder einmal bewusst, was eine gute Stadt ist und was es bedeutet, ein Niveau über die Jahrhunderte weiterzutragen. Das ist eine eminent europäische Sache. Es gibt ein geflügeltes Wort – woher es auch immer kommt – «Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers».

Viel Tamtam um harmlose Auflagen

Bei der Vorstellung der neuen Hochhausrichtlinien sprach die Stadt leichtfüssig über «Erschwerungen für Hochhäuser» zur Presse. Doch kein Wort über die im vorletzten Posting erwähnten Quadratkilometer neuer Gebiete im ganzen Norden. Von Affoltern über Oerlikon, Seebach bis nach Schwamendingen und im Südwesten der Stadt: Zusammen mit den bestehenden Gebieten ein Meer von Hochhaus-Stoppeln. Zwischendurch und interessant: Das Tagblatt und die Blätter der Lokalinfo AG liessen sich nicht blenden. Denn die «Erschwerung» ist viel Tamtam über einen Nebenschauplatz. Dahinter verbergen sich einerseits die genannte Erweiterung der Hochhauszonen und anderseits die neu vorgeschlagene «Dubai-Zone» mit nicht beschränkter Bauhöhe. Das Tamtam kann auch ein Hinweis darauf sein, dass das schlechte Gewissen bezüglich der Hochhäuser durchdrückt, nämlich die Energiefrage, das Stadtklima und der übergrosse Aufwand an CO2. Diese neuen Zeitfragen sind schlichtweg übergangen worden. Vielleicht (hoffentlich) drückt auch das Schaden nehmende Stadtbild. Damit gebricht der Vorlage die Tauglichkeit für die Zukunft unserer Stadt. Da Tonnagen auf alle Zeit falsch gebaut würden, kann von der Einhaltung der Klimaziele nicht mehr die Rede sein. Als Zürich 2001 Hochhausgebiete erliess, geschah dies zur Anheizung der Konjunktur nach einer langen Rezession. Von der Wärme hat man zwar gewusst, sie ist jedoch nicht ins Kalkül einbezogen worden. Darf das eine Stadt 20 Jahre später für nochmals 20 Jahre tun?

Im Bild: orange die zusätzlichen Hochhauszonen, nebenan die Stachelstadt 2030

Bratpfanne / Ofenrohr

Das Pavé von Zürich, wo die meisten arbeiten oder wohnen, bratet in der Sommerhitze. In den achtziger Jahren, lange vor den Hochhäusern, warnte Peter Stünzi, damaliger Vorsteher des Gartenbauamtes, vor Hitzestau und empfahl beidseits des 200-300m breiten Geleisfelds grüne Ausgleichszonen auf den nicht mehr benötigten SBB-Werkstatt-Arealen. Quer dazu sah er alleebestandene Strassen. Stark durchgrünte zonengemässe Normalbebauung wäre auch noch «gegangen». 2001 und in der jetzt vorgeschlagenen Überarbeitung der HH-Richtlinien sind hier jedoch die grössten Bauhöhen vorgeschlagen, als gelte es die Hitze erstens professionell einzufangen und zweitens professionell in den Betonwänden zu speichern. Das ist eine ziemlich perfekte Anlage für Wärmespeicherung, die dafür einen Preis gewinnen könnte. 

«zuerivitruv» führt dieses eine von vielen Beispielen mit Galgenhumor auf, um zu zeigen, wie stark die neuen Richtlinien aus der Zeit gefallen sind. 

Neue Hochhausrichtlinien: tanto fumo – poco pane

Letzten Mittwoch sind nach 1 ½ Jahren Übrarbeitungszeit die Ende 2022 in die Vernehmlassung gegangenen Hochhausrichtlinien veröffentlicht worden. Fast 1 Jahr länger als erwartet dauerte die Überarbeitung. Eine grosse Zahl von Einwendungen sei eingegangen. Wie «zuerivitruv» weiss, auch sehr quaifizierte.

Jederman kann das Dokument im Internet ansehen und mit demjenigen von 2022 vergleichen. Das Erschrecken kommt, weil in dieser Zeit fast nichts passiert ist. Z.B. ist der Plan der Gebiete mit den Quadratkilometern von neu zu schaffenden  Hochhauszonen in grossen Norden (Affoltern-Oerlikon-Seebach-Schwamendingen) und im Südwesten gleich geblieben. Schon die Gebiete, die 2001 ausgeschieden wurden waren viel zu gross. Sie begründeten die Zürcher Streubauweise für Hochhäuser. Schon damals ein städtebuliches Versagen, das sich im heutigen unästhetischen «Stoppelfeld» äussert. Ebenfalls gleich geblieben ist die 3.5 km lange zone für Hochhäuser unlimitierter Höhe.

Das Vorhaben kommt bald in die entsprechende Kommission des Gemeinderats. Wir befinden uns schon eine Weile im Spannungsfeld von Energie, Klima und CO2. Das ist nicht neu, das ist kein schwarzer Schwan. Der diesbezügliche weltweite Paradigmenwechsel ist an den Verfassern vorbeigegangen. Die Vorlage ist heute aus der Zeit gefallen, die Chancen vor der Politik könnte sich als ungewiss erweisen. 

Links: Gebiete 2022, rechts 2024

Aufstockungsinitiative eingereicht.

Da die Initiative gestern eingereicht worden ist, kam der Abschluss nach 5 Postings doch zu früh. Es bedarf noch eines Überblicks. Mit der Initiative kommt ein alternativer Vorschlag eines Optimierungsvorgangs zur Erreichung von mehr Dichte. Aufstockung macht das durch breite Verteilung im Stadtgewebe und nicht mit disruptiven wild aus dem Stadtbild herausragenden Hochhäusern. Die Aufstockungsinitiative kommt einer qualitätvollen Verdichtung näher als mit in jeder Beziehung disruptiven Hochhäusern, die schon aus Gründen von Energie und CO2 je länger je weniger tragbar sein werden. 

Der Plan zeigt ein Stück Zürcher Stadtgewebe und will damit sagen, dass es ein Eintauchen darin braucht. Das typisch menschliche Suchen nach Opportunität kommt zum Zug. Nachdem in Zürich Jahrzehnte nur aufs einzelne Haus fokussiert wurde, kommt jetzt das Häusermeer ins Visier. Schauen wir auf den Gewebeplan, gibt es das einzelne Haus, die Gruppe bis zu ganzen Siedlungen, die für die Aufstockung infrage kommen. Ebenso weit ist der Fächer der Baurtäger: vom Hausbesitzer über die Pensionskasse bis zur Genossenschaft. Auf die Architekten wartet eine Aufgbe, die Können erfordert. Private Spürnase und Stadtplanung können sich ergänzen. Vielleicht wird Zürich einst durch diese Art der Verdichtung bekannt – eine von mehreren Alternativen zum unerfreulichen Hochhaus-Stoppelfeld. Dieser Weg muss ernsthaft geprüft und ausgestaltet werden.