Es geht hier mit den oberen Bildern um die Veränderungen zwischen den 1860er- und den 1910er Jahren an der Rämistrasse auf der Bergseite der ETH. Was wir rechts auf dem historischen Bild, das den Baukomplex von Gottfried Semper darstellt, als separat gesetztes Chemiepavillon sehen, ist verschwunden. Es ist einem Vorplatz mit Rotunde, Kuppel und Flügelbauten gewichen. Hat deren Architekt Gustav Gull den berühmten Semper ausgekippt?
Die Operation ist kolossal. Das Hintergebäude ist einer kolossalen Eingangsfront mit einer räumlich starken Hofgeste zur Rämistrasse gewichen. Gull hat sich als starker Regisseur erwiesen. Er hat die drei Fassaden süd, west (zur Stadt) und nord (Scrafittos) belassen, aber die ganze Mitte herausgerissen und dort die heute erlebbare hohe Halle errichtet und die beschriebene raumwirksame Ostfassade and der Rämistrasse errichtet. Der auf der Talseite in Hochlage gelegene und in den letzten Postings schon beschriebene Sempersaal ist zwar belassen, aber durch eine neue halbrunde Aula mit Kuppel ausgebootet worden. Der ganze Vorgang ist ein Balanceakt sondergleichen. Der Passant bemerkt heute rein gar nichts von den fünfzig Jahre später realisierten Veränderungen, die aus dem Baukomplex etwas ganz anderes gemacht haben. Das Publikum hat immer noch (prominent) von der Talseite her Zutritt, doch der Hauptharst kommt (weniger prominent) von der Tramstation in der Schlucht der Rämistrasse. Der geniale nutzungsgetriebene Kraftakt hat denn auch Kritik eingefangen. Die Weiterführung und sogar Überhöhung des fünfzigjährigen Baustils mit einer doch etwas sakralen Kuppel empfand die zeitgenössische Architektenschaft als altmodisch. Man kann sagen, dass auch sie Opfer war, nämlich der Unreife der Moderne in ihrem damals pränatalen Zustand.