Nr. 10: Jan Gehl / Hochhaus und Stadt

Jan Gehl spricht im blauen Abschnitt vom Hochhaus als egozentrische Bauform. Dafür hat das Amt für Städtebau in seiner neusten am 14. Juni gezeigten Version für die Revision der Hochhauszonen einen sehr speziellen Streifen vorgesehen. Sie sehen das Gebiet mit schwarzer Schraffur im dunkelblauen Feld – eine etwa 3 Kilometer lange Zone für Gebäudehöhen bis zu 250 Meter. Darin könnte sich mit der Zeit eine ganze «egozentrische Wand» erheben:  Eine Trennwand längs mitten im schönen offenen Gletschertal. Sie würde sich übrigens aus einem noch längeren Sockel mit Bauhöhen von 80 Metern erheben.

Die Menschen wären künftig in eine südwestliche und eine nordöstliche Spezies geschieden. Die einen hätten ihren Uetliberg mit dem heissen Gleisfeld, die anderen ihren Käferberg mit der kühlen Limmat.

Die Limmat wäre nicht «frei», sie würde von einem schmalen Streifen mit 60 Metern Bauhöhe gefasst, eng sekundiert von einer breiten Wand von 80 Metern Höhe, aus der sich dann der 250 Meter hohe Kamm erhöbe. Wie an der East Side von Manhattan wäre auch in Zürich für eine lange Zone des traurigen Schattens auf dem Fluss gesorgt. In New York ist das vor Jahrzehnten einfach «passiert», wir aber planen den städtebaulichen Absturz. 

P.S., die linke Zürcher Zeitung, Nr. 22/22, 3. Juni 2022, Seite 12 www.pszeitung.ch

Artikel:  https://www.pszeitung.ch/hochhaeuser-passen-nicht-zum-homo-sapiens

Nr. 9: Jan Gehl / Hochhaus und Stadt

Obwohl die Hitze jetzt gerade verschwunden ist, wissen wir aus dem letzten Posting, wie ihr zu begegnen wäre. Wir kehren zu Jan Gehls Interview zurück: «Hochhäuser passen nicht zum Homo sapiens». Seine Aussagen in der P.S.-Zeitung sind ab jetzt blau unterlegt, die Ergänzungen von «zuerivitruv» wie üblich weiss.

Es ist eine Mischung: Erst wurden Hochhäuser in Zürich aus einer Kombination von Amerikabewunderung und Minderwertigkeitskomplex gebaut. Dann kam sicher da und dort die Verlockung dazu, nur einen Grundriss mal X entwerfen zu müssen. Indiz dafür ist, dass neue Exemplare kaum mehr ein Unten, eine Mitte und einen oberen Abschluss haben. Beim Prime Tower zum Beispiel knallt die Bürofassade aus 126 Metern Höhe direkt in den Asphalt – dahinter schon der erste Arbeitsplatz. Das Stapeln der Büroetagen wurde in Zürich bedenkenlos auf das Wohnen übertragen. Die bisher grösste Groteske ist das Projekt «Ensemble» am Hardturm, wo sich Familienwohnungen bis 137 Meter Höhe in zwei Türmen stapeln sollen.

Hochhäuser sind in Zürich Vorhaben der Grossinvestoren. Warum? Auf der Informationstafel des Basilisk-Turms beim Letzipark (Shopping-Center – kein «Park») ist zu lesen, dass es «Rundsicht über die Stadt ab der 7. Etage» gebe. Die bereits 20-40% teureren Hochhausmieten können offenbar nochmals angehoben werden. Das Ganze ist zu einem die Stadt schädigenden Anlagespiel im abgehobenen Hochformat degeneriert. Der urbane Flachbau des Zonenplans hingegen führt zu einer Planung im Kontext der Nachbarschaft. Dafür haben die Architekten an der ETH eine vorzügliche Ausbildung erhalten. Kommt neuerdings noch das Klima ins Spiel, braucht es die Synthese von Haus & Baum. Das ist in den Zürcher Bauzonen bereits möglich. Mit Hochhäusern kann weder die Nachbarschaft noch die Stadt oder das Klima gewinnen.

P.S., die linke Zürcher Zeitung, Nr. 22/22, 3. Juni 2022, Seite 12 www.pszeitung.ch

Artikel:  https://www.pszeitung.ch/hochhaeuser-passen-nicht-zum-homo-sapiens

Zürich – ein heisser Zementhaufen?

