Prof. Hayhoe überwindet Schockstarre

Vielleicht können wir doch wieder einmal von der anderen Seite des Atlantiks lernen: Die Hemdsärmligkeit und das Anpacken, statt weiter zu studieren. Das heisst auch das Steuer herumreissen können, Ballast abzuwerfen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das geschah bereits gedanklich mit dem wissenschaftlichen Papier «Decoupling Tallness from Density …» 5 und 6 Postings zurück – Sie erinnern sich. Mit dem Total der Treibhausgasemissionen wurde dort das Hauptproblem in den Fokus gerückt. Es ist das selbe, das Katharine Hayhoe bewegt.

Wir können in unserem eigenen Umfeld damit beginnen, die Empfehlungen des letzten Postings umzusetzen. Doch wie können wir die Baubehörde von ihrer manischen Beschäftigung mit den aus der Zeit gefallenen Hochhausleitbildern abbringen? Wie können wir sie dazu bringen, den aktuellen Ball aufzunehmen und den klimagerechten Städtebau in Angriff zu nehmen? Eine herausfordernde, spannende Aufgabe mit grossem Einigungspotenzial.

Die ETH erhält Besuch aus Texas

Am 26. Juni sprach Prof. Katharine Hayhoe, Texas Tech University, zum Publikum im voll besetzten Audi Max. der ETH Zürich. Ihren Besuch in Zürich verdanken wir ihrer neuen Beschränkung auf 1 Flug pro Jahr. Sie wurde quasi aus dem europäischen Flughimmel gefischt. Von ihr erwarteten alle im Saal Wissenschaft. Sie schrieb uns aber deren Umsetzung, deren Anwendung für das ganz breite Publikum ins Heft. Die Klimakrise ist der ungeheure Elefant im Raum und noch mehr wissenschaftliche Berichte machen ihn nur noch grösser. Wie Sie in der Graphik sehen, beschreibt sie die weltweite Schockstarre vor der sich dauernd verstärkenden Klimakrise. Sie behauptete, dass es niemanden mehr gebe, der Zweifel habe, dass aber fast alle in Starre und Verdrängung feststeckten. Die Folge: kollektive Handlungsunfähigkeit. Sie praktiziert selbst den Beginn in der Nachbarschaft, in Freundeskreisen, in Arbeitsgruppen und mit Newslettern, wie hier mit «zuerivitruv».

Um Sie nicht zu stark zu erschrecken: Die Temperaturen auf der Karte der USA sind in Fahrenheit und nicht in °C angezeigt.

Auch die Bauherrschaften in der Aufwärmphase

Im öffentlichen Raum hoffen wir auf Massnahmen zur Hitzemiderung durch die öffentliche Hand, wie zum Beispiel Baumreihen neben den Kunsthaus an der Rämistrasse. Doch was können die privaten Bauherrschaften tun? Da ist einmal die Begrünung zwischen den Gebäuden. Das bringt aber nur etwas, wenn sich Keller und Tiefgaragen auf die Gebäudegrundfläche beschränken, damit tief wurzelnde Bäume ihre kühlende Wirkung entfalten können. Ein paar Büsche bringen klimatisch gar nichts.

Da die Bauzone, in dem sich ein Grundstück befindet, die mögliche Ausnützung begrenzt, ist es nicht sinnvoll, das teure Hochhaus wählen, denn dieses übersteigt den schattenspendenden Baumhorizont. Der überragende Teil des Hochhauses fängt über den Tag aus allen Richtungen die Hitze, die er dann nachts wie ein Radiator an die Nachbarschaft weitergibt.

Wenn Baum und Haus die gleich hohen Partner sind, führt das zu einem Stadtgewebe. Man nennt das «durchgrünten urbanen Flachbau». 4-6 Etagen, wie im haussmannschen Paris. Der Haldenbachplatz des letzten Postings ist ein Zürcher Beispiel dazu. 

Lebenskunst in der Aufwärmphase

Noch ist der Erinnerungsfaden zu den Fünfzigerjahren nicht ganz abgerissen. Da zirkulierte der FIAT Topolino, das Mäuschen. Selbst dieser Zwerg verfügte über eine Sonnenschutzeinrichtung ab Werk: eine gestreifte Stoffbahn auf einem Drahtgestell. Damals drangen die Topolini von Italien her am Capo San Martino vorbei nach Lugano und wir bewunderten heimlich die federleichte und intelligente Lebenskunst aus dem Süden.

