Noch mehr Wohnsilos oder zeitgemässer Städtebau?

Im vorletzten Posting beschäftigte «zuerivitruv» die Frage: «Hat das Gemeinwesen das Sagen oder haben die Immobilienkonzerne freie Bahn?»

Und was ist, wenn das Gemeinwesen selbst Wohnsilos à la chinoise portiert, als ob es gälte, die grossen Immo-Konzerne Chinas zu konkurrenzieren? Dann ist es Zeit, den Paradigmenwechsel auf breiter Basis zu verlangen. Das stadtzürcher Hochbaudepartement läuft mit voller Kraft immer noch in die falsche Richtung: gegen die Ökologie des Bauens, gegen das Wohnen in einer guten Nachbarschaft, und gegen das Klima und den Luftaustausch in der Stadt.

Bilder:

Oben Swiss Life: Leutschenbach und Letzi-Turm am Gleisfeld

Unten Hochbaudepartement: Tamdepot-Türme und Projekt Thurgauerstrasse

Die Zukunft gehört dem urbanen Flachbau

Wer im Hochhaus wohnt, wohnt nicht im Quartier.

Wer im Hochhaus wohnt, kennt keine Nachbarschaft.

Wer im Hochhaus wohnt, nimmt nicht Teil.

Wer im Hochhaus wohnt, dessen Kinder haben fürs Leben Nachteile.

Zürich ist rückständig: Immer noch Wettbewerbspreise für Wohnhochhäuser, sogar wenn sie in den Bedingungen ausgeschlossen sind. Beispiel dazu: Die Tramdepot-Hochhäuser an der Limmat.

Die Zukunft gehört dem urbanen Flachbau!

Bilder: Links Swiss Life Baslerstrasse, rechts «Swing Out» Stöckacker Nord, Bern

Evergrande

Der grösste Immobilienkonzern Chinas – Evergrande – wankt und lässt weltweit die Börsen zittern. «zueriviteruv» nimmt diese Publizität wahr, um über die Form der chinesischen Immobilien im Verhältnis zu Zürich nachzudenken. Schon lange sind in diesen Postings die rücksichtslosen «Placements» der Immobilienkonzerne in unserem Stadtbild ein Thema. Obwohl sich die Wirtschaftssysteme unterscheiden, gleichen sich die Bilder der in der Vertikalen ausgerichteten Wohnsilos. 

In China wird alles geschluckt, wenn es nur einige Quadratmeter gibt, die zu   

kaufen sind. Wohnkultur und die Soziologie des Wohnens, die sich bei uns über Jahrhunderte entwickelt haben, gibt es nicht mehr. Die Reste der vorrevolutionären Hofhaustradition wurden laufend dem Boden gleichgemacht.

Ist die Behauptung falsch, dass immer mehr Leute die Zürcher Hochhausbesessenheit hinterfragen? Der einseitig rationale Fortschrittsglaube – wie er nach dem Krieg herrschte – sollte nach all den Abbrüchen von gescheiterten Siedlungen in Deutschland, DDR und Frankreich inzwischen überwunden sein. Gutes urbanes Zusammenleben oder abgefüllt werden? – das ist die eine Frage. Die andere: Hat das Gemeinwesen das Sagen oder haben die Immobilienkonzerne freie Bahn? 

Was wir uns wünschen, sind menschengerecht geplante Siedlungen, die auch den neuen Anforderungen von Ökologie und Klima genügen. Die hier laufende Reihe des urbanen Flachbaus illustriert dies mit Beispielen.

Schweizer Architekten gewinnen im Ausland

«Es ist uns gelungen, eine hohe Dichte bei niedriger Bauweise zu erreichen» das ist eines der Statements der Gewinner des Wettbewerbs für die Überbauung Lerchenauerstrasse/Feldmoching in München. Die Architekten kommen aus der Schweiz: Ammann Albers StadtWerke, Zürich. Das Projekt schöpft die Möglichkeiten des urbanen Flachbaus gleichmässig und vollständig aus. Die Stichworte sind folgende: 

  • Hohe Dichte mit möglichst niedrigen Bauten
  • Wohnbauten kommunizieren mit dem öffentlichen Raum
  • Randbebauungen
  • Höfe, Wohnstrassen und Wohngassen
  • Durchgehender Anger nord-süd
  • Dachgärten

Die preisgekrönte Qualität liegt in der Optimierung von gleichzeitig mehreren Aspekten, die alle dem Wohnen dienen. Im Fokus steht der Bewohner. Das bedarf grosser Sorgfalt und Umsicht bei der Planung. Das Resultat ist ein Beitrag zu Stadt. Und das ist der grosse Unterschied zu den kalten «Immobilien-Placements» mit Hochhäusern, die in Zürich immer noch realisiert werden.

