ETH: Sandstein mit Seele

Wir sind weiterhin bei der ETH – der zwischen 1859- und 68 realisierten nationalen Bauaufgabe. Soeben wurde die Nordfassade mit den hellen Scraffitos aufwendig restauriert. Mit der selben Technik, wie sie um das Jahr Null in Pompeji angewendet wurde: der Auftrag des Sujets trocknet zusammen mit dem noch feuchten Verputz. Gottfried Semper beabsichtigte als einzige die kaum besonnte Nordfassade aufzuhellen. Gleichzeitig thematisiert er die Tugenden, wie z.B. «Disciplina» die der Wissenschaft förderlich sind. Eine Etage tiefer kommen die Helden Europas daher. Die damals neue Institution wurde emotional aufgeladen. Othmar Amman, der Erbauer der Hängebrücken von New York und viele andere Abgänger der ETH haben von hier aus Ihr Selbstbewusstsein in die Welt getragen. Verlangt die ETH Zürich noch ein drittes Posting?

Auch das ganze Ensemble, das man als «stur, langweilig und symmetrisch» abtun könnte, verbirgt Raffinesse. Die oberen zwei Bilder zeigen rechts den ehemals für die Universität vorgesehenen Südtrakt mit seinem stolzen Mittelrisalit. Geht man um die Ecke, erhebt sich als andere Welt die stadtseitige Westfassade (Bild links) mit ihrem elaborierten und noch viel pompöseren Mittelrisalit. Das ist gebautes Drama: Vielfalt in der Einfalt. Es kann auch von gebauter Kommunikation die Rede sein, wenn man die drei riesigen Fenster oben in der Mitte betrachtet, die mit dem Lindenhof sprechen und die Botschaft in die Ferne senden, dass sie zur Aula – dem «Sempersaal» – gehören. 

Der amerikanische Architekt Louis I. Kahn (1901-74) sagte bei seinem Besuch an der ETH mit Vortrag im Jahr 1969: «It is my belief that we live to express».

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