Zürich, ein Möchtegern?

Die offengelegten Studien zur Revision des Hochhausleitbilds haben entlarvt, was in den Köpfen des Amtes für Städtebau vorgeht. Nicht nur wurden extreme Höhen gezüchtet, es wurde auch aus einer Reihe von Wettbewerbsbeiträgen das Konzept mit den grössten Höhen (bis 250m) ausgewählt. 

«zuerivitruv» möchte nach den ab 2. Februar publizierten Darstellungen im Stadtbild jetzt die Höhen auch spürbar machen – was es für jede einzelne Person ausmacht. Es geht um das ertragen der grosse Zahl und die damit verbundene Anonymität. Hier ein Versuch:

   « you count it – you never reach it »:

Die abgebildete Hochhaus-Wand in Hong Kong hält zum Zählen an. Man will im unendlich scheinenden Raster irgendwo Halt gewinnen. Rechts kommt man auf 29 Etagen und etwa 90 Meter Höhe. Also weit gefehlt bezüglich der Zielvorstellungen des Amtes für Städtebau und seinen Planungsgehilfen. Gehen wir nach fast ganz links, zählen wir 73 Etagen, was 220 Meter macht. Wieder gefehlt – für Zürich sollen es gemäss den ausgewählten Studien 250 Meter sein. 

Der Höhenplafond und die Ausnahme davon

Wir sprachen im vorletzten Posting von der Wichtigkeit, die Nahtstelle zwischen Gebäude und dem Strassenraum publikumswirksam zu gestalten. Wir turnen jetzt höher und begutachten den Stadthorizont. Paris hat – obwohl es die vierfache Einwohnerdichte von Zürich aufweist – den Horizont im Griff. Das ist der «Gabarit» – der Höhenplafond. 

Was darüber hinausschaut, muss einen Grund haben – es muss im öffentlichen Interesse sein. Das ist beim Centre Pompidou natürlich der Fall. Es wird aber auch da, wie Sie sehen, nicht übertrieben. Es geht um 1-2 Stockwerke und die berühmte Kaskaden-Rolltreppe bringt schon den Überblick.

Drängt jeder darüber hinaus und wird das jedem erlaubt, ist die Stadt bald verdorben. Das macht jetzt gerade Zürich indem der Hochbauvorsteher André Odermatt und seine Stadtbaumeisterin Katrin Gügler die Zügel schiessen lassen. Vermutlich kann einzig ein Moratorium für Hochhäuser ihnen das Handwerk legen. Sympathischer wäre es, sie hätten angesichts der Klima- und Energiefragen das Einsehen.

Stadt & Stadtseele

Dieser Kommentar zum Posting «La Tour noire» vom 13. April erreichte «zuerivitruv» per Instagram aus Südamerika: «Das schöne Paris vergewaltigt!» Mit der Übersetzung aus dem Englischen kommt die deutliche Aussage etwas anständiger daher. Eine Stadt kann einem also leid tun; sogar eine Grossstadt. Paris hat sich über Jahrhunderte Mühe gegeben, auch nach den Königen und Kaisern, denn schon 150 Jahre ist sie ununterbrochen Hauptstadt einer Republik. Schönheit und Stolz sind so gross, dass sie dem meist ungehobelten Anlagedruck auf Immobilien dieser Weltstadt standhalten. Seit dem 19. Jahrhundert wird dem Druck eine Form gegeben.

Kann einem Zürich wegen seinem im Westen und Norden wachsenden «Stoppelfeld»  leid tun? Was täte einem in Zürich leid? «zuerivitruv» denkt: Es sind die einerseits brutalen, anderseits wahllosen und ungeordneten Eingriffe durch Hochhäuser die die Stadtsilhouette aufbrechen. Weh tun kann auch die Schädigung der Quartiere im Nahbereich: Schatten, Anonymität, brutale Grösse. Im Stadtbild als Ganzem ist es schlichtweg eine Art von gebauter «Beleidigung».

