Beton,Stein und Eisen bricht, …

Das ewige freudlose Müssen! Wir haben es satt. Wir werden in eine falsche Richtung getrieben. Keine Zeit zu atmen. Man sagt uns, es sei «modern», es sei zeitgemäss, sogar, dass es nötig sei, auch in Europa alles in Türme zu stopfen. Effektiv wollen es nur die Investoren und die Stadtverwaltung folgt ihren Wünschen ohne an uns und unsere Stadt zu denken. Dazu past Jan Gehls Wort: “You get in each city what you invite for”. In unserer Stadt sind daraus die Hochhaus-“Stoppelfelder” von Zürich West und Nord geworden.

Infolge Klimawandels erleben wir weltweit einen Paradigmenwandel (Wechsel der Leitsätze). Im Bauwesen genügt es natülich nicht, beim Einzelgebäude steckenzubleiben. Es ist notwendig, das ganze Feld des Städtebaus zu erfassen. Wollen wir hier zu Lösungen kommen – was grossen Einsatz erfordert – müssten wir uns vom Primat der Investorenzwänge befreien. Die Gemeinwesen – die Städte – müssen übernehmen und zuerst das Neue formulieren und erst dann – wie seinerzeit Haussmann in Paris – den Bauherren und Investoren den Pfad zu ihren Verwirklichungen aufzeigen. Das wäre dann die Baukultur, mit der die Bewohner und die Akteure gleichermassen zufrieden sein können. Wo sind die geeigneten Personen? Wer beruft sie?

Illustration: Diskussion aus dem Instagram-Stream

Frascati & Helvetia

«Ortgerecht» ist ein Stichwort. Am See vorne haben wir es gepackt und diese 4 Bilder bringen noch Verstärkung. Das «Frascati» kommt recht «naval» daher, indem es bei Sonne kräftig Segel setzt. Die «Helvetia» ist wohl die Krönung der Zürichsee-Flotte. Das eine stützt das andere und Charakter ist das Resultat. Hier sind wir gerne.

Eine solche Übung oder Synthese ist in Zürich West noch nicht gelungen. Des chaotischen «Stoppelfelds» sind wir langsam überdrüssig geworden. Es bringt keine Freude mehr. Wir sollten den Mut haben «Ende Chaos» zu sagen. Ein Rettungsanker kann der klimagerechte Städtebau sein: Eine ruhige Stadtsilhouette mit starker Durchgrünung, beispielsweise mit tiefwurzelnden Grossbäumen. Ein angenehmes Stadtgewebe um darin zu leben – ein Stadtgewebe, bei dem Haus und die Stadt als Ganzes im Gleichgewicht steht. Die Bandbreite bewegt sich zwischen Vernunft und Schönheit. Wo sind die Leader?

Bateau de plaisance

Umlaufende Galerien, alles offen und in die Bug- und Heckterrasse mündend – das macht ein erfolgreiches «bâteau de plaisance» aus. Man kann drinnen sein oder rundum draussen. Es ist ein wenig komplex und darum interessant. Diese Qualität bietet nur die Schiffsgeneration der Fünfzigerjahre aus der Bodanwerft in Kressbronn am Bodensee. Die Ästhetik verströmt Unbekümmertheit und Frische. Das hat man bei der Schifffahrtsgesellschaft erkannt und hervorragend restauriert. Hier abgebildet die «Limmat», besonders elegant die grössere «Helvetia» und weitere Boote, die diese Flotte ausmachen. Erfreulich sind natürlich auch die beiden Raddampfer aus der vorletzten Jahrhundertwende. Über die neueren Modelle wollen wir uns wahrscheinlich nicht unterhalten.

Den Ton nehmen am Ufer die prächtigen Bauten der Belle Epoque ab – nicht zu vergessen die Ikone des «Frascati» am rechten Ufer aus den Dreissigerjahren. Alles zusammen gehört zu unserem Tafelsilber und macht aus der Bucht von Zürich ein Fest.

Starke Zürcher Personen

Emil Klöti (SP) war langjährig Bauvorstand und Stadtpräsident. Das Wachstum der Stadt thematisierte er 1915 mit einem internationalen Städtebauwettbewerb. Der genossenschaftliche Wohnungsbau kam in Fahrt. Da die Genossenschaften den Bedarf nicht decken konnten, vergab er zu Bedingungen der Kostenmiete auch an Private. 