Bild: Ammann Albers StadtWerke

Urbaner Flachbau in Mannheim

Auf dem Gelände der ehemaligen «Turley Barracks» der US-Armee werden Baufelder vergeben. Das Architekturbüro «motorlab» schlägt Bauten mit wunderbarer Höhenteiligkeit und grossem Holzanteil vor. Schon die «Haussmannienne» von Paris punktete ab 1853 mit einer klugen Höhenteiligkeit. Nach Jahrzehnten des «blöden Blocks» wird das Potenzial des urbanen Flachbaus weitherum entdeckt.

Wann folgt Zürich? Wann sieht Zürich den Irrweg des Wohnsilos ein, der sich in die Höhe flüchtet, der Nachbarschaft und dem Stadtbild schadet? 

Das Projekt «Evergreen» in Mannheim bildet die Sockelzone mit Gartenzugang, die Mitte mit geräumigen durchlaufenden Balkonen und die Attikazone je optimal aus. «Evergreen» weckt das Potenzial des urbanen Flachbaus. Solche Bauten, die sich innerhalb der Bau- und Zonenordnungen bewegen, sind im Gegensatz zu Hochhäusern in sich ökologisch, für die Nachbarschaft positiv und lassen, da sie nicht aus dem Häusermeer ragen, den immer wichtiger werdenden Luftaustausch gewähren. Hier zeigt sich sehr anschaulich eine Möglichkeit zur Bewältigung des anstehenden Paradigmenwechsels.

Bild: motorlab Mannheim

Urbaner Flachbau an der Hochstrasse

Zurück von Paris / Marrackech an die Hochstrasse in Zürich. Dieses Dreifamilienhaus verdichtet, indem es ein Einfamilienhaus ersetzt, das in der sich wandelnden Umgebung bereits klein aussah. Es ertrank ohne Aussicht. Die Eigentümer wollten etwas quartiergerechtes. Der Architekt wollte noch mehr: einen Prototyp für Einfamilienhausersatz – sollte auch für Villen weiter oben im Hang gelten – am Zürichberg. Die üblichen kleinen Balkone kamen nicht infrage. Jede Wohnung sollte über  50 m2 Aussenfläche verfügen. Das liess sich durch kluge Kombination einer Gartenwohnung mit zwei darüber liegenden Maisonettewohnungen mit je einer grossen Dachterrasse bewerkstelligen. «Stadtvilla» hiess das Modell, das damals in Berlin im Tiergartenareal verwirklicht wurde und Berühmtheit erlangte. Dem Architekten in Zürich stand nur eine kleine Parzelle zur Verfügung, doch übernahm er den Takt aus dem benachbarten Strassengeviert mit seinen zehn villenartigen Mehrfamilienhäusern aus der vorletzten Jahrhundertwende. Das Haus hat seinen 30. Geburtstag bereits hinter sich.

Sowohl als auch

In der Wohnstruktur, die wir schon von aussen und im Schnitt kennen, lässt es sich gut leben. Die Seite hat Anstoss am Stadtraum, die andere an einem geräumigen Hof. Das bringt die Wohnung in einen interessanten Bezug. Man ist für sich, hat aber trotzdem Anteil an der Nachbarschaft: Vielfalt des Wohnens durch sowohl als auch. So könnte das gute Wohnen im Paradigmenwechsel aussehen.

Die Baustruktur zeigt nachwachsendes Holz. Es sind ganz verschiedene Aspekte, die die neue Bauwelt schaffen. Bald wird die Zürcher Hochhauspaukerei der Gegenwart alt aussehen. Je schneller deren Ende kommt, desto besser für Bewohner, Quartier, Ökologie und Stadtbild.

Bild: Studio Belem Architects Paris

Une Haussmannienne d’aujourd’hui?

Mit der «Haussmannienne» schuf das 19. Jahrhundert in Paris 1853 einen Bautypus mit Bestand bis zum 1. Weltkrieg und weit danach. Ein Klassiker, der die meisten urbanen Probleme löste und mit seiner Höhenbeschränkung (le gabarit) zum einmaligen Stadtbild mit seinem offenen Himmel beigetragen hat. Das war u.a. auch eine der Ursachen, die Paris zu einer der meistbesuchten Städte der Welt machte. 

Die offene Baustruktur von Belem Architects mit intensivem Bodenbezug hat das Zeug zum Anwärter auf den Bautypus, den der gegenwärtige Paradigmenwechsel verlangt. Hier folgt der Querschnitt des Gebäudes aus dem letzten Posting. Gefragt sind die folgenden Eigenschaften: Wenig Energie bei Bau und Betrieb, bewohnerfreundlich, Beitrag und Bezug zur Nachbarschaft und: kein Strömungshindernis, das aus dem Gebäudehorizont ragt. Damit bewegen sich Grossbäume und Gebäude auf gleicher Höhe und die stark durchgrünten Stadtquartiere werden möglich. Freundlich und in erträglichem Mass dicht – das ist ein schöner Ausblick in unsere Zukunft.

Bild: Studio Belem Architects Paris