„Tiergarten“ Berlin 1987

Eine Bemerkung zur Abrundung des Themas «Gentry» der letzten Postings: Der eminent europäische Urbane Flachbau nimmt jede Art von Bewohnerschaft auf. Vier Postings zurück wurde die «Stadtvilla» als villenähnliches Wohnhaus mit mehreren Partien definiert und auch der Ort seiner Wiedergeburt: Das Tiergartenareal 1987 anlässlich der internationalen Bauausstellung in Berlin. Im Bild sehen Sie eine axonometrische Darstellung davon. Jedes der neun Mehrfamilienhäuser konnte ein bekannter Architekt entwerfen – den Gesamtplan dazu und das Portalgebäude rechts im Bild stammt von Leon Krier. Krier ist ein ganz grosser Vertreter des Bauens im europäischen Stadtgewebe – das, was wir hier auf «zuerivitruv» den (verdichteten) Urbanen Flachbau nennen.

Diese Nachbarschaft aus dem Jahr 1987 bringt hohe Qualität ins Berliner Stadtgewebe  ein. Die Gebäude sind originell und individuell und das Areal bietet einen Aussenraum von höchster Qualität. Mit der zentralen Allee ist es mehr als nur das übliche Abstandsgrün. Wer möchte nicht hier leben – welches Kind nicht hier aufwachsen? Solche Beiträge sind in jeder europäischen Stadt willkommen – auch in Zürich.

Neu-Gentry?

Will die Gentry jetzt tatsächlich abgehoben in Hochhäusern leben? Angesichts des Booms könnte man das meinen. Effektiv ist das aber vor allem ein lukrativer Sport der Grossimmos. Sie haben gesehen, dass über der 7. Etage mit einem nach oben zunehmenden Zuschlag Aussicht teuer verkauft oder vermietet werden kann. Sie haben auch bemerkt, dass jedes Hochhausprojekt – ob es ins Stadtbild passt oder nicht – vom Amt für Städtebau und dem Segen des Baukollegiums gutgeheissen wird. Das führt natürlich zu einer Art «Torschlusspanik solange es noch geht». 

Da Hochhäuser 20-40% teurer sind kann sich das nur die «Gentry» leisten. Es können auch Expats sein, denen die Company die (unerschwingliche) Miete zahlt. Ob die Gentry (die Gutsituierten) so isoliert und abgehoben wohnen will, ist – wie die letzten Postings zeigen – überhaupt nicht erwiesen. Sie wurde auch nicht gefragt. Die Grossimmos setzen ihnen – solange die Behörden bewilligen – nichts anderes vor. Das geht natürlich nur so lange bis die nächsten Türme die lukrative Aussicht zubauen. Dieses Schachmatt für die Spekulation ist gleichzeitig auch Schachmatt für unser Stadtbild. Das müsste einer verantwortungsvoll vorausschauenden Behörde eigentlich bewusst sein.

Wir haben da einen Selbstläufer, der Stadtbild und Nachbarschaften zunehmend zerstört. Dazu kommt noch das Zuviel an Grauer Energie und Betriebsenergie des Hochhauses. Wie lange schaut der Zürcher Gemeinderat noch diesem Spiel unserer Behörden zu?

Alte und neue „Schlösser“ im Stadtbild

Im Blockrandgebiet der Enge – Typus von europäischen Strassencarrés – sind am See vorne die schon erwähnten Wohn-Schlösser sichtbar, rechts am Bildrand das Weisse und in Bildmitte das Rote. Ein Carré weiter in die Stadt zurück das Wohn- und Geschäftshaus «Neues Schloss» als weiteres C im Hofrandgebiet. In der Lücke erhebt sich auf volle Höhe ein Torbau zum Hof. Vorne Mitte der Stockerhof, der nach einem Kampf die grosse Rotbuche respektiert hat. Der strenge Fassadenraster und die schön gegliederte Attikazone ergänzen sich. Auch dieser Baustein darf als «wertvoll» im Stadtbild gelten.