Um 1980 wurde auch am Haldenbachplatz in Zürich Unterstrass ein Sonnendach konzipiert. Schon lange ist das Dach ausgewachsen. Der Architekt des Platzes verlangte Bäume mit 40%-Schattenbild. Das sind zum Glück inzwischen mehr Prozent geworden. Bäume können so ausgewählt werden, dass sie fast blätterlos wachsen bis sie die Dachkanten der umgebenden Gebäude erreichen und dort oben Schirme bilden. Wir sehen: jetzt sind ganz neue Talente gefragt.

Wenn wir es uns bei Hitze erträglich machen wollen, braucht es in Zürich an allen Ecken und Enden solche Sonnendächer – ob natürlich oder künstlich. Jeder Balkon verfügt über Sonnenschutz – auch jeder Platz soll eine Schattenzone erhalten. Eine schöne und nützliche Aufgabe für die Stadtverwaltung.

Energie und Kinder

«zuerivitruv» sitzt im Büro und schreibt bei offenem Fenster an diesem Posting. 

Er hört die Kinder. Eine muntere Melodie. Sie sind frei und doch von den Eltern, die in der Nähe im Garten oder auf dem Balkon sitzen, «leicht und unmerklich beobachtet». Das sind die optimalen Bedingungen, die Wohnungen im urbanen Flachbau bieten können. Auch in dicht bebauten Wohnquartieren der Stadt. Das ist das Resultat des über die Jahrzehnte optimierten Wohnungsbaus in Europa – England eingeschlossen. Die Stadtstrukturen gibt es schon lange, doch die Soziologie, die das Beschriebene ermöglicht, ist Nachkriegswissen. Die Philosophen heissen Remo Largo (Schweiz), Lucius Burckhardt (Schweiz), Oscar Newman (USA), Jan Gehl (Dänemark) und Christopher Alexander (England/USA). 

Wir sollten dieses grosse Wissen nicht vergessen. Dazu gehört u.a. die Aussage von Remo Largo: «sagen sie mir einmal, wie man im 24. Stock ein Kind aufziehen soll?». Das Hochhaus scheidet aus, weil es sich nicht darum kümmert. Nur Technokraten können es wollen. Das gilt auch für Zürich, wo sie kräftig am Werk sind.

Die Energie / die Summe der Treibhausgas-Emissionen des in den letzten beiden Postings beschriebenen «decoupling-Papiers» ist das eine. Das andere ist das Wohlergehen aller Bewohner: Kinder, Familien und Erwachsene. Für einmal deckt sich das Resultat bezüglich der Schädlichkeit für die Städte: Je höher die Gebäude, desto schlimmer.

Zusammenfassung von Decoupling density from tallness

Die Zukunftstauglichkeit von Hochhäusern ist grundsätzlich in Frage gestellt. Wie im vorangegangenen Posting angekündigt, hier die kurze Zusammenfassung auf Deutsch. Das wissenschaftliche Papier der Universitäten Cambridge und Boulder Colorado berücksichtigt die weltweite Bevölkerungszunahme und die Erkenntnis, dass Städte die grössten Treibhausgasemittenten sind. 

Erstmals wird Dichte von der Gebäudehöhe entkoppelt. Wenn, wie bisher geglaubt wird, grössere Höhen brächten mehr Dichte, wurde die Energie- und Emissionsfrage ausser Acht gelassen. Das weltweit bedrohendste Probelm ist jedoch das Total der Treibhausgasemissionen. Darum werden sie in dieser Studie zum Hauptkriterium gemacht. Wo liegt das Optimum im Städtebau? Die «Stachelstadt» aus Hochhäusern mit ihrer Energieverschwendung im Bau und Betrieb ist es nicht. Diese ursprüngliche Büro-Bauform hat fürs Wohnen auch zu grosse Nachteile. Die Studie zeigt, dass bei zunehmender Gebäudehöhe – ungeachtet der Dichte – die Menge der produzierten Treibhausgase höher liegt. Die Gebäudehöhe hat einen entscheidenden Einfluss auf die Emissionen, während dem das für die Dichte nicht der Fall ist. Anzustreben ist deshalb die Verdichtung ohne Zunahme der Bauhöhen. Das Rezept heisst: «high density / low rise». Diese herausgegriffenen Zahlen bringen Erstaunliches zutage:

Central Paris: max. Dichtefaktor 62.6

Midtown Manhattan: max. Dichtefaktor 54.5

Konklusion: Höher bauen ist nicht raumsparend, führt aber zu erheblich höheren Treibhausgasemissionen.