Stadtrat Ruedi Aeschbacher (EVP) sah die exponentielle Verkehrszunahme in den Wohnquartieren als Bedrohung für die Lebensqualität der Bevölkerung. Gleichzeitig motivierte der Berufsverband SIA (Ingenieure/Architekten) Quartierstudien. Eine davon legte den Fokus auf den Lebensraum der Bevölkerung. Es war die Zeit, als Familien begannen die Stadt zu verlassen. Aeschbacher schlug als Notmassnahme Schwellen zur Beruhigung von Quartierstrassen vor. Einem Kaminfeger/Dachdecker aus Kreisen der FDP gelang es, dass der beliebte Aeschbacher die Wiederwahl nach 4 Amtsperioden knapp verpasste. Doch das «Wohninseldenken» überlebte und es kam zu städtebaulich überzeugenden Konzepten. Allein die Realisierung stockte. Erst mit der Einführung von Tempo 30 gelang es, den Wohnquartieren Luft zu verschaffen. Heute sind alle dafür dankbar und erachten den Schritt als Akt der Zivilisierung des Stadtlebens.

Jetzt ruft der Paradigmenwechsel mit Fokus auf Bewältigung des Klimawandels und Energiefragen erneut nach starken Zürcher Personen. 

Starke Personen

Was sagt Barcelona mit seinen neuen Superillas aus? Es sind starke Individuen, die die Zeit sehen und handeln. Hier kommt Victor Hugo ins Spiel: «Nichts ist stärker, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!». Im empfohlenen Film des letzten Postings kommt für Kopenhagen der uns längst eingehend bekannte Däne Jan Gehl zu Wort (Postings ab 9. Juni 2022). Für Barcelona ist es die Vizebürgermeisterin Janet Sanz und für Paris die Stadtpräsidentin Anne Hidalgo mit Carlos Moreno, dem Erfinder der 15-Minuten-Stadt «Das Meiste in Gehdistanz». 

Und Zürich: Wird sich eine Persönlichkeit mausern, oder warten wir noch ein «bitzeli»?

«zuerivitruv» wagt eine kühne Voraussicht, die bereits begonnen hat, sich abzuzeichnen: Die Energiefrage (keine Hochhäuser), dichter urbaner Flachbau (vieles in der Nachbarschaft) und klimagerechter Städtebau (Haus und Baum in ähnlicher Höhe) haben die selbe Stossrichtung. Opfer sind die SUVs, die Hochhausspekulation und andere aus der Zeit gefallene Verschwendungen. Profitieren werden die urbanen Lebensräume und ganzheitliche Lebensentwürfe. Vieles müssen wir schmerzlich loslassen – z.B. die Tonkulisse eines Alfa Romeo der siebziger Jahre (Internet: Harry’s Garage Alfa Romeo Spider Duetto). Was wir gewinnen ist das Aufblühen des Lebens in den Stadtquartieren. 

Superilla

Wer sich ernsthaft mit Städtebau befasst, wird sich über kurz oder lang um alle seine Aspekte bemühen müssen – so auch um den Automobilverkehr. Was uns im letzten Jahrhundert noch als Befreiung vom langsamen Gehen vorkam, ist mit dem weltweit vorkommenden Stau und Flächenkonsum des Automobils zur Belastung geworden. Scheinbar eskaliert alles, was gratis zu Verfügung gestellt wird – bis zum Pizzakurier. Dichte Städte, die wir haben oder fordern, sind gut fussläufig, weil das meiste im Umkreis zu haben ist. 

