Eine Dichtestufe höher im urbanen Flachbau

Wir sind noch nicht im Zentrum der Stadt angelangt, aber im flächenmässig grossen Ring darum herum: Wollishofen, Unterstrass, Hottingen für Zürcher Verhältnisse und etwa Zone W4 mit Attika im städtischen Zonenplan. 

Entwürfe sind immer dann gut, wenn Architekten tief in die örtlichen Bedingungen eintauchen und – hoffentlich, denn es ist nicht selbstverständlich – mit einer optimalen Lösung wieder auftauchen. Im Wohnbereich gibt es in Europa längst «typische» Lösungen für ähnliche Fragestellungen. Stapelt man einfach gleiche Etagen übereinander, dann wurden die Hausaufgaben nicht gemacht, oder der Architekt überhaupt weggelassen. Hier in Amsterdam hat der Architekt sehr schön realisiert, dass die Sockelzone eine solche sein soll und sie auch optimiert: Wer in den Garten will, möchte nicht gerade über seinem Sitzplatz die Ohren des Nachbarn haben. Also macht er hier eine zweistöckige Maisonettewohnung, in der es sich zudem wie in einem Einfamilienhaus lebt. Darüber folgen Familienwohnungen mit geräumigen Balkonzonen. Den oberen Abschluss feiern die Attikawohnungen. Die Mehrkosten sind praktisch null, der Mehrwert riesig. Innerhalb der individuellen Gärten dieser Hofrandbebauung teilen alle zusammen einen grünen Innenhof. Was zusätzlich noch glücklich macht, ist die Abstufung von Privat über Halbprivat zu Öffentlich.

Für Zürich gesprochen: In jeder Bauzone lässt sich ein Optimum erarbeiten. Das braucht die Architekten. Diese Qualität müssen wir verlangen, denn sie macht unsere Zivilisation.

Was Stadtgewebe kann

Beginnen wir mit der «Siedlung Halen» bei Bern, die die moderne Schweizer Architektur international bekannt gemacht hat. Es ist «Gewebe», nicht in erster Linie «Haus». Was wir vom europäischen Altstadtgewebe her kennen, ist um 1960 in neuer Form in einer Waldlichtung erstanden. Passend war, dass Paul Hofer, der an der ETH Stadtbaugeschichte unterrichtete, die reisenden Studentenscharen als  Halen-Bewohner selbst empfing. Anerkannte er damit die Siedlung bereits als Teil von «Stadtgeschichte»?

Was «Altstadt» nicht kann – das sind die modernen Errungenschaften des Wohnens – erfüllt «Halen». Jede Wohneinheit verfügt über Balkon und Garten in Privatheit und alle zusammen bilden ein Gewebe aus Gassen, Platz und Freibad. Zur Privatsphäre gesellt sich der allen zugängliche öffentliche Raum. Die Synthese ist so gut gelungen, dass man von einem genialen Wurf sprechen kann. Solche Siedlungen können Menschen glücklich machen.

Weitere Beispiele im urbanen Flachbau

Eigentlich müsste noch viel mehr vom «europäischen urbanen Flachbau (4-6 Etagen)» die Rede sein. Die Mustersammlung ist unendlich, ebenso die Erfahrungen und die Weiterentwicklungen. Nähe der Zentren überwiegt der Bodenbezug im Erdgeschoss in Form von Läden. Rückseitig in den Innenhöfen finden sich ruhige Aufenthaltszonen für die Bewohner. Wird es raffiniert, haben die Wohnseiten im Erdgeschoss Hochparterre mit zugeordneten Aussenplätzen und dazu noch einem gemeinsamen Innenhof für alle. Diese Hofrandblöcke bieten an den Kreuzungen oft Läden oder andere öffentliche Nutzungen an. Zusammen bilden die Blöcke das typische europäische Stadtgewebe, welches erstmals im 19. Jahrhundert gefördert wurde. In München übrigens mit offenen Stellen zum Einblick, eine Idee des damaligen Stadtbaumeisters Theodor Fischer um 1900. 

Gehen die Blöcke oder Hauszeilen mehr in die Peripherie, bekommt das bodenbezogene Wohnen mit eigenem Garten, am besten in Form einer Maisonette im Gebäudesockel, zum Zug. Darüber folgt die mehrgeschossige Mitte mit Balkonen oder besser: Loggien. Als oberer Abschluss bieten sich Wohnungen mit Dachterrasse an. Bei einer solchen Gliederung braucht es gar nicht mehr so viel Gestaltung um gut auszusehen und einen erfreulichen Beitrag zum Strassenraum zu leisten.

Bilder: Rotbuchstrasse Zürich EMI Architekten, Quartier Vallila Helsinki

In Zürich überschattet das Hochhaus den urbanen Flachbau

Wegen der einseitigen Fokussierung des Stadtzürcher Hochbaudepartements auf das Hochhaus vergessen wir die vielen erfolgreichen Bemühungen auf unserem Kontinent, die Verdichtung im europäischen Stadtgewebe mit dem geeigneten urbanen Flachbau (4-6 Etagen) zu bewältigen. Die Bemühungen sind eindrücklich; die Vorteile immens. Unter vielem anderem der Bezug zum Boden und der Nachbarschaft. Dann die kleinere Energiemenge beim Bau und die viel geringere Energie im Betrieb und die günstigeren Erstellungs- und Mietkosten. Was immer vergessen wird, gehört auch dazu: das Stadtbild wird nicht durcheinandergebracht und die Nachbarschaft nicht gestört. Wir haben schöne Städte, die stets sorgfältig ergänzt worden sind. In Berlin z.B. durch die grossen Wohngebiete der Zehner- und Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts: Waldsiedlung Zehlendorf, Onkel Toms Hütte, Hufeisensiedlung Berlin-Britz (unteres Bild). In Zürich «Mehr als Wohnen» in Leutschenbach, Helmutstrasse bei der Bäckeranlage, Wohnsiedlung Buchegg (oberes Bild) und die ABZ-Siedlung Toblerstrasse. «zuerivitruv» bringt im Folgenden weitere Beispiele.

