Die gute europäische Stadt

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Nachdem Zürich seit zwanzig Jahren seine Hochhäuser in Streubauweise über die halbe Stadt wuchern lässt und dazu noch in der letzten Volksabstimmung mit dem Südufer der Limmat an einem der dümmsten Orte für künftigen Hochhausbau gesorgt hat, wollen wir nach diesen Enttäuschungen einen Blick nach Europa werfen. Warum? Weil Zürich einmal «gut» war und weil wir uns von bösen Geistern nicht unterkriegen lassen: Auch die heute lebende Generation erwartet eine Stadt mit Gestaltungskraft.

Machen wir beides: Schauen wir ins Grosse und ins Kleine um der guten europäischen Stadt näher zu kommen. Paris zeichnete sich schon immer durch die Sorge ums Grosse aus. Ab dem Betriebsunfall der schwarzen Tour Montparnasse 1967 wachsen die Hochhäuser ausserhalb der Stadt in der Défense. Ebenso wichtig ist das ungeschriebene Gesetz, dass nur Bauten im öffentlichen Interesse den seit Haussmann geltenden Höhenplafonds überschreiten dürfen: Eiffelturm, Grand Palais und Centre Pompidou. Das bringt Weite, Orientierung und Lesbarkeit der Stadt. Und das erlaubte den Autoren Emmanuel Macron und Anne Hidalgo als Krönung des Prinzips erstmals in dieser Welt die Einbettung der Olympiade ins Stadtbild

Im Kleinen: Um 1980 beeindruckte Barcelona durch die Revitalisierung/Schaffung von 60 Plätzen im Stadtgewebe. Gegenwärtig interpretiert Barcelona seinen dicht bebauten quadratischen Strassenraster neu. Jeweils neun Inseln werden in «Superilles» (Inseln) zusammengefasst. Im Inneren entstehen vier weitgehend verkehrsfreie Plätze, die den Anwohnern als Lebensraum dienen. Die Person dahinter: Vizebürgermeisterin Janet Sanz.

Limmatjournalismus

Wenn wir schon die jahrzehntelange Absenz des (behördlichen) Städtebaus in Zürich und seine dramatischen Folgen in der gegenwärtigen Boomphase beklagt haben, lohnt sich auch ein Blick auf die demokratiestützende Presse. 

Die letzte Folio-Ausgabe der NZZ machte Nabelschau der Presse einschliesslich sich selbst. zuerivitruv hat vor zwei Wochen einen Kommentar zu deren Posting auf Instagram geschrieben. Sie sehen ihn im Bild. Er wurde nicht entfernt – Chapeau!

Wenn sich das behördliche Ungenügen mit dem unkritischen Journalismus einer Lokalredaktion paart, kann eine Abstimmung tatsächlich abstürzen. Es ergaben sich über 67% Nein. Ohne ähnliche Aktionen des Tages-Anzeigers wäre es nicht zu dieser Zahl gekommen. Der Fall ist ein gefundenes Fressen für die Medienwissenschaften. Ob es zu Einsehen oder gar Reue kommt, oder ob die Dampfwalze eiskalt weiterfährt, wird sich weisen. Im zweiten Fall können daraus weitere Schäden resultieren.

Herbstferien

Alle sind fort – denken wir also ungestört über die Stadt Zürich nach! Das Begräbnis der Zukunft des äusseren Limmatraums hinter uns habend, reiben wir uns die Augen. Der Sonntagsspaziergang im inneren Limmatraum ist überwältigend. Die vielen Sitzgelegenheiten, der Korso, die Stufen der Riviera zum Wasser und auf beiden Seiten die poetischen Sophoren. Das alles wurde einst gemacht. Da gab es (noch) eine Volonté Générale in unserer Stadt. Linksufrig musste das Kratzquartier weichen und der Stadthausquai konnte neu gestaltet werden. Sein grünes Gusseisengeländer und die Bäume vor den neuen Prachtsbauten, wie das Stadthaus, die (ehemalige) Fraumünsterpost und vor allem das Haus Metropol sind ein beeindruckendes Ensemble. Rechtsufrig ist eine Synthese zwischen Alt und Neu gelungen. Die Altstadthäuser stehen mit ihren «Vorderhufen» nicht mehr im Waser. Hier ist ein Quai vorgelagert worden.

Den selben Mut müsste Zürich auch bei der Gestaltung der äusseren Limmat wieder finden. Es wird nicht mehr mit «Prunk» geschehen, denn wir stehen im Paradigmenwechsel Energie/Klima/CO2. Sollte die Aufgeschlossenheit fehlen, bedarf es auch eines Wechsels der Equipen.

Sie sehen, nach dem Untergang in der Abstimmung regen sich die Geister bereits wieder. Warum? Weil Zürich einmal «gut» war und weil wir uns von bösen Geistern nicht unterkriegen lassen. Auch die heute lebende Generation erwartet eine Stadt mit Gestaltungskraft.

Opfer des Vakuums im Städtebau

Der erste Tote ist da. Der Limmatraum ist in der Abstimmung über die Uferschutzinitiative an einer letalen Dosis Fussball gestorben. Solche Opfer haben ihren Vorlauf – gehen wir durch zwanzig Jahre Stadiongeschichte: 

Um 2005 präsentierte man uns ein Monumentalstadion so hoch wie das Grossmünster, doch in der Fläche dutzende Male grösser. Der Stadiontrichter und der korpulente Shopping-Center-Mantel reichten ins Grundwasser neben der Limmat. Es folgte ein internationaler Wettbewerb, der Tage nach seiner Auslobung annulliert wurde. Das Stadion starb an der Grösse seiner unsinnigen Kombination. In einer Volksabstimmung 2013 versank äusserst knapp ein überaus erfreuliches Stadionprojekt mit umlaufenden Arkaden, die auch mit der Umgebung kommuniziert hätten. Dann übernahm die Stadt aus der Schweizer Provinz die Idee der «Marazzipackung»: Die Finanzierung von Stadien durch Hochhäuser. Doch diese wurden infolge der Renditekalkulation viel zu hoch – mit 137 Metern 57 Meter über den erlaubten 80 Metern. Das musste die Umgebung und den Wohnhang von Höngg, in dessen Gesicht sie gestellt werden sollten, provozieren. Der Streit war unausweichlich und hat schon vieles vergiftet. Unter anderem diente das missratene Stadionprojekt als Waffe zur Versenkung der Uferschutzinitiative. Damit sind wir beim eingangs erwähnten ersten Toten angelangt.

Ausgelöst durch Zürichs jahrzehntelanges Vakuum im Städtebau ist es dazu gekommen, dass Streit herrscht und dass Fussball zur letalen Waffe gegen den Limmatraum werden konnte.