Bilanz: Die «Gentry» kann sich bestens in der geltenden Bau- und Zonenordnung einnisten, sich ausdrücken und zum Stadtbild beitragen – statt, wie heute immer noch vom Bauamt unterstützt – sich abzusondern und mit wild gestreuten Hochhäusern die Identität von Zürich zu schädigen. 

Damit ist klar, dass unsere Stadtbehörde (Hochbaudepartement und Finanzdepartement) – obwohl in Europa schon lange der ökologische Städtebau angesagt ist – weiterhin schädigende Bauformen fördert. Wie lange noch?

Rosenhof

Die “Gentry” kann sich, wie dieses Bild des Rosenhofs mit Baujahr 1926 veranschaulicht, bestens im urbanen Flachbau einrichten. Läden, Garten und Wohnungen – alles gross und herrschaftlich. Das gilt auch für die Erscheinung auf der Bergseite der Weinbergstrasse, denn ab Central ist diese Strasse eine Zumutung bis zum Erscheinen des Rosenhofs mit seinen heiteren Loggien mit blau-weiss gestreiften Storen und dem gestalteten Vorgarten. Der Rosenhof ist ein positiver Beitrag, der dem Stadtbild etwas gibt.

Das Rote Schloss am General Guisan-Quai hat es 1893 als Zürcher Pionierbau dieser Gattung vorgemacht. Ihm standen Loireschlösser Pate. Zur Zeit des Jugendstils folgte das Uto-Schloss an der Bellerivestrasse. Moderater geraten ist der Superschuss der dynamischen Frühmoderne: Das «Frascati» an der Bellerivestrasse 2 mit Wohnungen und dem erneut mondän gewordenen Restaurant. Als jüngstes Beispiel ist wohl der Stockerhof an der gleichnamigen Strasse zu erwähnen. Die ausgewählten Beispiele machen das Beste aus ihrer Lage und tragen wesentlich zum Stadtbild von Zürich bei. Was wären die Quaianlagen ohne Rotes Schloss, Uto-Schloss und Frascati?

„Gentry“

Der Dictionnaire sagt: «niedriger Adel». Daher der Ausdruck «Gentrification». Es braucht nicht nur Siedlungen mit für alle bezahlbaren Wohnungen, denn “It takes many kinds of people to make a world”. Höhere Einkommen dürfen auch ihre Behausungen haben.  Das könnte mit städtebaulicher Qualität durch Einzelbauten oder Quartierteilen geschehen, statt mit isoliert stehenden «Gentry-Türmen», die vor allem viel kosten (Hochhaus & Mieten 20-40% teurer), nicht soviel bieten, energetisch verschwenderisch sind und zu Lasten der Nachbarschaft gehen und erst noch das Stadtbild verderben. Dazu ist anzumerken:  Stadtbild ist Allgemeingut – wir wollen keine «Stoppelfeld-City». 

Eine mögliche Alternative zum isolierten «Gentry-Turm» ist die «Stadtvilla». Das ist ein villenähnliches Wohnhaus mit mehreren Partien. Ausgelöst hat die Renaissance der Stadtvilla die Bebauung auf dem Berliner Tiergartenareal anlässlich der internationalen Bauausstellung 1987. Zehn individuelle Wohnhäuser teilen sich in ein Grundstück und 

die Bewohner profitieren vom zentralen Garten. Eine davon inspirierte Stadtvilla findet sich in Zürich Fluntern an der Hochstrasse 42. Gute Architekten erstellen diesen Bautypus für nur wenig über dem Preis eines normalen Wohnblocks. Jede der drei Wohnungen ist individuell und hat 50 m2 Aussenraum. Die Erdgeschosswohnung auf dem Boden: die beiden Maisonettewohnungen auf den Dachterrassen. Im nächsten Posting folgt das Beispiel einer grösseren Einheit.