Barcelona ist bekannt für seinen quadratischen Strassenraster aus dem Jahr 1860. Der lokale «Eugène Haussmann» hiess hier Idelfons Cerdà. Wie im Bild sichtbar, wird die Stadt Barcelona im Plan Cerdà unter dem neuen Paradigma des klimagerechten Städtebaus weiterentwickelt: Auf dem selben Klavier spielt jetzt eine andere Melodie. 4 Blöcke (113 x 113 Gebäudegeviert) werden zu einer «Superilla» zusammengenommen und das innere Strassenkreuz weitgehend verkehrsfrei gemacht, begrünt und mit Freiflächen für die Bewohner versehen. Zufahrt ist möglich, aber nicht die Durchfahrt. Resultat: das Leben blüht auf. Unglücklich ist die Agentur, die Porsche Cayenne verkauft. Wo im inneren Strassenkreuz bisher nur Autos fuhren, bewegen sich jetzt vorwiegend Fussgänger und Velos; dazu kommen Flächen für Aufenthalt und Entfaltung des Lebens.

Hier die URL zu Film:  https://www.ndr.de/fernsehen/Wie-gelingt-die-Verkehrswende,sendung1363642.html

Grossflächig verstoppeltes Stadtbild

Beginnen wir, wo wir zuvor aufgehört haben: Beim städtebaulichen Versagen in Bezug auf den Einzelbau. Wie aber sieht es bezüglich der ganzen Stadt – der Summe der Gebäude – aus? Die Innenstadt ist durch den Volkswillen bei der Abstimmung über das Hochhaus-Ausschlussgebiet 1984 im freien Empfinden der Bürgerschaft immer noch «i. O.». Doch wo sich die grossen Industriegebiete erstreckten, ist nach 20 Jahren grossflächig Chaos eingetreten. Für eine europäische Stadt ist das form- und würdelos. Denken wir an Rom, Bologna, Lübeck, München, Barcelona, Sevilla oder Paris und Bordeaux. Sie verkörpern alle den urbanen Flachbau und Stadtbilder, die sich auf Postkarten sehen lassen können. 

Waren die Hochhaus-Streuzonen 2001 ein klassischer Fall von kleingeistigem «Möchtegern»? Wie die Bilder deutlich zeigen, ist im Städtebau wegen seinem eternellen Charakter nicht zu spassen – die Verantwortung von Politik und Behörde ist gross. Städtebau ist eine Kulturfrage der jeweiligen Stadt. In menschlicher Hinsicht verständlich war der Entscheid, einzig vor dem Hintergrund der bedauerlichen Absenz von Städtebau über Jahrzehnte – wenn überhaupt, wurde die Disziplin an den Hochschulen nur im Seitenwagen gelehrt.

Jetzt kommt uns das Klima zu Hilfe, wie im letzten Dutzend der Postings thematisiert. Das wissenschaftliche Papier «Decoupling Tallness from Density …» der Universitäten Cambridge (UK) und Boulder Colorado (USA) hat Klarheit geschaffen: Je höher die Gebäude desto schädlicher in Bezug auf die Treibhausgasemissionen. (zuerivitruv 12. und 14. Juni)

“ hochgestapelt „

Weil alles in die Höhe gestapelt ist – hier bis auf 80 Meter – ist die Kommunikationsfläche mit dem Pavé der Stadt im kleinen Erdgeschoss ein ungesunder Bruchteil dessen, was im stadtüblichen urbanen Flachbau selbstverständlich zur Verfügung steht. Es ist eine nervöse Ausdünnung, die das Erdgeschoss des Hochhauses auszeichnet. Entsprechend prekär meldet sich der Metabolismus (Stoffwechsel, hier auf Gebäude angewendet) an der knappen Anstosslänge zum öffentlichen Raum: Zum Glück ist das goldeloxierte Tor im Bild geschlossen und nur die liegengelassenen Debris sichtbar. Nicht zu sprechen von der schmalen, mickrigen Eingangshalle für die balkonlosen Luxuswohnungen der oberen Etagen.

Die missratene Übung des Mobimo-Towers veranschaulicht die einsame und kommunikationsarme Stapelung von Wohnnutzung in die Höhe. Die heute klimatisch notwendigen tiefwurzenden Grossbäume sind nicht möglich, denn der knappe Hochhausperimeter kann den notwendigen Flächenbedarf in den Untergeschossen für (Keller/Lager/Parkierung) nicht aufnehmen. Er beansprucht deshalb die ganze Parzelle. D.h. der ganze Umschwung ist unterbaut – spärliche vertrocknete Büsche sind das Resultat.

Haben wir hier einen Fall von städtebaulichem Versagen?