Zur Zeit der vorgeschlagenen Revision des Hochhausleitbilds können jetzt viele der sich stellenden Fragen erstmals wissenschaftlich beantwortet werden. 

Zugang auf Internet: Decoupling density from tallness in analysing the life cycle greenhouse gas emissions of cities  (Eingabe der ersten 4 Worte genügt)

Decoupling density from tallness

Das ist der Titel eines Forschungspapiers, das die Hochhausbesessenheit des Zürcher Hochbaudepartements heilen kann. Es erlaubt uns, zurückzulehnen und rechtzeitig zu überlegen, ob wir eine Fortsetzung der Hochhausgebiete überhaupt wollen. Das Papier fällt politisch gesehen gerade richtig in die Zeitspanne der Beratung der vorgeschlagenen Erneuerung des Hochhausleitbilds durch die gemeinderätliche Kommission.

Stadtgewebe oder isolierte Türme, das ist die Frage! 

Europa war und ist erfolgreich mit intelligenten und wohnlichen Stadtgeweben. 

Neuilly, Parioli, Chelsea, Hottingen, Eixample, Schwabing, Steglitz heissen u.a. die Quartiere, in denen sich gut leben lässt.

Die Mär von der Notwendigkeit des Hochhauses für Stadtverdichtung wird jetzt 

durch ein Forschungspapier der Universitäten Cambridge und Boulder Colorado widerlegt. Mit dem Kriterium des Totals der Treibhausgasemissionen wird der für die Zukunft relevante Massstab eigeführt. Wie nicht anders zu erwarten, ist der wissenschaftliche Text auf Englisch anspruchsvoll. Den Abschnitt «Results» zu lesen, mag genügen. «zuerivitruv» wird nächstens eine kurze Zusammenfassung nachreichen. Die Grafiken im Bild zeigen, dass zunehmende Gebäudehöhe in jedem Fall belastend ist.

Zugang auf Internet: Decoupling density from tallness in analysing the life cycle greenhouse gas emissions of cities  (Eingabe der ersten 4 Worte genügt)

Verfasser: Francesco Pomponi, Ruth Saint, Jay H. Arehart, Niaz Gharavi, and Bernardino D’Amico

Die schöne Stadt weiterbauen

Zürich – das geht oft vergessen – ist eine eminent europäische Stadt – und dann noch am Kopf eines Binnengewässers inmitten von Hügelzügen und Alpenblick gelegen. Es gibt ein gebautes Mittelalter, ein gebautes Aufblühen im Barock, im Klassizismus, in der Moderne und das Heute. Dieses Geschichtsband ist in sich schon wertvoll. Oder besser: in Europa das Wertvollste überhaupt. Es zeigt die Summe der Errungenschaften der Gemeinwesen in den aufeinanderfolgenden Epochen. 

Ist mit der Einführung von speziellen Hochhauszonen im Jahr 2001 der Faden gerissen? 

Ja, weil das Hochhaus in der langen Geschichte einen Bruch bedeutet und weil sein zufälliges «Stoppelfeld» in Zürich zu einem hässlichen Stadtbild geführt hat. Ja, weil mit dem Hochhaus keine Verdichtung erzielt wird. Ja, weil das (Wohn-) Hochhaus zu einer Entfremdung zwischen Bewohnerschaft und der städtischen Umgebung führt.

Nein, weil die ganze Welt, vor allem jetzt auch die Dritte, massenhaft zum Hochhaus greift. Nein, weil was alle machen, nicht falsch sein kann. Nein, weil Fehler ja, wie so oft geschehen, wieder abgebrochen werden können. Nein, weil wir so frei sein wollen, wie die Schnellaufbaustädte Chinas.

Wo ist der Bürgerstolz, der uns die Augen öffnet und uns befähigt, unseren eigenen Weg, der für uns stimmt, zu gehen? Seien wir intelligent, nutzen wir die Energiedebatte um gesichtswahrend-elegant aus den Hochhausleitbildern auszusteigen. Das könnte die politischen Parteien interessieren.

Wir haben eine eigene Vergangenheit. Machen wir unsere eigene Zukunft. Lassen wir die Trends weg – Trends sind zu launisch und passen nicht zu Städtebau. Halten wir die Ansprüche weiterhin hoch: Zürcher Sorgfalt und Qualität.