Ein wenig zusammenfassen

Jan Gehl sagte uns im Juni: «Hochhäuser passen nicht zum Homo Sapiens». Im Folgenden sprachen wir vom Schaden für die europäischen Stadtbilder, auch von der Möglichkeit Bürotürme extern zu platzieren. Vom Stadtklima war zweifach die Rede: einmal vom Strömungshindernis der Türme und einmal von der Aufheizung von Baumasse oberhalb des Gebäude- und Baumhorizonts. Versteinerung von Stadtquartieren ist ungünstig, weil es 5-10°C höhere Umgebungstemperaturen schafft und dieses Überborden nachts in Form von Wärme an die Schlaf suchenden abgibt. 

Der bekannte italienische Städtebauer und Architekt V. M. Lampugnani forderte die dichte steinerne Stadt die flächenmässig begrenzt bleibt, damit das grosse Umgebungsgrün der Landschaft den Ausgleich bringt. Dieser Zug ist seit der Niederlegung der Stadtmauern von Zürich längst abgefahren. Wir müssen die klimatische Behaglichkeit im Stadtgewebe selbst «organisieren». Nichts in dieser Welt geht eingleisig – alles hängt zusammen. «zuerivitruv» bringt es so auf die Reihe: Verdichtung im Rahmen der bestehenden Bau- und Zonenordnung, plus die vorgesehenen Verdichtungsgebiete im Westen und Norden. Parallel dazu die starke Durchgrünung der Quartiere mit Grossbäumen – das wäre dann der Einbau der stadtweiten Klimaanlage. Dass das Hochhaus hier nur noch Spielverderber wäre, ergibt sich von selbst. In ähnlicher Höhendimension werden Haus und Grossbaum ein klimatisch günstiges Stadtgewebe bilden. 

«zuerivitruv» ist keine Planungsstelle. Doch im Einvernehmen zwischen Stadtverwaltung und Gemeinderat kann es gelingen, eine klimagerechte und ökologische Stadtphilosophie auf die Beine zu stellen.

Bilder: Haldenbachplatz und Hof des Palais Royal (Paris)

Boulevard des 21. Jahrhunderts

In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts tagte die Spezialkommission für die damals neue Bauordnung. Pikant: Die Teilnehmer erlebten sowohl Hugo Farner als auch Ursula Koch als PräsidentInnen. Die Tatsache, dass auch geeignete Persönlichkeiten von aussen eingeladen waren, führte zum freien Fantasieren über die Zukunft; weniger gehemmt in der Phase von Ursula Koch. Da passierte es als ein Teilnehmer sagte: «Die Pfingstweidstrasse ist der Boulevard des 21. Jahrhunderts!». «zuerivitruv» kommt damit auf das vorletzte Posting zurück, das etwas abrupt endete.

Die Champs Elysées schlugen seinerzeit ein neues Kapitel ausserhalb der angestammten Stadt auf. Nicht anders an der Pfingstweidstrasse in Zürich. Doch in Zürich blühte es nicht. Sowohl das eingeklemmte Tram unter der Hardbücke, als auch die offene Strecke an der Pfingstweidstrasse sind nicht geglückt: Sie machen keine Freude (das ist der Massstab im Städtebau!). Zürich verdient nach so vielen Jahrzehnten der kalten Erledigungen endlich visionären Städtebau. Chaotischer Hochhaus-Wildwuchs ist kein Städtebau. Von unseren Behörden erwarten wir im Stadtbild mehr als rein technische Lösungen.

Hitze oder offener Horizont?

Nackt und knöchern schauen sie heraus aus dem Häusermeer und aus dem Horizont der Stadtbäume, braten schutzlos in der Sonne, speichern Kalorien und geben sie nachts an die Stadt weiter. Das Bild oben links veranschaulicht diese zunehmende Zementierung der Stadt in Zürich West, wo die Bautätigkeit dank der Hochhauszonen aus dem Jahr 2021 nach oben ausschlagen darf. Der Preis dafür ist hoch: Das Verschwinden des offenen Horizonts, einsam herumstehende Türme, Schädigung des Stadtgewebes und Beeinträchtigung des Luftaustausches. Wollen wir noch zuwarten, bis wir die Qualitäten, die zu guten mitteleuropäischen Städten gehören, ganz verloren haben?