Paris zeigt nach dem weitherum und immer noch bedauerten Betriebsunfall der Tour Montparnasse (1973), dass Investitionsdruck gelenkt werden kann und dass sich neue Bauten ins Stadtbild einfügen. Das kleine Zürich sollte ebenfalls fähig dazu sein. Es braucht dazu das Abtischen sowohl des bisherigen, als auch des sich im Delirium befindenden neuen Hochhausleitbilds. 

Urbanität oder Unwirtlichkeit

Urbanität beginnt im Gebäudesockel. Hier «spricht» das Gebäude mit der lokalen Welt auf dem Trottoir, der Strasse, dem Platz. Es geht um die gekonnte Behausung dieses Lebens an der Nahtstelle. Italien brachte schon vor Jahrhunderten die Arkade, Paris führte per Dekret 1863 das Mezzaningeschoss ein. Das ist eine Erweiterung des Erdgeschosses nach oben. Heinrich Ernst realisierte sein Mezzanin bereits 1892 in seinem prächtigen «Metropol», zwischen Stadthausquai und Fraumünsterstrasse gelegen. Für Kenner eines der besten Gebäude unserer Stadt. Schauen Sie, wie gekonnt der Architekt die Fassade von Erd- und Mezzaningeschoss in einer graugrün gestrichenen Eisenkonstruktion zusammengefasst hat! 

Der Prime Tower kann keinen Preis in Urbanität gewinnen: 

  • keine Arkade
  • kein Mezzaningeschoss
  • nicht einmal ein Erdgeschoss

Der Prime Tower verweigert das Gespräch, obwohl er im Zentrum eines neuen Stadtteils steht. Bald wird hier ein wesentlich grösserer Bahnhof gebaut; der Architekturwettbewerb ist längst ausgelobt. Es geht natürlich nicht, dass eine Glasfassade aus 126 Metern Höhe einfach in den Asphalt knallt und dahinter die ersten Arbeitsplätze mit ihren Computerbildschirmen hervorschauen.

Zürich hat ein Baukultur-Problem. Nicht nur im Stadtbild, auch im Detail. Eigentlich wäre für beides ein Stadtbaumeister zuständig. Der Gemeinderat und die Presse könnten sich der Frage annehmen. «zuerivitruv» will mit diesen Posting ein Zeichen gegeben haben.

Das „Placement“

Es ist Normalfall, wenn das Bauen der Anlage von Kapital dient. Solange es um das Bauen und eine angemessene Verzinsung geht, ist dieser «courant normal» völlig in Ordnung. So funktionierte die Schweiz über Jahrzehnte. Verselbständigt sich jedoch der Anlagezweck, können neue Formen ins Spiel kommen. Es wird zum Beispiel zum Schaden der ganzen Stadt und im Speziellen der Nachbarschaft in die Höhe gebaut, nur damit Aussicht verkauft werden kann. Hier sollte das Gemeinwesen ins Spiel kommen: Das Kapital muss zum Nutzen der Stadt gelenkt werden. Das ist in der Stadt Zürich seit längerem nicht mehr der Fall. Dass dies bei einem Bauvorstand der der SP angehört geschieht, ist zumindest eigenartig. Die Korrektur seitens seiner Partei lässt noch immer auf sich warten. Heutzutage kommt noch dazu, dass das Hochhaus die Leitsätze der Ökologie mehrfach verletzt. Solche rücksichtslose «Placements» sind aus der Zeit gefallen. Zürich braucht die Vorgabe einer neuen Baukultur für die Bevölkerung, die Anleger, Investoren und Genossenschaften – für alle zusammen.

Zürich – ein Fest, oder: Zürich – ein Moloch?

Noch einmal warten wir mit dem nächsten Turm – er kommt früh genug. Zuerst stellen wir die philosophische Frage: will die Stadt ein Fest sein, oder lässt sie sich zu einem Moloch machen? Ist die Stadt emanzipiert, oder lässt sie sich von alles verschlingenden Mächten in eine Opferrolle drängen? 