Infolge andauernder Hitze in der Stadt unterbricht «zuerivitruv» seine Jan Gehl-Reihe. Der Baum, der so hoch wächst, dass er selbst Hochhäuser beschatten kann, ist noch nicht erfunden. Wir alle kennen den flirrenden Schatten in den grossen Boulevards von Paris. Es ist vorwiegend Paris, weil dort bei der Stadterneuerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Boulevard als Einheit von Baum und Gebäude konzipiert wurde. In Paris gibt es deshalb nicht nur das Entweder-Oder von im Haus oder ausser Haus sein – es gibt auch den Boulevard als angenehm gestalteten Lebensraum in der Stadt. Dazu gehörig die hohen Stämme der tief wurzelnden Bäume – aus aktueller Hitzeerfahrung im 21. Jahrhundert eine geniale natürliche Klimaanlage. Auch die Stimmung wollen wir nicht vergessen. Pissarro, Monet und weitere Impressionisten haben sie festgehalten.

Das alles geht aber nicht, wenn Hochhäuser den Baumhorizont übersteigen und im Kollektiv in der Hitze glühen. Warum will uns das Amt für Städtebau eine Vergrösserung der Hochhauszonen, und darin noch solche von 250 Metern Höhe, aufdrängen? 

Bilder: Altstetten & Hermann Greulich Strasse

Nr. 8: Jan Gehl / Hochhaus und Stadt

Letztes Mal verweilten wir beim Zürcher Volkswillen im Jahr 1984. Eher mit George Orwell haben die zwei kleinen Begleitbilder zu tun. Sie veranschaulichen, was passiert, wenn Investoren unbegrenzt dominieren dürfen und was das für ein gut gewachsenes Stadtgewebe wie in Zürich bedeutet. Es bedeutet den Verlust der Silhouette, weil der Höhenplafond der Gebäude gewaltsam durchbrochen ist. Die charakteristischen Hügelzüge verschwinden. Das Gleichgewicht zwischen Stadt und Landschaft ist gekippt. Hier in Altstetten bedeutet das auch die totale Versteinerung und das in einer Zeit, in der fast nur noch über Stadtklima und die Bewältigung von Hitze gesprochen wird. Man kann sich kaum weiter vom Pfad der Vernunft entfernen, als neben der Hitzeinsel des Gleisfelds «Zementhaufen» aufzutürmen, die weit aus jeglichem Baumhorizont ragen und sich ungeschützt von der Sonne aufheizen lassen. 

Ein Blick auf London macht klar, dass eine Stadt ihren Ruf ästhetisch nachhaltig schädigen kann. Wer kommt noch dieses Chaos anzusehen, wenn sie/er «Changing oft the Guards», die Carnaby Street und den Hyde Park schon im letzten Jahrhundert erlebt haben?

Wer lenkt? – die Stadt oder die Investoren? That is the big Zurich-Question.

P.S., die linke Zürcher Zeitung, Nr. 22/22, 3. Juni 2022, Seite 12 www.pszeitung.ch

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Nr. 7: Jan Gehl / Hochhaus und Stadt

Zu diesem grünen Abschnitt von Jan Gehl passt die Story, dass Zürich vom wilden Wuchern der ersten Generation Hochhäuser schon in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts genug hatte. Der nächste bevorstehende Eingriff war damals das Hochhaus der Emserwerke – ohne ausgewiesenen Architekten im Werk konzipiert. Beides zusammen brachte 1984 das Fass zum überlaufen. Sie sehen das Inserat zur Abstimmung. Das Referendum wurde zum Erfolg und es resultierte ein Hochhaus-Ausschlussgebiet für die Innenstadt. See, Flüsse und Hügelzüge wurden nicht weiter optisch belastet. Auf englisch: «No more visual noise».

Bis zum Erlass der ledergerberschen Hochhauszonen im Jahr 2001 herrschte wieder der urbane Flachbau. Danach ist das von der Administration Martelli und heute Odermatt geförderte «Stoppelfeld» herangewachsen. Es bringt, wie im letzten Posting schon gesagt, sowohl die städtebauliche Symbolik als auch die Ästhetik in der schönen Stadt des offenen Gletschertals durcheinander. Kommt heute noch Energie und Ökologie ins Spiel, darf der Gebäudetypus des Hochhauses «alles in allem» nicht mehr weitergeführt werden. Stadtästhetik und Ökologie reichen sich die Hand!