Feingefühl für Permanenz

Auch im TEC21, der Schweizerischen Bauzeitung ist die im letzten Posting erwähnte Transformation des Basler Bankgebäudes thematisiert worden. «Neues Feingefühl für Permanenz» ist der Titel; mit «einfachen Eingriffen» und «viel Respekt» geht es weiter. Wenn wir mehr ins Detail gehen, sehen wir, dass die betonpompöse 150 Meter lange Strassenfassade bleibt, doch die Rückseite für das Wohnen neu eingekleidet und damit freundlicher wird. Das gläserne Foyer wird zum «Palmenhaus» und dient als Begegnungsort. Mit der Aufstockung erhält die lange Bauzeile einen oberen Abschluss. Damit wird ein oft vorkommender Mangel der Architektur der Moderne behoben: der Kubus steht nicht mehr «abgesägt» da.

Das ist ein Fall von spielerischem und intelligentem «Sowohl-als-auch». Das sind ganz andere Fähigkeiten als bisher, die künftig auf Bauherrschaften und Architekten warten. Es ist die Veränderung und Verdichtung im Bestand bei Geringhaltung der Grauen Energie: ein neues Gleichgewicht.

Bilder: TEC21, 12. Januar 2024

Zeitgemäss im Stadtgewebe operieren

Währenddem sich in Zürich leider immer noch alles zu oft nur ums Hochhaus dreht und damit falsche Signale ausgesendet werden, realisiert man andernorts viel zeitgemässere Konzepte. «Zeitgemäss» heisst Klima, Energie und CO2 berücksichtigen und weiterbauen, verdichten, Nutzung transformieren und dabei Grundstrukturen erhalten. Das heisst, die Zeit erkennen, statt abzubrechen und weiterhin den veralteten im Bau und im Betrieb zu energieintensiven Hochhaus-Mustern anzuhängen. 

In den Bildern sehen wir ein Gebäude des Bankvereins aus dem Jahr1988 am Aeschenplatz in Basel, das seine Büronutzung aufgegeben hat. Gemäss CO2-Logik wird «Betoniertes» nach Möglichkeit erhalten. Aus einem Wettbewerb mit sieben Architekturbüros ging ein 1. Preis hervor, der mit Wohnungen aufstockt und aus dem Grundrissrhythmus des langen Strassentrakts auf der Rückseite offene Wohnhöfe schafft. Wir können jetzt gerade zuschauen, wie die Schweiz eine neue Philosophie im Umgang mit Stadtsubstanz / Stadtgewebe erlernt. Im Vergleich wirkt das Zuschlagen mit der «Hochhauspauke» geradezu banal und altmodisch.

Bilder: WERK, bauen+wohnen 5/24

Fragen an die SP

Bezahlbare Wohnungen – das ist Kerngebiet der Politik der SP. Offenbar nicht so in der Stadt Zürich. Hochhauswohnungen sind nicht «bezahlbar», sie kosten 20-40% mehr. Der Stadtrat, der wider diese Erkenntnis und wider neue Erkenntnisse bezüglich Energie/Klima/CO2 immer noch Hochhausförderung betreibt und mit neuen Hochhausrichtlinien in noch grösseren Gebieten sogar noch beschleunigen will, gehört der SP an. 

Haben wir da einen Heraklit-Fall? Sein Spruch über Wahrheit: «Durch ihre Unglaubhaftigkeit entzieht sich die Wahrheit dem Erkanntwerden».

Emil Klöti (SP) löste in seiner langen Karriere als Stadtrat und dann Stadtpräsident (bis 1942) die Wohnungsprobleme. Er startete 1915 mit einem internationalen Städtebauwettbewerb. Der 1. Weltkrieg kam dazwischen, doch die Erkenntnisse flossen in die Stadtplanung ein. Heute verlangen folgende Fragen eine Antwort:

  • Wie soll bezahlbarer Wohnraum entstehen?
  • Wann startet der klimagerechte Städtebau?

Verortung

Viele fragen sich, warum der sonst so wohnungszugewandte Stadtrat und vor allem das Hochbaudepartement immer auf der Seite der Hochhausbauer zu finden ist und dafür weniger Einsatz für die bezahlbaren Wohnungen im urbanen Flachbau (4-6 Etagen) zeigt. Das Fragwürdige wird über das Notwendige gestellt. Einen guten Überblick über Hochhausprojekte findet sich auf Seite 17 im Tages-Anzeiger vom 29. April. Im Wald der Immobilienpublikationen ist eine Erklärung aufgetaucht. Sie sehen die Titelseite im Bild. Das ist die Welt der Grossinvestoren, die in einer guten Stadt willkommen sind, doch im Sinne der «Volonté Générale» geführt werden müssen. Vor der einzelnen «Investition» kommt der Städtebau, und: «Städtebau kommt vor Architektur» sagte die frühere Stadtbaumeisterin von Schlieren, Barbara Meyer, in der prominenten Architekturzeitschrift «WERK, bauen+wohnen». Es ist die Pflicht, die Immobilienproduktion entsprechend dem Bedarf der Gemeinschaft zu formen. Wir wollen eine schöne, bezahlbare und eine lebenswerte Stadt. Oder verkommt Zürich zum reinen Investitionsplayground?