Die gute Stadt sorgt für bekömmlichen Lebensraum für alle. Zürich hat schon einmal eine Meisterleistung vollbracht. Mit seinen Quaianlagen gelang es der Stadt 1887 den See zu umarmen. Die Umarmung ist innig – wir flanieren darin und es käme uns nicht in den Sinn, mit dem Jardin des Tuileries von Paris zu tauschen. 

Das seit 2002 entstandene «Stoppelfeld» von wild gesäten Hochhäusern macht hingegen niemanden glücklich. Die nicht, die das Stadtbild geniessen möchten und vor allem die betroffenen Nachbarn nicht. Dass die selbe Stadtverwaltung, die diesen Schaden über Jahre gefördert hat, nun auch noch die am 2. Februar entlarvten Hochhausstudien über Jahre angestrengte, gibt zu denken. Die Hochhausgebiete sollen in alle Stadtteile ausgedehnt werden. Auch vor Ufern der Gewässer wird kein Halt gemacht. Es sind ausgedehnte Zonen mit Gebäudehöhen von ¼ Kilometern vorgeschlagen. An Stelle eines friedlich im Gletschertal liegenden Gebäudeteppichs würde die Albiskette, der Zürich- und den Käferberg attackiert.

Diese Vorschläge gehen auf Kosten von Stadt und Bevölkerung. Wollen wir lieber das Fest statt den Moloch, braucht unsere Stadtplanung dringend einen «Reset» – wenn nicht sogar den Wechsel der Planungsequipe.

Ostern

Bevor der nächste Turm kommt machen wir ein kleines Fest im Städtebau = «Urbanisme», denn im Bild ist Paris sofort erkennbar. Das rührt nicht nur vom überall verwendeten hellen Stein her. Es ist die unlimitierte Zahl von fassadenvariationen innerhalb der Regeln von Haussmann (1853 etabliert). In späteren Zeiten kommt der reiche Dekor, hier mit Karyatiden, die das Gebälk tragen. Damit wird der Ecksituation des Gebäudes Rechnung getragen.

Stolz wird das Werk mit 1882-85 und dem Namen des Architekten auf der Fassade «signiert». Das gilt für jedes «Haussmann-Haus», jede «haussmannienne», wie man sie in Paris nennt. 

Zur Erinnerung: Das haussmannsche Prinzip beinhaltet die Höhenteiligkeit der Fassade mit Erdgeschoss/Mezzanin, darüber 3 Wohngeschosse und zum oberen Abschluss eine zurückgesetzte Attika. Durchgehende Balkone gibt es nur im 2. Geschoss und vor der Attika.

Eine kleine Delikatesse zu Ostern: Die Klappläden sind in so schmale Segmente geteilt, dass sie zusammengefaltet in der Fensterlaibung verschwinden können.

next please!

Will ein Bauherr einen Turm bauen und dazu noch Ausnützungsgeschenke über den Rahmen der Bauordnung hinaus erhalten, muss er ein gewisses Verfahren durchstehen können. Dazu braucht es den Hintergrund eines Grossinvestors. Und damit ist meist der Faden zu einem bekömmlichen Baubeitrag für unsere Stadt gerissen. Es geht oft um ein reines «Placement» von Anlagekapital. Alles andere tritt in den Hintergrund. Auf der Bautafel steht: «ab dem 7. Obergeschoss freie Sicht». 

Hier kommt das Gemeinwesen in die Pflicht, weil da eine Partei auf Kosten der umliegenden Nachbarschaft profitiert. Kommt für die ganze Stadt noch dazu, dass mit dieser Baupolitik am berüchtigten Zürcher «Stoppelfeld» weitergestrickt wird. Der Ausdruck «Stoppelfeld» wurde übrigens in der Veranstaltung im KOSMOS vom 28. März dreimal von verschiedener Seite im abschätzigen Sinn gebraucht. Damit ist er öffentlich und zum Begriff geworden!  

Bild: Vorne die qualitativ hochstehende Siedlung «Kappeli» von Architekt Theo Hotz, hinten der Turm «Basilisk» der Swiss Life.