Kniebeuge

Wenn man das doch wieder einmal macht, staunt man, wie stark sich die Perspektive auf die kleine Welt in der Wohnung ändert. Z.B. über / unter dem Tisch. Das Doppelbild zeigt das selbe Phänomen auch im Grossen – in der Townscape von Zürich. Zur Identität unserer Stadt gehört der Alpenkranz. Durch Emissionen im Smog jahrzehntelang verschwunden, ist er infolge von Abgasvorschriften längst wieder auferstanden. Es gibt schon eine lebende Generation, die die Alpen oft sehen. Zusammen mit den Hügelzügen und dem See macht das das Bühnenbild um die Stadt Zürich herum aus.

Die Hochhauszonen, die 2001 über Zürich West und Nord geworfen wurden, haben zufällig gesetzte Bauklötze entstehen lassen. Die Wirkung der ersten Klötze in der eingangs beschriebenen grossartigen Szenerie kann anfänglich noch von gewissem Interesse gewesen sein. Inzwischen ist das chaotische «Stoppelfeld» Tatsache geworden. Das schon von Goethe gelobte Stadt- und Landschaftsbild geht im Grossen, wie im Kleinen flöten. Nachbarschaften und Quartiere fühlen sich der Gewalt ausgesetzt. 

Fühlt man sich wie mitten in der Schrankabteilung eines Brockenhauses, wird die Welt plötzlich ganz klein. Jeglicher Fernblick aus der Wohnung auf Hügel und Berge schwindet. Ein dichter baulicher Novembernebel baut sich auf. Da gebaut, löst er sich nicht mehr auf. Er ist immerwährend. Vom Stadtrat erwarten wir jetzt einen Zwischenhalt und ernsthafte Gedanken über den Beginn des ökologischen Städtebaus.

Fenway

1896 stellte Frederick Law Olmsted, der auch am Central Park von New York beteiligt  war, für die Stadt Boston den «Fenway» vor: «A series of parks, each possessing an individual landscape character and special recreative functions, united by a chain of drives, rides and walks, forming a grand parkway of picturesque type five miles in extent, reaching from the heart of the city (rechts) into the rural scenery of the suburbs (links)”. Rechts erkennen Sie die lange baumbestandene Commonwealth Avenue, die zum Boston Common führt. An dessen oberem Ende steht das Massachusetts State House.

Das war also in Boston nicht nur krudes Wachstum. «Fenway» steht für die Implementaion von neuen Qualitäten während eines Stadtwachstums, die das Ganze erkennbar macht, strukturiert und zusammenhält. Die wachsende Stadt wird durch eine Perlenkette funktional und emotional gestützt. 

Zürich meinte das im Jahr 2001 unter anderem mit einem Hochhaus-Boosting tun zu können. Die Übung ist – wie das chaotische «Stoppelfeld» zeigt – missglückt. Die urbanistischen Anstrengungen sollten sich vielmehr auf solche integrativen Massnahmen ausrichten, wie sie der Bostoner «Fenway» zeigt. Für die Stadt Zürich beispielsweise die zuvor beschriebene Deblockierung im Sihlraum.

Geteilte Innenstadt

Überall wird verdichtet. Parzelle für Parzelle, aber auch mit ganzen Arealen, wie an der Europaallee. Damit einhergehen müsste auch die Verbesserung der Durchlässigkeit der Innenstadt für Fussgänger und Velofahrer. Doch von Schlieren her bis und mit dem Hauptbahnhof ist die Innenstadt auseinandergeschnitten. Das ist ein ziemlich übliches Unglück in fast allen Städten Europas. Hier kann man mit Verbindungen punkten.

Die etwas lädierte Bestandesaufnahme von Johann Feers aus dem Jahr 1786 kann helfen. Sie gibt Inspiration dazu, den brutalen Schnitt durch die Bahn mit einer Verbindung der beiden Alleen zu heilen. Die Allee des Platzspitzes müsste von Norden her kommend zur Gesseralle im Süden des Bahnhofs finden. Noch weiter im Süden winken dann das kürzlich ameliorierte Sihlufer und der Schanzengrabenweg.

Wie das Bild unten rechts zeigt ist der Zugang vom Park zur Stadt beim Bahnhof verbarrikadiert. Diese städtebauliche Schwäche braucht Remedur.