P.S., die linke Zürcher Zeitung, Nr. 22/22, 3. Juni 2022, Seite 12 www.pszeitung.ch

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Nr. 6: Jan Gehl / Hochhaus und Stadt

Architekt Oscar Niemeyer ist es gelungen, unter Zuhilfenahme des Hochhauses, eine rund um die Welt begeistert aufgenommene Ikone zu schaffen. Gemeint ist die Komposition von zwei Kugelsegmenten und Zwillingstürmen aus denen das «brasilianische Bundeshaus» in der Kapitale Brasilia besteht. Weil bedeutend, darf es das. Die städtebauliche Symbolik stimmt. Als Niemeyer hundert wurde, lief an der ETH in Zürich sein Film: Er machte eine Filzstiftskizze mit den Schwüngen und den Vertikalen der Ikone und jedes Kind hätte gewusst, wo sich das auf der Welt befindet. Da kann höchstens noch der Eiffelturm gleichziehen. 

Mit seinem dilettantischen «Stoppelfeld» macht Zürich sowohl die städtebauliche Symbolik als auch die Ästhetik des offenen Gletschertals kaputt.

P.S., die linke Zürcher Zeitung, Nr. 22/22, 3. Juni 2022, Seite 12 www.pszeitung.ch

Artikel:  https://www.pszeitung.ch/hochhaeuser-passen-nicht-zum-homo-sapiens

Nr. 5: Jan Gehl / Hochhaus und Stadt

Anhand der Problematik der Reihe der 5 geplanten Hochhäuser «Thurgauerstrasse West» hat «zuerivitruv» diese Überlegung von der Bodenferne bereits einmal farblich dargestellt. Es verhält sich wie bei der Durchblutung einer in die Höhe gehaltenen Hand: je weiter weg vom Herz desto violetter. 

Im Sektor A arrangiert sich die Bewohnerschaft mit Bezug zur Umgebung. Im Sektor B handelt es sich zunehmend um einen Stapel-, Abfüll- oder Deponievorgang in die Höhe. In Hong Kong oder Chengdu mag das nötig und mit den Bewohnern möglich sein, bei uns eher nicht.

P.S., die linke Zürcher Zeitung, Nr. 22/22, 3. Juni 2022, Seite 12 www.pszeitung.ch

Artikel:  https://www.pszeitung.ch/hochhaeuser-passen-nicht-zum-homo-sapiens

Werkstattbericht Hochhausleitbild

«zuerivitruv» unterbricht die Reihe «Jan Gehl» für einmal um später wieder fortzufahren. 

Am 2. Februar wurde durch Indiskretion die Zürcher Hochhausplanung offengelegt und gestern kommunizierte das Amt für Städtebau einen Werkstattbericht, bevor die revidierten Hochhausrichtlinien im Herbst dem Stadt- und dann dem Gemeinderat vorgelegt werden. Es werde auch eine Form von öffentlicher Mitsprache geben. 

Die Öffentlichkeit war über QR-Code eingeladen und für Meinungsäusserungen gab es einen Stream in den Fragen/Bemerkungen eingetippt werden konnten. Die Veranstaltung:

Es kann sein, dass das Amt den Stream der über 50 Fragen und Bemerkungen später publiziert.

Zwei Auffälligkeiten möchte «zuerivitruv» erwähnen. Im offiziellen Teil fällt auf, wie die Hochhauszonen und speziell diejenigen mit 250 Metern Höhe verharmlost werden. Z.B. mit der Bemerkung, dass solche Höhen schon heute möglich seien. Das ist einerseits sehr beunruhigend und anderseits kommt sich das Publikum vor, wie es von im Hintergrund bleiben wollenden Mächten gestossen werde. Die zweite Auffälligkeit: Etwa 90% der Fragen/Bemerkungen standen der Hochhausplanung kritisch gegenüber!

Klartext: Die Revision der Richtlinien ist vor 2019 vorbereitet und 2019 mit einem eingeladenen Wettbewerb von Teams gestartet worden. In diesen Jahtren hat der grosse Paradigmenwechsel in Ökologie, Energie und Stadtklima weltweit stattgefunden. Diesen Frühling hat das Amt öffentlich mit dem Eingeständnis reagiert, dass nun bei der abschliessenden amtsinternen Bearbeitung Ökologie und auch Soziologie (des Wohnens) nachgeholt werden müssten. Wird beides ernst genommen, gibt es das Hochhaus als Bauform nicht mehr.