Paris kommt uns einmal mehr zu Hilfe. Tag und Nacht sind die Blätter auf den Boulevards zugegen, im Takt mit den Gebäuden. Warum? Der Höhenplafonds für Gebäude aus der Zeit von Haussmann sorgt dafür und auch die damals gleichzeitige Pflanzung von Grossbäumen. Das Wohnen in Reichweite der Strasse, das sich der Höhenlimite verdankt, macht zusammen mit dem dadurch leicht erreichbaren öffentlichen Raum ein Gewebe. Ganz im Unterschied zu Hochhäusern, die als Solitäre alleine stehen. Mit immer noch fortschreitender Baukonjunktur sollten wir uns – bevor der Zug abgefahren ist – für das erfolgreiche und beliebte Stadt-Gewebe entscheiden. 

Ooh Champs Elysée-ee-ee-s

Joe Dassins Song aus den siebziger Jahren liegt uns noch in den Ohren: 

“Coeur ouvert j’avais envie de dire bonjour à n’importe qui”. Das kommt nicht von ungefähr, denn seit der Öffnung des Louvrehofes durch Abtragung des Tuilerienpalastes durchlief die Strasse laufend eine Aufdatierung und Ausdehnung nach Westen. Heute reicht sie bis zur Défense, bei Napoleon erst bis zu seinem Arc de Triomphe. Die Place de la Concorde gibt den Auftrakt. Dann versinkt die Strasse quasi in einem lockeren Wald, flankiert von Elysée-Palast und Grand Palais. Es folgt die bekannte zum Schlendern geeignete Einkaufsmeile, die bis hinauf zum Arc reicht.

Das eine Bild zeigt die Champs Elysées als grossartige Verkehrsachse anfangs der sechziger Jahre (2 CV, Renault 4, VW Käfer) – gesäumt von mehreren Reihen von Alleebäumen. Das andere Bild veranschaulicht die Pläne von Stadtpräsidentin Anne Hidalgo für das Jahr 2030. Sie hat bereits Uferpartien der Seine zu Fussgängerzonen erklärt und macht sich jetzt an die grandiose Achse. Dieser konstante Drive zur Optimierung des öffentlichen Raums zeichnet Paris aus. Im Kontrast zu Dubai und Chengdu ist dies der europäische Weg. Gehen Sie an die neu gebaute Pfingstweid- oder die Hardstrasse (unter der Hardbrücke) und urteilen Sie selbst.

Graue Energie

Wir mäandrieren ein wenig und lösen uns aus der Hitze der letzten Postings indem wir uns der Frage der Grauen Energie zuwenden. Ein Beispiel aus der Zürcher Altstadt soll sie uns näherbringen. «Graue Energie» ist alles was an Energie ins Gebäude gesteckt wird; von der Baumaterialgewinnung über den Antransport bis zur Konstruktion. Abbruch und Neubau ist in der gebauten Stadt energetisch gesehen der schlechteste Fall: Der ehemalige Input wird vernichtet und der Neubau bedingt neuen Input.

Sehen Sie an diesem unkonventionellen Beispiel, was werden kann, wenn auf Abbruch verzichtet wird. Ein verkümmertes Ökonomiegebäude, das einem Stadtpalais an der Kirchgasse diente, wird revitalisiert. 1830 erstellt, 1938 kümmerlich umgebaut ist durch gezielte Eingriffe 2005 diese vielseitig nutzbare Bogenhalle entstanden. Anfänglich diente sie als Empfangsraum, heute einer Firma. Die eingefügte Stahlbrücke erschliesst Galerieteile, deren Querträger ersetzen die 1938 beschädigten Zugstreben der Bögen.

Die Idee: Das Gebäude wird durch die Jahrhunderte weitergereicht und periodisch saniert und angepasst. In Zürich war das Möbelgeschäft «Neumarkt 17» im Jahr 1964 der Pionier.

Besuch in der Steinzeit

«zuerivitruv» besuchte die Turbinenstrasse in Zürich West. Die Bauten stammen noch aus der Pionierzeit der Hochhäuser, quasi deren Steinzeit. Wer jetzt gerade Tages-Anzeiger und NZZ liest, kann keine grössere Diskrepanz zwischen Soll und Haben feststellen. Die ganze Produktion der Zehner- und Zwanzigerjahre kommt unter die Räder, denn die Rede ist von Bäumen und von der «Schwammstadt». Die Skulptur, die den Besucher am Zugang der Strasse empfängt, läutet die Steinzeit in Zürich West ein, die Stolperseine bestätigen sie. Die Begeisterung für das heute Falsche musste damals gross gewesen sein.

Zeit zum Umdenken

Ändern sich die Bedingungen, ändern sich auch die Begehren. Wird es rundum wärmer, kann die Innenstadt, trotz Urbanität, einen Nachteil einfangen. Als 2001 die Zürcher Hochhauszonen eingerichtet wurden, war der Klimawandel für Fachleute voraussehbar. Doch mit dem Hochhaus kam die «Zementierung» einschliesslich von dessen Umgebung, denn viel Nutzfläche im Turm verlangt die Unterkellerung der gesamten Parzelle (Tiefgaragen etc.). Damit ist sowohl das Aufragende, als auch die Grundfläche zementiert. «Charmezonen» mit tiefwurzelnden und schattenspendenden Grossbäumen sind nicht mehr möglich. Das Ganze wird zur leichten Beute der sengenden Sonne und alles, was «Zement» ist, wird zum Wärmespeicher der auch in der Nacht Kalorien an die Umgebung abstrahlt. Reiht sich Hochhaus an Hochhaus, entstehen im schwachwindigen Sommer der Stadt Zürich Strömungshindernisse, die Luftzirkulation und Luftaustausch behindern. Die Hochhausförderung der Zürcher Baubehörden gerät nach 20 Jahren Bautätigkeit in Konflikt mit dem Klimawandel. 

Bild: Maschinenstrasse Zürich-West

Zu viel Zement in der Holznation

Wir sind eine Holznation – das Schweizer Waldgesetz schützt seit über 100 Jahren und geniesst international grosse Anerkennung. Ab und zu muss eine Nation dem Verscherbeln ihrer Ressourcen den Riegel schieben. Die liberale Gesellschaft ist dauernd tätig, erfindet und schafft materiellen Wohlstand, kann aber oft blind für die Schäden sein. Politisches Bewusstsein und Gesetze können das korrigieren.

Ist es erstaunlich, wenn steigende Temperaturen Artikel in Tageszeitungen hervorrufen? Europaweit mit 40°C in London und Paris Ende Juli und am 3. August lokal über Zürcher Hitzeinseln (Tages-Anzeiger, Seite 15). Auf der Anklagebank sitzen all die neuen Plätze: Hardplatz, Europaallee, Sechseläutenplatz. Der benachbarte Stadelhoferplatz hingegen ist mit seinen Platanen und dem rauschenden Brunnen «very much okay». Mit «zu viel Zement» sind im Titel dieses Postings steinartige Materialien zu verstehen, die eine hohe Speicherfähigkeit für Wärme aufweisen. Ein «Hitzekäfig» entsteht, wenn wir gezwungen werden uns zwischen heissen Speicherflächen von Wand und Boden zu bewegen. Das ist auf dem Vorfeld des neuen Polizei- und Justizzentrums (PJZ) der Fall und, wie schon am 18. Juli beschrieben, auf den Trottoirs der drei baumlosen Seiten des neuen Kunsthauses. Beim PJZ sind es 52 und 46°C die uns anstrahlen.

  • Warum schafft Zürich zur Zeit der Klimaerwärmung neue Hitzeinseln?
  • Und warum fördert Zürich aus dem Baumhorizont herausragende Hochhäuser?

«zuerivitruv» erlaubt sich hier ein geflügeltes Wort des bekannten Stadtwanderers Benedikt Loderer einzusetzen: «Wir müssen jetzt unser Oberstübchen neu vermessen».  «Balayer les amours»: die heissen Hartplätze und die Hochhausbesessenheit abtischen

. Die Holznation darf sich auf grosse Bäume besinnen und auf den urbanen Flachbau, der sich in selbiger Höhendimensionen bewegt. Es ist eine grosse Kulturfrage für unsere Stadt, wann das Umschwenken kommt.